Ein Geisternetz wird mittels Sauerstoff-Säcken zur Meeresoberfläche angehoben. Bild: Cor Kuyvenhoven
Veronika Mikos: Für Meerestiere sind die verwahrlosten, im Meer treibenden Netze tödliche Fallen. Sie sind dafür gemacht, alles, was unter dem Wasser lebt, einzufangen. Und das tun sie weiterhin: Fische, Krebse und Seesterne verheddern oder verirren sich in den Netzen, genauso wie Delfine, Wale, Robben, Meeresschildkröten und Tauchvögel auf Beutezug. Fische verhungern in den Maschen, Säugetiere ersticken, weil sie nicht mehr an die Wasseroberfläche kommen. Zudem tragen Geisternetze enorm zur Plastikverschmutzung der Meere bei.
„Wenn Geisternetze im Wasser umhertreiben, dauert es etwa 600 Jahre, bis sie sich vollständig zersetzt haben“
Fischernetze bestehen aus synthetischen Stoffen wie Polypropylen, Polyethylen und Nylon. Wenn sie im Wasser umhertreiben, dauert es etwa 600 Jahre, bis sie sich zersetzt haben. Jedes Jahr gelangen rund 640’000 Tonnen Fischereimüll in die Meere, so machen Geisternetze mittlerweile einen Grossteil des Meeresplastiks aus. Bis zur Hälfte des Great Pacific Garbage Patch, einem riesigen Müllstrudel im Nordpazifik, besteht aus Geisternetzen. Während die Netze im Wasser treiben, zerreiben sie langsam und verteilen kleine Plastikpartikel im Ozean. Diese gelangen dann in die Mägen von Fischen und Muscheln und tragen zur Zerstörung der Meere bei.
Tust du etwas gegen Geisternetze im Meer?
Wir arbeiten mit 550 erfahrenen Taucherinnen und Tauchern der Ghost Diving Foundation zusammen. Die Stiftung hat sich darauf spezialisiert, Geisternetze aus den Meeren zu bergen und ist auch Gründungsmitglied von Healthy Seas. Die Tauchteams schneiden das Netz an den entsprechenden Stellen los und befestigen Säcke daran, die sie mit Sauerstoff füllen. Diese Säcke sehen dann aus wie riesige Luftballons. Durch den Sauerstoff werden sie an die Wasseroberfläche getrieben und ziehen das Netz mit nach oben. An der Oberfläche angekommen, wird das Netz per Hand oder mit Hilfe eines Krans aus dem Wasser in das Boot gezogen.
„Die Taucherinnen und Taucher waren 257 Tage im Jahr im Einsatz“
Das hängt von mehreren Faktoren ab: wie viele Netze müssen geborgen werden, wie gross sind sie, wo genau befinden sie sich, wie viele Personen müssen mit? Je nach dem sind die Tauchteams mal nur ein paar Stunden unterwegs, mal einen ganzen Tag oder eine Woche. Im letzten Jahr waren die Taucherinnen und Taucher an 257 Tagen für Healthy Seas im Einsatz und konnten 86,5 Tonnen an Geisternetzen und weiterer Fischereiausrüstungen bergen.
Eine Robbe hat sich an der polnischen Ostseeküste in einem Geisternetz verfangen – ein qualvoller Tod. Bild: Bartek Trzcinski
Hier haben wir verschiedene Herangehensweisen. Insgesamt sammeln wir Netze an sieben Regionen ein; in der Nordsee, dem Mittelmeer, der Adria, dem Roten Meer, der Ostsee, dem Pazifischen Ozean und dem Atlantischen Ozean. In einigen Regionen pflegen wir enge Beziehungen zu lokalen Tauchzentren – und gemeinschaften. Wenn die Taucherinnen und Taucher Geisternetze entdecken, informieren sie uns darüber. Dann gibt es Stellen im Ozean, wo wir uns aufgrund von Strömungen, Riffen oder Schiffwracks relativ sicher sein können, dass dort Geisternetze umhertreiben oder sich verfangen haben. In einigen Regionen arbeiten wir direkt mit den lokalen Fischerinnen und Fischern zusammen. Diese teilen uns dann umgehend mit, wenn sie ein Netz im Meer verloren haben.
Meistens passiert das durch Unfälle, wenn sich die Netze an Steinen, Riffen oder Schiffwracks verheddern. Oder plötzlich auftretende Unwetter zerstören die Netze. Manchmal lassen Fischerinnen und Fischer ihre Netze aber auch absichtlich zurück.
„Um Entsorgungsgebühren zu sparen, lassen Fischer ihre Netze oft zurück“
Es passiert, wenn illegale Fischerboote von der Küstenwache verfolgt werden. Dann werden die Netze während der Flucht abgeschnitten, um Beweismittel loszuwerden. In manchen europäischen Ländern müssen Fischerinnen und Fischer aber auch Gebühren bezahlen, um ihre alten Netze an Land zu entsorgen. Um diesen Kosten zu entgehen, lassen sie ihre Netze lieber im Meer zurück. Deshalb haben wir von Healthy Seas Sammelstellen aufgestellt, an denen ausrangierte Netze umsonst entsorgt werden können. Rund 1250 Fischerinnen und Fischer geben ihre Netze bereits an solchen Sammelstellen ab.
Die Taucher von Ghost Diving sammeln ein Geisternetz im Meer ein. Bild: Pascal van Erp/Ghost Diving
Genau, uns ist es wichtig, auch präventive Arbeit zu leisten. Neben den Sammelstellen für ausrangierte Netze führen wir auch Bildungsprogramme an Schulen durch. 2023 nahmen fast 15’000 Schülerinnen und Schüler, sowie Lehrkräfte und Elternteile an unseren Bildungs-Events teil. In Vorträgen lernen sie über die Gefahren der treibenden Fischernetze. Ausserdem organisieren wir Strand-, Park- und Flusssäuberungen, sowie Kunst- und Bastelworkshops mit dem gesammelten Müll. Mit Virtual-Reality-Brillen können Schülerinnen und Schüler die Rolle eines Tauchers einnehmen und erleben, wie man ein Schiffswrack von einem Geisternetz befreit.
„Aus den recycelten Netzen entstehen neue Produkte“
Wir geben den Geisternetzen ein zweites Leben. Das italienische Unternehmen Aquafil, ebenfalls Gründungsmitglied von Healthy Seas, verarbeitet den Grossteil der Geisternetze zusammen mit anderen Nylonabfällen zu ECONYL-Garn. Die feine Kunststofffaser kann als Alternative zu herkömmlichem Nylon verwendet werden. Das Nylongarn hat die gleiche Qualität wie fossilbasiertes Nylon und ist unendlich oft recycelbar. Aus dem Garn entstehen dann neue Produkte wie Kleidung, Schuhe, Teppiche, Automatten, oder Rucksäcke. Es gibt aber auch Fischernetze, die sich aufgrund ihrer Kunststoffzusammensetzung nicht zu Garn verarbeiten lassen. Diese verschiffen wir zu Bracenet, unserem Partner in Hamburg. Das Unternehmen macht aus den Netzen Armbänder, Schlüsselanhänger, oder Ketten.
Neben der Bergung von Geisternetzen möchten wir uns in Zukunft noch mehr um sogenannte Geisterfarmen kümmern. Das sind verlassene, stillgelegte Fischfarmen. Die Verantwortlichen lassen ihre Netze, Boote und Fischereiausrüstung einfach zurück, all das verwahrlost über Jahre im Meer. Schutt, Plastik und Schadstoffe verschmutzen dann das Wasser.
„In Griechenland haben wir über 150 Standorte von Geisterfarmen gefunden“
In Griechenland werden auch stillgelegte Fischfarmen mitsamt dem riesigen Müll von Healthy Seas geortet und entsorgt. Bild: Healthy Seas
Dieses Jahr haben wir bereits zwei Geisterfarmen an der Westküste Griechenlands gesäubert, sprich die alten Netze und weitere zurückgelassene Ausrüstung aus dem Wasser entfernt. Entlang der Küste haben wir rund 150 weitere Standorte identifiziert, an denen sich die Abfälle aus der Fischzucht verteilt haben. Es ist noch Einiges zu tun. Im Oktober startet die dritte Säuberungskation in der Region.
„Seit 2013 konnten wir unglaubliche 991 Tonnen Geisternetze aus den Ozeanen entfernen“
Der Schutz der Umwelt, und damit auch der Meere, ist für mich eine Herzensangelegenheit – das war es schon von klein auf. Mit Healthy Seas erzielen wir mittlerweile Erfolge, die messbar sind: Seit unserer Gründung im Jahr 2013 konnten wir unglaubliche 991 Tonnen Geisternetze und anderen Meeresmüll aus den Ozeanen entfernen. Das entspricht dem Gewicht von 6,4 Blauwalen! Jedes Geisternetz im Meer, das wir rausfischen, leistet einen Beitrag für den Meeresschutz – das motiviert mich jeden Tag auf’s Neue.
Veronika Mikos, Jahrgang 1981, ist in Ungarn geboren und lebt heute in den Niederlanden. Umwelt- und Tierschutz ist seit Kindheitstagen ihre Leidenschaft – schon als junges Mädchen rettete sie streunende Hunde und Katzen. Nach ihrem Wirtschaftsstudium in Ungarn und Finnland war sie für Projekte im Umweltschutz, in der nachhaltigen Landwirtschaft und im Ökotourismus tätig. Seit der Gründung von Healthy Seas im Jahr 2013, organisiert sie als Leiterin der Non-Profit-Organisation sämtliche Säuberungsaktionen und Projekte.
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