Reicht eine perfekte Aussicht – wie hier auf dem Aroser Weisshorn – zum perfekten Reiseglück oder braucht es dafür doch mehr? Bild: istock.com
Jon Andrea Florin: Es ist ein Glücksgefühl, das länger andauert und in der Summe zu einer erhöhten Lebenszufriedenheit führt. Für die einzelne Person kann dies in Moment von Ruhe sein oder eine entspannte Inspiration zu haben. Und dies im Wissen, dass es nicht auf Kosten des Planeten, der lokalen Bevölkerung oder der kommenden Generationen geht. Das macht die doppelte Nachhaltigkeit aus. Nachhaltigkeit fürs Individuum und für die nächste Generation.
Wenn ich in einem Restaurant etwas Feines esse, ein schönes Glas Wein trinke, eine gute Zeit habe und mit den Gastgebern in Kontakt trete und etwas Interessantes erfahre. Dieses Glück ist kein schnellebiger Konsum.
Was ist dir in Bezug auf Ferien wichtig?
„Auch Überraschungen zuzulassen gehört zur Glücksformel dazu“
O’Brien hat das Konzept des nachhaltigen Glücks definiert. Und Helvetas hat dazu eine sehr erfolgreiche Ausstellung gemacht. Wir haben sie gesehen und sie mit einer Formel für nachhaltiges Reisen kombiniert. An dieser G.L.Ü.C.K-Formel habe wir ein Jahr lang rumgetüftelt. Sie bedeutet: G wie Gemächlich unterwegs sein, L wie Lokales bevorzugen, Ü wie Überraschungen zulassen, C wie CO2-Ausstoss senken und K wie einen korrekten Preis bezahlen.
Die G.L.Ü.C.K.-Ausstellung in Arosa
Wie sieht nachhaltiges Reiseglück aus? Glück – das suchen wir doch alle, auch auf Reisen. Aber was macht wirklich glücklich? Und wie können wir unterwegs sein, ohne dabei den Planeten, die Menschen und die Kulturen, die wir besuchen, aus dem Blick zu verlieren? In Zusammenarbeit mit dem Arosa Natur Labor widmet sich die Ausstellung G.L.Ü.C.K. genau diesen Fragen. Sie lädt dich ein, auf interaktive Art und Weise dein Reiseverhalten zu hinterfragen. Finde an verschiedenen Stationen heraus, wie du mit kleinen Änderungen nicht nur dein persönliches Reiseglück steigern kannst, sondern auch das der Lokalbevölkerung und dabei unseren Planeten nur minimal schadest. Für gross und klein darf hier spielerisch mit allen Sinnen eine neue Art des Reisens entdeckt werden.
Bis zum 15. März 2025 gibt es im Arosa Natur Labor an der Poststrasse 65 in Arosa die interaktive G.L.Ü.C.K Aussstellung zu entdecken.

Besucherinnen an der G.L.Ü.C.K.-Ausstellung in Arosa. Bild: Simon Strauss
Das ist schwierig zu messen, ja, aber wir können es natürlich aus verschiedenen psychologischen Studien ableiten. Die Glückforschung, die zum Teil auch in der Ökonomie betrieben wird, ist inzwischen ein umfassendes Wissenschaftsgebiet, das eben ökonomische Aspekte hat, neurologische, psychologische, soziologische, die alle zu dem erhöhten Glück oder Lebensglück führen. Und eine Aussage, die man eigentlich immer wieder liest, ist, dass das individualistische Glück nicht richtig funktioniert. Das grössere Glücksgefühl kommt im Austausch mit anderen. Das ist zentral. Im Austausch mit anderen Menschen, Dingen, der Natur.
„Der Zeit- und Beziehungsaspekt beim Reisen ist wichtig“
Ja, schauen Sie sich doch diese Strecke mit dieser Landschaft an! Wir sehen und erleben es und tauschen uns darüber aus. Man konnte in Versuchen nachweisen, dass der Zeitaspekt und der Beziehungsaspekt wichtig sind. Das nicht-nachhaltige Glück – ich jette vielleicht irgendwo hin, gehe an eine Party und fliege dann zurück – funktioniert ein-, zwei-, dreimal. Aber beim fünften, sechsten, siebten und achten Mal ist es einfach die Wiederholung vom immer Gleichen und der Wert nimmt ab.
Wenn du dich zeitlich einlässt auf etwas, führt es zu einer erhöhten Lebenszufriedenheit. Es führt nicht unbedingt zu einem erhöhten Glück, das ja immer so etwas Bling-Bling-mässiges hat. Aber die erhöhte Lebenszufriedenheit hängt definitiv von Zeitkomponenten ab.
„Nicht zu planen ist oft viel wertvoller“
Nach den Ferien steigt die Scheidungsrate. Dazu gibt es Studien. Weil du einfach diese Ferien mit Erwartungen überlädst, und du nur daran scheitern kannst. Und darum tut es gut, Druck rauszunehmen und zu sagen: wir machen weniger. Nicht zu planen und Überraschungen zu erleben ist oft viel wertvoller.
Ich nehme das auch so wahr, das ist richtig. Ich habe offenbar eine pastorale Wirkung auf Menschen, die sich dann bei mir entschuldigen. Ich sage jeweils: Das ist mir völlig egal! Ich gebe dir keine Absolution. Viele wissen halt schon, dass es nicht okay ist. Wir von fairunterwegs verfolgen darum nicht nur den individualistischen Ansatz. Wir wirken auch auf Reiseveranstalter und die Politik ein. Mit der Freiwilligkeit des Einzelnen, etwas zu verändern, stösst du schnell an Grenzen.
„Das Wachstum des Tourismus kann nicht ewig weitergehen“
Es ist klar, dass das Wachstum des Tourismus nicht ewig weitergehen kann. Schauen Sie sich in diesem Bahnwagen um! Es ist Mittwochmorgen und der Zug ist schon relativ voll. Das ist schön für Arosa, aber es ist auch immer eine Belastung. Gerade beim Fliegen ist es offensichtlich. Die Reisebranche liebäugelt jetzt zwar mit den nachhaltigen Treibstoffen für Flugzeuge. Doch das löst nicht alle Probleme.

Wanderglück in den Bergen: Erlebnisse, die wir teilen, erleben wir als wertvoller. Bild: istock.com
Wir können mit dem Reisen sicher nicht so weitermachen wie bist jetzt. Es kommt ja auch die Overtourismus-Diskussion dazu. Macht es denn Sinn, dass wir mit staatlichen Geldern in China Gäste anwerben, die in Luzern in einem Hotel absteigen, das Chinesinnen und Chinesen gehört, und wo Chinesinnen und Chinesen arbeiten. Damit sie die Rigi sehen und eine Uhr kaufen, die sie auch in China kaufen könnten. Diese Diskussion wird nicht oder zu selten geführt. Die Menschen verstehen das Reisen als Menschenrecht. Es ist für viele tabu, hier Fragezeichen zu setzen.
„Wir weisen auch auf kapitalschwache Orte als Reiseziele hin, wo ein Austausch noch möglich ist“
Wir sind daran, Orte zu suchen, die man nach unserer Glücksformel bereisen kann. Wir haben möglichst viele Orte drin, die sonst unter dem touristischen Radar durchsegeln. Das wunderbare Beispiel sind Orte wie Promontogno oder Bondo im unteren Bergell. Wir wollen auf die kapitalschwachen Orte hinweisen, die weniger besucht sind und wo ein Austausch möglich ist.
Das empfinde ich auch so. Und ist auch mit Zahlen nachzuweisen bezüglich unseres Konsums. Bei der Gelegenheit zitiere ich gerne Camus, der sagte, man müsse sich Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen. Da kommt meine Überzeugung als Ex-Werber hinein: Ich muss die Botschaft so verpacken, dass sie den Leuten schmeckt. Und mit der Glücksformel haben wir eine Form gefunden, die einleuchtet und überzeugt. Denn viele Leute können das Thema Nachhaltigkeit nicht mehr hören – wenn es nur aus einer Perspektive des Verzichts erklärt wird.
„Wir brauchen auch politische Regulation“
Ob uns die Technik aus der misslichen Lage raushaut, bezweifle ich. Wir brauchen sicher auch politische Regulation. Wie eben das Klimaschutzgesetz, das Stromgesetz und so weiter.
Ich glaube nicht, dass dies ein weitverbreiteter Trend ist. Die Leute fliegen einfach überall hin. Ich glaube, wir als ökologisch sensibilisierte und bewusst lebende Menschen müssen Alternativen anbieten, die cool und begehrenswert sind. Das muss im Tourismus gelingen. Einfach zu sagen: Leute, reist weniger! Das wird nicht gelingen.
„Die Reise gilt als Belohnung in unserer Welt“
Genau. Das ist ein tief verankerter Lebensinhalt. Ich arbeite jetzt drei Monate wie verrückt, dann kann ich eine Woche nach Kreta. Die Leute wollen dieses Kompensationsding. Die Reise als Belohnung in einer Welt, die sie oft als Zumutung empfinden. Da müssen wir Alternativen anbieten.

Die Reise als Kontrast und Kompensation für unsere harte Arbeit ist ein tief verankerter Lebensinhalt. Bild: istock.com
Reisen als Statussymbol, richtig. Als Ich-Darstellung. Wobei es natürlich nicht nur negativ sein muss – im Gegenteil. Worüber sprechen die Leute beim Coiffeur? Über die Reisen, die sie gemacht haben und die sie planen. Und die Erlebnisse, die sie dabei gemacht haben. Wenn ich in einem Restaurant der Tschuggen-Collection ein veganes Fünfgangmenü esse und davon begeistert erzähle, ist das ja auch ein Anfang. Oder wenn ich beim Joggen erzähle, dass ich im energieneutralen Valsana-Hotel übernachtet habe. Das sind eben dann Glücks-Erlebnisse, weil sie für Genuss und gleichzeitig eine positive Veränderung oder Entdeckung stehen.
„In Bhutan wissen sie, dass noch mehr Wachstum und mehr Geld nicht zu mehr Lebensglück führt“
Das ist eine interessante Geschichte. Bhutan ist eine Monarchie. Sehr buddhistisch. Sie haben eine andere Herangehensweise. Die Gemeinschaft steht im Vordergrund, nicht der Umsatz. Sie wissen, dass noch mehr Wachstum und mehr Geld nicht zu mehr Lebensglück führt. Sie haben eines Tages eine hohe Steuer für Reisen nach Bhutan erhoben. 220 Dollar pro Tag. Die Idee war, die Einnahmen dann zu verteilen. Nur kam dann praktisch niemand mehr. Dennoch ist es interessant. Die Touristen können beitragen, dass es uns gutgeht.
Ich denke, es war nicht immer so. Es ist eine Nachkriegsgeschichte. Der hypermaterialistische Groove und das Reisen als Massenphänomen kam so richtig mit der Boomer-Generation. Insofern ist das nicht in Stein und in unsere DNA gemeisselt. Das lässt sich auch wieder verändern.
„Die Destinationen müssen eine Verlagerung in den Herbst hinbekommen“
Damit machen diese Orte andere Bemühungen in Sachen Ökologie wieder zunichte. Was sich richtig deftig auf die Klimabilanz auswirkt, ist die Anreise. Wer fliegt, kann noch so vegan essen und Abfall recyceln. Die Klimabilanz bleibt negativ. Die Hauptfrage im Tourismus ist die, wie sie die Verteilung hinbekommen, damit – beispielsweise in den Bergen – nicht noch mehr Touristen im Winter und im Hochsommer kommen, sondern eine Verlagerung in die Nebensaison und den Herbst geschieht. Es gibt kaum eine schönere Zeit in den Bergen mit den vielen Farben, den gelben Lärchen und so weiter. Es macht keinen Sinn, Leute mit dicken Portemonnaies aus Asien und Amerika in die Schweiz zu locken, solange die Schweizer im Herbst nicht kommen.
„Wenn gleichviele Leute mit dem Auto kommen, macht das vergünstigte Zugticket keinen Sinn“
Es gibt dazu eine interessante Studie der HSLU. Dabei war die Reise nach Appenzell Innerrhoden ab der dritten Übernachtung kostenlos. Der Prozentsatz der ÖV-Anreise stieg um zehn bis 15 Prozent. Aber…
Wenn dadurch einfach mehr Leute mit dem Zug kommen und immer noch gleichviel mit dem Auto, macht es nur halb soviel Sinn. Dann sind wir wieder beim Thema, wieviel Tourismus verträglich ist für einen Ort. Man müsste also eine Verlagerung hinbekommen. Das ist nicht unmöglich, aber es braucht halt auch hier den entsprechenden Willen, um etwas umzusetzen.
Diesen Beitrag erstellte Go Green im Rahmen der Kooperation mit Arosa Tourismus. Er entspricht den Nachhaltigkeitsanforderungen von Go Green. Mehr nachhaltige Storys zu Arosa gibt es hier!

Weniger, langsamer, genussvoller, offener, neugieriger und keine (oder weniger…) Erwartungen haben. Ausprobieren… es funktioniert!