Dominik Waser:
"Es ist scheinheilig,
jungen Menschen den
Konsum vorzuwerfen!"

6. Juni 2023

Der 25-jährige Dominik Waser macht für die Grünen Politik im Zürcher Gemeinderat. Im Interview mit Go Green redet er über den weiten Weg zur Velostadt, warum in Zürich viel mehr Photovoltaik auf die Dächer gehört und warum junge Menschen kaum weniger fliegen wie die älteren Generationen.

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Dominik Waser Konsum neu

Dominik Waser: „Die jungen Leute fliegen und essen Fleisch. Wie die Alten. Aber die Rahmenbedingungen haben frühere Generationen geschaffen. Wir sind so erzogen worden, dass Konsum das Grösste ist.“  Bild: zvg

Dominik Waser, wie bewegen Sie sich in der Stadt?

Zu Fuss, mit dem ÖV oder mit dem Velo – je nachdem, wohin ich muss, was ich dabei habe.

Ist das Velofahren in der Stadt Zürich ein gutes Erlebnis oder nicht?

Es ist nicht immer einfach. Eigentlich wäre es das beste Verkehrsmittel. Gleichzeitig ist es an gewissen Orten lebensgefährlich, mit dem Velo zu fahren.

„Viele wollen es nicht begreifen, dass das Auto und der grosse Verkehr aus der Stadt raus müssen“

Es gab bereits diverse politische Entscheide für eine Verlangsamung des Verkehrs und mehr Velowege. Trotzdem ist Zürich noch lange keine Velostadt. Warum?

Weil es einerseits etwas am politischen Willen zur Umsetzung fehlte. Und andererseits lässt sich eine Stadt wie Zürich auch nicht in ein oder zwei Jahren zur Velostadt umbauen. Wenn das Velo mehr Platz braucht, geht das auf Kosten des Autos. Natürlich haben wir es geschafft, den Parkplatz-Kompromiss zu beenden und aktiv Parkplätze abzubauen. Aber das ist nicht so einfach. Weil viele es nicht begreifen wollen, dass das Auto und der grosse Verkehr aus der Stadt raus müssen.

Bist du zufrieden mit den Velowegen in deinem Umkreis?

Warum funktionierts in Kopenhagen oder Teilen von Paris?

Dort haben sie einfach Autostreifen zu Velowegen umgebaut. Die Stadt Zürich wollte das nicht. Natürlich ist es an gewissen Stellen schwierig umzusetzen. Aber wir könnten viel mehr tun als im Moment. Und es kostet leider – gerade auch in der Stadt Zürich – immer wieder Menschenleben.

„Die Critical Mass in Zürich ist cool und wichtig“

Wie stehen Sie zu den Critical-Mass-Fahrten in Zürich?

Ich finde sie cool und wichtig. Es braucht den Druck der Strasse, um solchen Themen Nachdruck zu verleihen. Natürlich nerven sich dadurch auch Autofahrer, weil sie aufgehalten werden. Andererseits stehen sie auch ohne Critical Mass tagtäglich an vielen Orten der Stadt im Stau.

Velodemo Zürich

Protest der Critical Mass auf der Zürcher Hardbrücke: Das Velofahren in Zürich ist vielen immer noch viel zu gefährlich.  Bild: istock.com

Wäre es nicht schlauer, weniger konfrontativ Lösungen zu fordern? Viele, die mit grünen Ideen sympathisieren, finden ja auch Menschen, die sich auf die Autobahn kleben, kontraproduktiv.

Historisch gesehen wurden fast immer nur Lösungen erreicht, wenn den Leuten auf die Füsse gestanden wurde. Und es wird von SVP und FDP als Ausrede benutzt, den Status quo wenn möglich zu zementieren. Was die Velos auf den Strassen und unsere Forderungen betrifft: Sie werfen uns oft Ideologie vor, dabei ist es ideologisch zu sagen, die Gesellschaft wolle nur Autos auf den Strassen. Das Zeitalter des massiven motorisierten Individualverkehrs in den Städten ist bald vorbei.

„Ich will dass so wenige Elektroautos wie möglich auf den Strassen sind“

Wären Sie glücklich, wenn der derzeitige Autoverkehr zwar nicht verschwindet, aber elektrifiziert wird?

Es kommt drauf, wo und wie Elektroautos benutzt werden. Bei städtischen Müllautos mit Elektroantrieb bin ich voll dafür. Handwerker, Gewerbe und so weiter – überall dort sind Elektroantriebe sinnvoll. Der motorisierte Individualverkehr muss zuerst radikal reduziert und dann elektrifiziert werden. Ich will dass so wenige E-Autos wie möglich auf den Strassen sind.

Warum?

Es macht in Sachen Ressourcen keinen Sinn, wenn statt der Verbrenner dann sechs Millionen E-Autos rumfahren. Wir müssen den ÖV überall stärken – auch auf dem Land. Zudem müssen wir versuchen, unnötigen Verkehr zu vermeiden. Aber ja, ein Teil des Verkehrs wird mittelfristig bleiben. Und der soll zumindest elektrisch sein. Zum Glück geht die EU voran und verbietet die Verbrenner bis 2035. Wir sollten den Autobauern trotzdem auf die Finger schauen.

„Wichtig ist, dass wir mehr zur Sharing-Community werden“

elektrisches Müllauto

Elektro-Lastwagen für die Müllentsorgung – wie hier in Mailand – sind für Dominik Waser sinnvoll: „Dennoch will ich, dass sowenige E-Autos wie möglich auf den Strassen fahren.“  Bild: istock.com

Warum sind Sie so skeptisch?

Die ganzen Elektro-SUVs sind in Sachen Energie und Ressourcen ein Wahnsinn. Und sie gehören schon gar nicht in die Städte. Ich bin im Zürcher Oberland aufgewachsen. Natürlich braucht es dort eine andere Mobilität als in den Städten. Aber niemand braucht Elektro-SUVs. Wichtig ist, dass wir auch mehr zur Sharing-Community werden. Das Auto sollten wir – für Umzüge und andere Transporte – wenn immer möglich teilen.

Der Ukraine-Krieg und die weltweite Inflation bestimmen seit längerer Zeit die Agenda. Ist es gerade schwierig, grüne Stadtpolitik zu machen? Die Leute haben jetzt – glauben sie jedenfalls – wichtigere Sorgen.

Einerseits sind unsere Anliegen wichtiger denn je, andererseits ist es derzeit auch nicht einfach. Das gebe ich zu. Wir haben gerade im Ukraine-Krieg gesehen, dass diese Themen aber verknüpft sind. Die Abhängigkeit von Diktatoren beim Thema Energie beispielsweise wollen wir möglichst schnell loswerden. Darum macht es umso mehr Sinn, unabhängig zu werden und gleichzeitig klimafreundlich – sprich in erneuerbare Energien zu investieren. Gleichzeitig müssen wir Grünen schauen, dass der Zubau an Solarenergie nicht auf Kosten der Natur und der Biodiversität geht.

„Waffenlieferungen gehören nicht zu grünen Kernthemen. Aber das Recht auf Verteidigung spreche ich keinem Land ab“

Was ist Ihnen persönlich wichtiger?

Wir müssen beides zusammenbringen, das ist möglich. Jede Energieform ist letztlich ein Eingriff. Wir verändern die Erde. Wir müssen einfach die schonendste und zukunftsfähigste Variante aussuchen. Und: Wir müssen vor allem ernsthafter damit beginnen, die Energie effizienter zu nutzen und mehr zu sparen.

Wir müssen hier nochmal eine Klammer zum Ukraine-Krieg machen. Sie sind ein junger grüner Stadtpolitiker und haben nichts mit Weltpolitik zu tun. Trotzdem: Was dachten Sie darüber, als der deutsche Wirtschaftsminister der Grünen, Robert Habeck, sich zu Beginn des Jahres erfolgreich für Panzer-Lieferungen in die Ukraine stark machte? Nicht gerade Standard-Positionen für die Grünen, oder?

Die Zeiten verändern sich. Früher waren die Grünen auch nicht in der Regierung. Jetzt sind sie es. Und sie sind in meinen Augen die treibende Kraft in der deutschen Regierung. Sie müssen wichtige – und sicher nicht einfache – Entscheide treffen. Der pazifistische Gedanke ist bei den Grünen – auch bei uns – immer noch verbreitet. Waffenlieferungen gehören nicht zu unseren Kernthemen. Bei realen Bedrohungen müssen aber die Positionen immer überprüft werden. Das Recht auf Verteidigung spreche ich keinem Land ab. Die starke Militarisierung der Welt ist und bleibt aber ein Problem. Meine tiefe Überzeugung ist immer noch, dass Gewalt nicht mit mehr Gewalt gelöst wird.

Dass wir direkt betroffen sind, haben wir im Winter in der Debatte über eine drohende Stromlücke gesehen. Wir haben auch gesehen: Das Sparpotenzial beim Strom ist riesig.

Exakt. Wir haben gesehen, dass wir – ohne aus der Komfortzone zu gehen – bereits sehr viel Energie sparen können. Da liegt ein gewaltiges Potential brach. Wenn wir weniger Strom produzieren müssen, haben wir einen grossen Teil des Problems gelöst. Von daher: Die grünen Themen sind wichtiger denn je. Aber es ist nicht einfach, sie gegen gewisse Kräfte auf der Agenda zu behalten.

In der Schweiz wurde 2022 zusätzlich ein Gigawatt an Solarenergie installiert und…

… trotzdem geht es noch nicht schnell genug. Wir müssen den jährlichen Ausbau zumindest verdoppeln, um die Klimaziele zu erreichen. Zumal der Stromverbrauch eher noch steigt.

„Das Potential der Solarenergie auf Dachflächen müssen wir ausschöpfen, bevor wir die Alpen mit Giga-Solaranlagen zupflastern“

Balkonkraftwerk

Das eigene Balkonkraftwerk: Für immer mehr Leute ein Bedürfnis und ein grosser Trend.  Bild: istock.com

Finden Sie es gut, wenn möglichst viele auf ihrem Balkon auch noch ein kleines Solarkraftwerk installieren?

Wer ein Balkonkraftwerk will, soll sich das anschaffen. Relevant sind aber die grossen Flächen. Grosse Dachflächen auf Industriegebäuden beispielsweise. Ich persönlich habe auch nichts gegen Solaranlagen auf gewissen Freiflächen. Der Punkt ist, dass auf der bestehenden Infrastruktur der Stadt Zürich ein riesiges Potential besteht. Nur schon auf der Dachfläche. Wenn wir Fassaden dazunehmen, ist es noch viel mehr. Das sollten wir beherzigen, bevor wir die Alpen mit Giga-Solaranlagen zupflastern. Zumal es beispielsweise im Kanton Zürich jetzt sehr einfach ist, eine Anlage zu bauen. Weil es an den meisten Orten statt einer Baubewilligung nur noch ein Meldeverfahren gibt. Es wird immer einfacher.

„Viele Menschen fühlen sich machtlos und denken, sie könnten ja doch nichts erreichen“

Grüne Politik ist – lokal, regional, national – vor allem auch Klimapolitik. Sind die Menschen in dieser Thematik nicht etwas abgestumpft? Wie nehmen Sie es wahr?

Sicher nicht alle. Aber es stimmt schon, dass viele sich machtlos fühlen und denken, dass wir ja sowieso nichts erreichen können. Denn ja, wir sind mit vielen Klimamassnahmen weit im Rückstand. Und wir haben immer noch kein Gesetz, das vereinbar ist mit dem Pariser Abkommen. Ich verstehe den Frust vieler Leute. Gerade wir in der Schweiz sollten mit unseren Möglichkeiten als gutes Beispiel vorangehen.

2019 gab es nicht nur eine grüne Welle bei den Wahlen, sondern auch grosse Klimaproteste im Land. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Glauben Sie, dass die Bedrohung zuwenig wahrgenommen wird, weil sie in der Schweiz nicht unmittelbar wahrnehmbar ist?

Absolut. Die Klima-Bedrohungen werden für viele als derzeit nicht existentiell wahrgenommen. Wir jungen Menschen, die damals auf die Strasse gingen, hatten eine gesunde Portion Ideologie dabei. Wir dachten, wir machen Druck, die Politik ist zum Handeln aufgefordert. Dann passierte nicht viel. Das frustriert. Trotzdem müssen wir dran bleiben und weiter an den grossen Veränderungen arbeiten. Und wir dürfen nicht vergessen, dass auch viele kleine Schritte etwas verändern.

„Die Landwirtschaft ist beispielsweise übermässig stark von der Klimakrise betroffen. Das wissen und sehen die Bäuer:innen selbst“

Sie sind jung. Leben in einer Stadt, die politisch von linken Kräften dominiert wird. Leben Sie in einer gedanklichen Blase? Und können Sie verstehen, wenn junge Leute auf dem Land ganz andere Sorgen haben?

Natürlich lebe auch ich in einer Blase. Wie jeder Mensch. Das kann ich nicht abstreiten. Aber ich versuche immer, mich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen. Ich bin ja im Zürcher Oberland aufgewachsen. Linksorientierte Menschen in der Stadt werden immer als etwas weltfremde Schar abgestempelt. Natürlich gibt es hier prozentual mehr Akademiker:innen. Aber viele sind durchaus nicht nur auf ihre Positionen fixiert. Ich habe Landschaftsgärtner gelernt, habe im Service gearbeitet. Ich weiss wie es ist, in de Gastro oder auf der Baustelle zu arbeiten und dabei viel zu wenig zu verdienen. Grüne Politik muss und kann genauso auch für diese Menschen da sein, die weniger privilegiert sind.

Wie?

Auch auf dem Land gibt es mehr progressiv denkende Menschen. Da geht es einfach auch um die richtige Themensetzung. Die Landwirtschaft ist beispielsweise übermässig stark von der Klimakrise betroffen. Das wissen und sehen die Bäuer:innen selbst. Trotzdem ist die SVP, welche jetzt auch das Klimaschutzgesetz wieder bekämpft, dort stark verankert. Wir müssen diesen Widerspruch vermehrt aufzeigen. Die Politik der SVP wird ihre Lebensgrundlage zerstören. Wir müssen aufzeigen, wie wichtig Klimapolitik und Biodiversität für die Landwirtschaft ist. In der Stadt ist es derzeit viel einfacher, klimafreundlich zu leben. Wir müssen auch die Infrastruktur auf dem Land entsprechend umbauen.

„Ich kann punkto Konsum nicht nachvollziehen, dass so stark mit dem Finger auf die Jungen gezeigt wird“

Junger Mann Flughafen

Auch die Jugend fliegt nach Corona wieder: Die Klimakrise scheint hier keine Verhaltensänderung zu bewirken.  Bild: istock.com

Inwiefern ist klimafreundliches Leben eine Generationenfrage? Konsumiert die heutige Jugend nicht genauso wie jede Generation vor ihr?

Natürlich gibt es jede Schattierung. Jene, die klimafreundlich essen, einkaufen, reisen. Und jene – oft die finanziell Privilegierten – welche sich alles leisten. Ohne Rücksicht auf Verluste. Aber ich kann nicht nachvollziehen, dass so stark mit dem Finger auf die Jungen gezeigt wird. Sie haben – auch wegen der fehlenden Kaufkraft – noch keine Autos, keine Häuser. Aber sie leisten sich ein Handy. Das ökologisch auch nicht optimal ist, aber nichts im Vergleich mit den grossen Anschaffungen.

Wir haben in den Frühlingsferien gerade eine Rekordzahl von Flügen registriert – auch die Jugend fliegt ungebrochen gerne.

Das ist so. Die jungen Leute fliegen und essen Fleisch. Wie die Alten. Aber die Rahmenbedingungen haben frühere Generationen geschaffen. Wir sind so erzogen worden, dass Konsum das Grösste ist. Wir müssen uns fragen, warum wir an diesem Punkt sind. Es wird von den älteren Generationen gerne abgelenkt und gesagt: Schau, die Jungen machens ja auch nicht. Also kann ich so weiterleben.

„Wir müssen eine Landwirtschaft haben, die umweltfreundliche Produkte herstellt“

Wie klimafreundlich essen Sie?

Ich esse überwiegend pflanzlich.

Kann ein klimabewusster Mensch mehr als einmal pro Woche Fleisch essen?

Fakt ist, dass wir den Konsum tierischer Produkte massiv herunterfahren müssen. Ob wir das gerne haben oder nicht. Wir müssen aber eben auch anders produzieren. Wir müssen die Landwirtschaft verändern. Eine Landwirtschaft haben, die umweltfreundlichere Produkte herstellt. Das funktioniert nur Hand in Hand. Auch hier ist das System falsch. Die Fleischindustrie wird vom Steuerzahler noch immer stark mit Subventionen unterstützt, während pflanzliche Alternativen es kaum sind. Neben der Energie-Thematik ist die Landwirtschaft – respektive ihre Produkte und das Thema Food Waste – das zweite grosse Problem, das wir angehen und transformieren müssen.

Glauben Sie daran, dass das Klimaschutzgesetz angenommen wird? Und was würde es über die Schweiz aussagen, falls es abgelehnt wird?

Das Klimaschutzgesetz ist noch nicht in trockenen Tüchern. Wir müssen mobilisieren, doch mit unserer starken und sichtbaren Kampagne werden wir diesen wichtigen Sieg erringen. Alles andere wäre peinlich für die Schweiz. Es wäre quasi der Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen. Daran will ich gar nicht denken.

Dominik Waser ist seit einem Jahr Gemeinderat für die GRÜNEN in der Stadt Zürich. Er wurde 2022 fast in den Stadtrat gewählt. Zuvor war Dominik aktiv in der Klimastreikbewegung, bei der Pestizid-Initiative und hat den Verein Landwirtschaft mit Zukunft sowie grassrooted mitgegründet. Aktuell macht er Kampagne fürs JA zum Klimaschutz-Gesetz.

 

Hier gehts zum Interview mit GLP-Vizepräsidentin Melanie Mettler!

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Autor:in: Christian
Bürge
Der Journalist ist Co-Founder und Chefredaktor des Magazins
Go Green.
www.christianbuerge.com
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