Die Schwammstadt - darum brauchen wir sie

4 Minuten
7. November 2024

Wir hören und lesen regelmässig von Schwammstadt, wenn es um die zukunftsgerichtete Städteplanung geht. Aber was ist das eigentlich? Warum ist sie bei Hitze oder Starkregen besonders sinnvoll? Eine Erklärung, warum die zukunftsfähige Stadt eine Schwammstadt ist.

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Schwammstadt

Das Schwammstadt-Prinzip am Beispiel des freigelegten Albisrieder Dorfbachs, der von Bäumen und anderer Vegetation umgeben ist.  Bild: VSA

Die Klimakrise steht nicht vor der Tür, sie ist bereits da. Im Schnitt, so unser National Center for Climate Services NCCS, ist unsere bodennahe Lufttemperatur in der Schweiz bereits um 2,8 Grad wärmer als noch vor gut 100 Jahren. Der globale Schnitt liegt bei 1,3 Grad. Ach Gott, ob es nun 25 oder knapp 28 Grad heiss wird im Sommer, macht doch den Braten nicht feiss?! Doch. Macht es.

Das bedeuten diese 2,8 Grad Erwärmung konkret

Mehr Hitze, mehr Trockenheit, mehr Starkregen. Und letzteres mit grossen Überschwemmungen und gravierenden Folgen. Die Erderwärmung bedeutet aber auch nur noch halb so viele Schneetage im Mittelland wie noch vor 50 Jahren und eine Nullgradgrenze, die seit den 60ern Jahren um cirka 400 Meter hochgewandert ist.

Das hat direkte Auswirkungen. Für die Natur heisst das: «Beweg dich, pass dich an oder stirb.» Was für Tiere, Pflanzen, Flechten oder Pilze gilt, gilt auch für uns als Teil der Natur. Wir können uns in andere Klimazonen bewegen oder aber uns anpassen – oder sterben. Laut dem Bundesamt für Umwelt sterben fast doppelt so viele über 75-Jährige aufgrund der Hitze als im Strassenverkehr. Und unsere Babies haben ebenfalls grössere Mühe um mit Hitze umzugehen. Auch mir als Erwachsene sind Tage mit Temperaturen über 28 Grad viel zu heiss. Auch wenn ich in diesem Jahr gerne mehr Wärme gehabt hätte.

Hitze Todesfälle

Die hitzebedingten Todesfälle mit 95 % Wahrscheinlichkeit seit 1981 mit den Ausschlägen 2003, 2015 und den vergangenen beiden Jahren.  Grafik: Swiss TPH/BAFU

Insbesondere im städtischen Umfeld, spüren wir die Folgen des Klimawandels noch stärker als in ländlichen Regionen. Wir alle kennen diese Bruthitze, die alles lähmt und wie eine Glocke über der Stadt liegt. Auch wenn wir in diesem Sommer 2024 mehr mit einer anderen vorhergesagten Folge des menschengemachten Klimawandels zu kämpfen hatten: mehr Starkregen.

Was haben Hitze, Dürre und Starkregen miteinander zu tun?

Pro Grad Celsius Erwärmung kann die Luft 7 Prozent mehr Wasserdampf speichern. In einer bereits jetzt um knapp 3 Grad erwärmten Schweiz also über 20 Prozent mehr. Und je wärmer es ist, desto mehr Regenpotenzial liegt in der Luft. Einerseits regnet es weniger schnell, da die Luft mehr Wasser speichern kann, so kommt es auch vermehrt zu Trockenperioden. Im schlimmsten Fall zu richtiggehenden Dürren. Und wenn es dann wieder regnet, dann regnet es richtig, eben weil die Luft mehr Wasserdampf speichern konnte. Die Folge sind Überschwemmungen. Hauptsächlich, weil wir unsere Umgebung so stark verändert haben. Die Böden sind versiegelt, die konventionelle Landwirtschaft verdichtet unseren Boden, die Flüsse und Bäche sind begradigt, die Auen in der Schweiz zu 90 Prozent verschwunden. Wo soll denn das Wasser hin, wenn wir ihm den Raum weggenommen haben?

In der freien Landschaft braucht es daher wieder Platz für sogenanntes «Schwammland» und die Städte werden zu Schwämmen. Unversiegelte Böden können bei guten Bedingungen pro Quadratmeter bis zu 200 Liter Wasser pro Stunde aufnehmen. Nutzen wir das.

Was also ist das Schwammstadt-Prinzip?

Die Stadt soll einem Schwamm gleich das Wasser aufnehmen und speichern, um es schliesslich in trockenen und heissen Zeiten nutzen zu können. Das Wassermanagement passt sich dem natürlichen Wasserkreislauf an und dafür braucht es einen Paradigmenwandel. War bis anhin die Devise, das Wasser so rasch wie möglich von der Strasse in die Kanalisation zu leiten, so soll es neu vor Ort behalten und genutzt werden. Einfache Massnahmen sind, unnötig versiegelte Flächen zu entsiegeln, die meisten Parkplätze, Innenhöfe oder Vorplätze, aber auch Einfahrten müssen nicht asphaltiert sein, um dem Verkehr standzuhalten.

Statt Asphalt kann man mit Chaussierungen, sogenannten Rasengittersteinen oder mit Kopfsteinpflaster arbeiten, solange die Zwischenräume beispielsweise mit Sand oder Erde gefüllt werden. So kann etwas Gras wachsen, am Rand der Fläche finden plötzlich Stauden Platz. Vielleicht kann sogar ein Teil der Fläche ganz abgetreten werden, um Sträucher, Hecken oder gar einen Baum zu pflanzen. Je mehr und höher das Grün wachsen kann, desto mehr Wasser speichert es und gibt es schliesslich wieder als Verdunstungskühle ab. Daher gelten auch grün bepflanzte Wände und Dächer als besonders wirksame Schwammstadt-Elemente, die zugleich einen Beitrag gegen das Artensterben leisten können.

Chaussierung Schwammstadt

Chaussierung: Dank den Rasengittersteinen kann das Gras wachsen und der Boden den Regen aufnehmen.  Bild: istock.com

Das Wasser nutzen, statt sofort Richtung Meer zu schicken

Weitere Elemente, die die Stadt zum Schwamm machen, sind aber auch jede einzelne Regentonne im Privaten oder die Riesenversionen davon, wie sie Städte versenken. Aktuelles Beispiel ist der Regenwassertank im Brühlgutpark der Stadt Winterthur. Der Tank fasst 46’000 Liter Wasser. Künftig werden damit die Pflanzen im Park bewässert. Winterthur ist eine der Pionierinnen im Schweizer Schwammstadtwesen. Dächer werden begrünt, Bäume gepflanzt, ein ausgedienter Kohlekeller vom Altstadtschulhaus erhält einen Regenwassertank, Flächen werden entsiegelt und es wird mit sogenannten Pocket-Schwammstädten experimentiert. Das sind Holzkisten mit Mini-Vegetationsflächen und in sich geschlossenem Wasserkreislauf. Was mich besonders freut: Winterthur setzt dabei wo immer möglich auf heimische Pflanzen und schafft neue Lebensräume.

Schwammstadt Winterthur

Vorzeigebeispiel Winterthur: Die Stadt ist Pionierin im Schwammstadtwesen.  Illustration: Stadt Winterthur

Dasselbe gilt für den Aargau, das Wasserschloss der Schweiz. Zofingen, Windisch und Brugg setzen aktiv auf Schwammstadtelemente und nutzen dies zugleich für ökologische Aufwertungen und das Schaffen neuer Lebensräume. Hier finden sich ausserdem verschiedene Ansätze, wie Politik und Verwaltung gemeinsam den Weg fürs „Wasserschloss 2.0“ ebnen, die Wasserstrategie nimmt hier einiges vorweg, wie die Zukunft beim ganzheitlichen Wassermanagement aussehen kann.

Am meisten allerdings freut mich, wie der Austausch untereinander funktioniert. Dank dem VSA, dem Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute, der Wissenschaft, best practice und unterschiedlichste Lösungsideen zusammenbringt und mit den Städten regelmässig im Austausch ist mit ihrem „Netzwerk Schwammstadt“. Im Umgang mit dem Klimawandel braucht es so viele verschiedene Disziplinen und Kompetenzen, das geht nur gemeinsam und auf Augenhöhe. Diese Offenheit, die Fähigkeit einander zuzuhören und voneinander zu lernen, hilft sicher, um notwendige neue Wege zu gehen. Es muss viel antizipiert werden – und die Zeit drängt.

Das bedeutet „multiple Win“ in der Schwammstadt

Win 1: Bleibt das Wasser vor Ort, weil Boden und Pflanzen das Wasser aufnehmen, kann es verdunsten und so bei Hitze die Umgebung abkühlen. Das hilft auch den Tropennächten entgegenzuwirken, also die Lufttemperatur nachts unter 20 Grad zu halten. Schlussendlich brauchen wir auch weniger Energie für allfällige Klimaanlagen.

Win 2: Das separat gesammelte Wasser kann bei Trockenheit zum Giessen verwendet werden. So sparen wir wertvolles Trinkwasser.

Win 3:  Und schliesslich entlasten sickerfähige Böden die Kanalisation bei Starkregen und schützen im Idealfall Keller oder Tiefgaragen vor Überschwemmungen. Schwammstadt.

Win 4: Ist die Kanalisation nicht überlastet, fliesst weniger verschmutztes Wasser in unsere Gewässer. Insbesondere die Fische sind im Sommer wegen der ansteigenden Wassertemperatur oft gestresst, das verschmutzte und oft warme Wasser ist eine zusätzliche Belastung für den aquatischen Lebensraum.

Win 5:  Intelligenterweise nutzen wir die Chance, und peppen unsere asphaltierten Böden nicht einfach mit sickerfähigem Material auf. Sondern schaffen wir inmitten unserer Städte möglichst viel blaugrüne Lebensräume für Pflanzen und Tiere – und damit auch für uns. Ein wichtiger Beitrag gegen das Artensterben.

Win 6: Je mehr Wasser, je mehr naturnahes Grün wir erleben können, desto lebenswerter werden unsere Quartiere. Sie werden schlicht immer schöner, auch dank Naturbeobachtungen im Alltag vor der Haustüre.  Die Luft wird frischer, das Grundwasser gefiltert. Wir schaffen Orte, an denen wir uns gerne aufhalten wollen und wir uns begegnen, ins Gespräch kommen können. Wir alle profitieren von der Schwammstadt, auch dank spürbar gesteigerter Lebensqualität.

Selbst Pflanzen in Kübel speichern etwas Wasser und sind kleine Schwammstadt-Elemente. Wer Platz für heimische Sträucher oder gar Bäume hat, trägt seinen Miniteil zur Schwammstadt bei und verbessert sein Mikroklima direkt vor der Haustüre.

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Autor:in: Bettina
Walch
Die ehemalige SRF-Kaderfrau Bettina Walch leitete zwei Jahre lang das SRF-Projekt «Mission B» für mehr Biodiversität und setzt sich heute mit ihrer Geschäftspartnerin Isabella Sedivy und ihrem Team bei Plan Biodivers und den Asphaltknackerinnen für naturnahe Lebensräume ein.
planbiodivers.ch
Kommentare
  • Avatar-Foto Christian Eggenberger:

    Grossartig, dass diese Themen publik werden, in gut verständlicher Form, einleuchtend. Erschreckend auch, dass wir (?), dh Stadtplaner, Arch und POLITIKER, so lange blind waren.
    Ich würde mich freuen, wenn Sie auch das unendlich zentrale Thema des Circular economy einbauen könnten!
    Also, bitte bleibt am Ball, die Parlamente & das Volk brauchen umsetzbare Visionen!

    • Go Green Logo Go Green:

      Danke fürs Feedback! Wir bleiben am Ball!

    • Avatar-Foto Bettina Walch:

      Danke, lieber Christian für dein schönes Feedback!

  • Avatar-Foto Hartmut Balder:

    Problem ist, dass weder die Schadstofffrachten noch die realen Auswirkungen auf unsere Stadtbäume bekannt sind!

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