Experte: "Nachhaltige Flugtreibstoffe sind nicht die Lösung"

5 Minuten
16. August 2024

Der Umweltingenieur Christoph Meili sagt, dass beim Fliegen sogenannt klimafreundliche Treibstoffe den Treibhauseffekt trotzdem befeuern und dazu zu einem Rebound-Effekt führen können. Wer in Europa umweltbewusst reisen wolle, solle den Zug vorziehen. Er erklärt auch, dass im Individualverkehr künftig kein Weg am Elektroauto vorbeiführt, warum Wasserstoff höchstens bei Lastwagen eine Rolle spielt und wie zentral bidirektionales Laden wird.

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Nachhaltige Flugtreibstoffe

Umweltfreundliches Fliegen? Das klappt vorläufig auch mit den „sustainable aviation fuels“, den nachhaltigen Treibstoffen, nicht.  Bild: istock.com

Christoph Meili, die Flugindustrie schreibt sich auf die Fahne, in Zukunft mehr nachhaltige Flugtreibstoffe zu verwenden. Inwiefern gibt es hier wirklich Fortschritte?

Das eine sind die synthetischen Treibstoffe, die man mit Ökostrom generiert. Unternehmen wie Synhelion, welche Treibstoff aus Sonnenenergie und eingefangenem CO2 herstellen, wachsen massiv. Aber da steckt man halt Strom rein, der andernorts auch gebraucht werden könnte. Zudem bewirkt der bei der Verbrennung erzeugte Wasserdampf (wie bereits beim fossilen Kerosin) eine zusätzliche Wolkenbildung, welche den Treibhauseffekt weiter verstärkt. Deshalb sind solche «sustainable aviation fuels», kurz SAF nicht die Lösung. Auch wenn sie den Bedarf an fossilen Treibstoffen reduzieren. Wenn es zum Rebound-Effekt führt, weil die Leute dann denken, sie könnten dank diesen Treibstoffen klimafreundliche Sommerferien machen, dann ist es sogar kontraproduktiv. Den Strom für die Herstellung der SAF verwendete man besser für Elektro-LKWs oder Wärmepumpen. Denn schnelle Fernreisen sind kein Grundbedürfnis wie die Versorgung mit Nahrungsmitteln oder das Wohnen in wohl temperierten Räumen.

„Flugzeuge mit Brennstoffzellen-Antrieben könnten ab 2035 Realität sein“

Wie sieht die Entwicklung bei rein batteriebetriebenen Elektroflugzeugen aus?

Leider habe heute verfügbare Batterietypen eine zu geringe Energiedichte, das heisst, sie sind zu schwer, als dass damit Langstreckenflüge mit grösseren Passagier- oder Transportflugzeugen möglich wären. Es wird jedoch fleissig an Hybrid- und Brennstoffzellen-Antrieben geforscht, wobei die entstehenden Wasserdampfemissionen innerhalb des Flugzeugs zurückbehalten werden könnten. Grössere Flugzeughersteller gehen davon aus, dass zumindest Kurzstreckenflüge von etwa 2000 km ab 2035 mit kleineren solchen Flugzeugtypen für um die 100 Passagiere möglich sein sollten. Allerdings würde man solche Destinationen, zumindest in Europa, grundsätzlich auch gut mit dem Zug erreichen.

Auf welche Entwicklung im Mobilitätsbereich hoffst du?

Die Airline Ecojet des britischen Unternehmers Dale Vince will ja mit Wasserstoff-Elektroantrieben noch dieses Jahr abheben. Es könnte also bereits früher losgehen mit sauberem Fliegen?

Prototypen gibt es bereits einige, allerdings handelt es sich dabei vorerst um entweder sehr kleine Flugzeuge mit 1 bis 2 Passagieren oder Flugzeuge mit sehr geringer Reichweite. Bis die fossil betriebenen Flugzeuge vom Markt gehen können und Flugzeuge – wie von Ecojet angesagt – dominieren wird es also noch etliche Jahre dauern. Daher gilt bei Fernreisen bis auf weiteres: Zug statt Flug.

„Die SBB hat eigene Wasserkraftanlagen und ist beim Strommix sehr ökologisch unterwegs“

Wenn Sie schon den Zug ansprechen: Experten sagen, dass ein vollbesetztes Elektroauto in Sachen klimafreundlichem Reisen fast mithalten kann. Wie sieht die Datenlage exakt aus?

Ein Elektroauto mit dem Schweizer Strommix steht gemäss aktuellen Ökobilanzzahlen (Mobitool 2023) etwa bei 30g CO2-Äquivalenten pro Personenkilometer – wenn wir zu fünft im Auto fahren. Der Regionalverkehr mit der S-Bahn steht bei 8 Gramm, der Bahn-Fernverkehr bei 7 Gramm und der Durchschnitts-ÖV mit Bahn, Bus und Tram bei 25g CO2-Äquivalenten. Dies, weil Busse übers Jahr verteilt oft auch schlecht ausgelastet fahren und so zu deutlich höheren Werten pro Personenkilometer kommen. Heisst: Der Zug und der durchschnittliche ÖV bringen einen immer noch umweltschonender ans Ziel als ein voll ausgelastetes E-Auto. Für Personen an entlegenen Wohnorten, wo die ÖV-Anbindung schlecht oder nur mit schlechter Auslastung angeboten werden könnte, kann eine E-Auto-Fahrgemeinschaft jedoch eine umweltschonende Alternative darstellen.

Zug nachhaltig

Kein anderes Verkehrsmittel kommt in der Schweiz punkto Nachhaltigkeit nur annähernd an die Züge der SBB heran – die Züge im Ausland sind aber  nicht ganz so klimafreundlich.  Bild: istock.com

Mit welchem Strom fährt die SBB?

Die SBB hat eigene Wasserkraftanlagen und ist beim Strommix daher sehr ökologisch unterwegs. Wasserkraft aus grösseren Anlagen ist noch besser als Ökostrom, der aus einem Mix aus Photovoltaik, Wind, Wasserkraft, Biogas etc. generiert wird. Damit hat die SBB bisher einen deutlich ökologischeren Strommix als viele Züge im nahen Ausland. Denn diese fahren aktuell noch häufig mit Kohle- oder AKW-Strom oder gar mit Diesel. Verglichen damit ist ein vollbesetztes E-Auto dann klar umweltfreundlicher.

Wie schneiden die Züge im Ausland im Vergleich ab?

Frankreich steht im Schnitt bei 13 Gramm CO2-Äquivalenten pro Personenkilometer – sowohl beim Durchschnitt als auch bei den Hochgeschwindigkeitszügen (TGV). Der ICE in Deutschland verursacht im Schnitt 30 Gramm, Italiens Züge im Schnitt 60 Gramm. Die Emissionen sind bei einer Bahnfahrt in Italien also rund 8 Mal höher als in der Schweiz.

„Wer braucht beim E-Auto denn schon 500 Kilometer Reichweite?“

Welches sind die grössten Fortschritte bei den Elektroautos? Die Reichweite? Die Recycling-Fähigkeit?

Das sind sicher zwei wichtige Faktoren. Bei der Produktion gibt es keine allgemeingültigen Aussagen. Die einen arbeiten mit etwas mehr Ökostrom und brauchen etwas weniger Wasser. Tendenziell arbeiten sie zweifellos mit mehr Photovoltaik und darum wird es ökologischer. Aber vieles steht und fällt mit der Produktion und der Recyclingfähigkeit der Akkus. Das Problem ist, dass die Tendenz auch da in Richtung überdimensionierte Autos mit überdimensionierten Akkus geht. Wer braucht im Alltag denn schon 500 Kilometer Reichweite? Generell wächst die Ladeinfrastruktur in Europa laufend. Im DACH-Raum gibt es im Schnitt alle zwei km eine Ladestation.

Will ich weitere Distanzen fahren, lohnt sich aus ökologischer Sicht auch der Fernbus.

Absolut. Ein mit Diesel betriebener Fernreisebus verursacht beispielsweise im Schnitt etwa 45 Gramm CO2-Äquivalente pro Person und Kilometer und liegt damit zwischen deutschem ICE und italienischen Fernreisezügen.

„Biodiesel hat keine Zukunft. Die Zukunft von Transportmitteln wie Bussen wird elektrisch sein“

Das Schweizer Unternehmen Twiliner bietet ab 2025 Nachtbusse mit Liegesitzen an. Sobald sie mit Biodiesel fahren, seien Sie ebenbürtig mit dem Zug, sagen sie. Kommt das hin?

Sicher ist, dass Biodiesel nicht die Zukunft ist. Die Zukunft für solche Transportmittel wird elektrisch sein. Für alle Distanzen, die für Reisende an einem Stück akzeptabel sind. Biogene oder synthetische Energieträger sollten besser dafür verwendet werden, um allfällige Stromlücken im Winter zu überbrücken (oder bei genügend technischem Fortschritt in Brennstoffzellenflugzeugen). Aber für Transporte auf der Strasse braucht es meiner Meinung nach keinen Flüssigtreibstoff. Lieber eine etwas schwerere Batterie.

Biodiesel ist also eine Sackgasse?

Es gibt auch zu wenige sinnvolle Quellen für Biodiesel. Eigentlich wären dies vor allem Nahrungsmittelabfälle. Wenn extra Maisfelder angebaut werden, um daraus Biodiesel zu gewinnen, ist das ein ökologischer Schwachsinn. Zudem kann es auch zu absurdem Verhalten wie in der Grossgastronomie führen, wenn beispielsweise Frittieröl viel schneller ausgetauscht wird, als aus hygienischen Gründen angezeigt, nur weil dieses bereits genutzte Speiseöl danach ertragreich weiterverkauft werden kann für die Biotreibstoffproduktion.

„Die Erdölproduzenten versuchen den letzten Tropfen Öl rauszuquetschen“

Ist die Batterietechnik für Langstreckenbusse noch nicht soweit? Im Stadtverkehr funktioniert das ja bereits.

Ja, bei Stadtbussen ist der Trend klar elektrisch. Weil die Lade-Infrastruktur auch problemlos bereitgestellt werden kann. Bei den Reisebussen sind die Anbieter wahrscheinlich noch unsicher, ob sie dann nicht irgendwo in Osteuropa stecken bleiben. Vor allem aber hat die Industrie noch ein Interesse, die fossile Infrastruktur weiter zu nutzen. Da ist meiner Meinung nach auch viel Lobbyarbeit von Erdölproduzenten dabei, da sie möglichst lange dabeibleiben wollen, um den letzten Tropfen Öl rauszuquetschen.

Elektrischer Stadtbus

Elektrobusse – wie hier in Mailand – können in vielen Städten bereits problemlos laden. Das Netz für Fernreisen ist jedoch noch nicht so gut ausgebaut.  Bild: istock.com

Was ist mit Power-to-Gas, respektive Power-to-X, wo mit überschüssiger Energie eben beispielsweise Wasserstoff oder Methan hergestellt wird? Hat das Zukunft? Wo steht da die Forschung?

Ja, bei Power-to-Gas könnte man den Überschussstrom in die Gasgenerierung stecken und das Gas für den Winter speichern. Das macht aber nur für Wärmeenergie Sinn, nicht für Fahrzeuge. Denn ein Verbrennermotor ist hochgradig ineffizient. Nur ein Viertel geht in die Fortbewegung, dreiviertel in die Wärmeproduktion. Und diese Abwärme verpufft insbesondere im Sommer komplett ungenutzt.

„Das Wasserstoffauto ist hochgradig ineffizient“

Darum – denken Sie – hat auch das Wasserstoffauto keine Zukunft?

Es ist hochgradig ineffizient, ja. Ich sehe das höchstens für LKWs, die zwingend mehrere tausend Kilometer am Stück fahren können. Aber auch ein LKW-Fahrer muss ja seine Pausenzeiten einlegen, und mit High-Power-Charging können innerhalb weniger Minuten 100 km Reichweite nachgeladen werden. Zudem würde sich für solche Langstreckentransporte wohl sowieso die Verlagerung auf Bahn und Schiff lohnen.

„Bidirektionales Laden könnte zu einer grossen Entlastung unserer Stromversorgung führen“

In der Mobilität der Zukunft wird viel von bidirektionalem Laden gesprochen. Die Autobatterie als Zwischenspeicher fürs Stromnetz. Warum sind wir noch nicht soweit?

Die Technologie ist vorhanden. In Japan verfügen zum Beispiel alle Elektroautos über diesen Standard. Jedes abgestellte Auto, könnte also im Bedarfsfall als Ausgleichspeicher fürs Netz dienen. Auch bei uns könnte eine solche Pflicht zu einer grossen Entlastung unseres Stromversorgungsnetzes führen. Durch gebündeltes Laden und Entladen von Fahrzeugen können Überlastungen des Netzes – zum Beispiel durch unregelmässig einspeisende Solarstrom- oder Windkraftanlagen – abgebaut werden. 100’000 ans Netz angeschlossene Elektrofahrzeuge mit je 10 Kilowatt stellen eine dezentrale Regelleistung von einem Gigawatt dar. Dies entspricht der Leistung des grössten Schweizer Pumpspeicherwerks Limmern. Die Hälfte der in den 100’000 Batterien speicherbaren Energie reicht aus, um 200’000 durchschnittliche Einfamilienhäuser einen Tag lang mit Strom zu versorgen. Wegen dieses zusätzlichen Speicherpotenzials und dem guten Zusammenspiel mit erneuerbaren Energiequellen – Nutzung von PV-Strom auch in der Nacht oder Wind-Strom bei Windflaute –  fördern einige Kantona das bidirektionale Laden bereits.

 

Christoph Meili ist Senior Manager Sustainable Markets und Umweltingenieur MSc. ETH beim WWF Schweiz

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Autor:in: Christian
Bürge
Der Journalist ist Co-Founder und Chefredaktor des Magazins
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www.christianbuerge.com
Kommentare
  • Avatar-Foto Adelbert Pfister:

    Auch das Elektroauto wird nicht die Lösung beinhalten, unseren Klimawandel aufzuhalten. Wir sind mindestens 80 Jahre im Verzug, um eine Rückkehr zu ehemaligen Verhältnissen zu erreichen. Die Gletscherschmelze lässt grüssen und die einstigen Wintermonate bleiben nur Erinnerungen!

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