Strom dank Flugdrachen: Die Flugwindkraftanlage auf Mauritius speist mit einem einzigen Drachen bereits 400 Megawattstunden Strom pro Jahr ins Netz ein. Damit könnten in Mitteleuropa rund 200 Haushalte für ein Jahr mit Strom versorgt werden. Bild: SkySails Group
Stephan Wrage: Der Flugdrachen ist an einem Kunststoffseil befestigt, das von einer Winde am Boden abgerollt wird. Mithilfe eines Start- und Landemasts lassen wir den Drachen auf eine Höhe von etwa 150 Metern steigen. Angetrieben von der Kraft des Windes beginnt er dann, in der Form von Schleifen zu fliegen. Dabei wird das Seil von der Winde nach und nach abgerollt. Die daraus entstandene Zugkraft treibt einen Generator in der Winde an. Und der Generator produziert dann Strom.
„Auf 800 Metern Höhe kommt der Flugdrachen im Sturzflug auf die Ausgangshöhe zurück“
Sobald das Seil seine maximale Länge von 800 Metern erreicht hat, kippen wir den Drachen und er kommt per Autopilot im Sturzflug auf die Ausgangshöhe von 150 Meter zurück. Das Seil wird dabei mithilfe des Generators wieder aufgerollt, ähnlich wie bei einem Jo-Jo. Dazu wird ein kleiner Bruchteil der eben gewonnenen Energie genutzt, rund fünf bis zehn Prozent. Dann geht der ganze Prozess von vorne los. Die Flugführung funktioniert bereits vollautomatisch, auch das Starten und Landen klappt unter den meisten Bedingungen automatisiert. Wir nutzen einen Flugroboter, der in einem Kasten unter dem Drachen hängt.
„Ich dachte, die Windenergie da oben muss man doch nutzen können“
Als Hamburger segle ich schon immer gerne und liess als Teenager auch ab und zu Drachen steigen. Eines Tages war auf dem Segelboot nichts los, es war zu wenig Wind da. Aber als ich am gleichen Tag und unter den gleichen Bedingungen einen Drachen steigen liess, hat er richtig stark gezogen und mich meterweit über den Nordseestrand geschleift. Da dachte ich, die Windenergie da oben müsste man doch nutzen können, um das Segelboot anzuziehen. Diese Idee hat mich nicht mehr losgelassen. 2001 gründete ich dann SkySails.
„Wir wollten durch die Kraft des Windes zunächst grosse Frachtschiffe antreiben. Ich halte die Idee immer noch für zukunftsweisend“
Genau, zunächst war die Vision, durch die Kraft des Windes grosse Frachtschiffe anzutreiben. Ich halte die Idee immer noch für zukunftsweisend, aber damals waren wir mit unserem Produkt zu früh dran und die Schifffahrtskrise hat uns zusätzlich ausgebremst. Also fragte ich mich, wie sich die Kraft der Drachen anders nutzen lässt. 2016 haben wir uns bei SkySails dann dazu entschieden, die Flugdrachen zur Erzeugung von Strom zu nutzen. Dank unserer jahrzehntelangen Erfahrung aus der Schifffahrt, konnten wir unsere Idee schnell in die Tat umsetzen: 2019 nahmen wir unsere Pilotanlage in Klixbüll, einer Gemeinde in Schleswig-Holstein, in Betrieb.
Wir sind ans Netz angeschlossen und können aktuell 120 Kilowatt Stunden Strom pro Jahr einspeisen. Die Anlage dient aber der Weiterentwicklung unserer Technologie, das ist kein kommerzieller Betrieb. Unsere erste kommerzielle Flugwindkraftanlage haben wir 2021 auf Mauritius installiert.
Dort können wir mit nur einem Drachen schon rund 400 Megawattstunden Strom pro Jahr ins Netz einspeisen. Damit könnten in Mitteleuropa etwa 200 Haushalte für ein Jahr mit Strom versorgt werden, auf Mauritius sogar noch etwas mehr. Die Anlage wollen wir schrittweise optimieren. Unser Ziel ist es, bis zu 800 Megawattstunden Strom produzieren zu können.
Unsere Drachen sind 120 bis 250 Quadratmeter gross und bestehen aus handelsüblichen Segeltüchern, sowie Spezialtüchern. Ein 200 Quadratmeter grosser Drachen wiegt etwa 50 Kilogramm. Je nach Standort sind die Drachen immer etwas verschieden. Für Standorte mit sehr starken Winden müssen die Drachen schwerer sein als für Standorte, wo vorwiegend Leichtwinde herrschen.
„Auch in sehr abgelegenen Regionen können unsere Drachen Strom produzieren“
Unsere Windkraftanlagen lassen sich an vielen Standorten aufstellen, die für Windräder nicht geeignet sind. Allein in Deutschland, wo wir unsere Anlagen auch produzieren, haben wir eine Kapazität von mindestens 20 Gigawattstunden installierbarer Leistung. 90 Prozent dieser Flächen sind Stellen, die für Windräder ungeeignet sind, wie zum Beispiel Moorböden. Unternehmen können unsere Drachen zudem zur Eigenstromversorgung nutzen. Auch in sehr abgelegenen Regionen können unsere Drachen Strom produzieren, das beweist unsere Anlage auf Mauritius. In solchen isolierten Regionen stellen wir eine Alternative zur schmutzigen Dieselverstromung dar. Und selbst in Gegenden, die oft von starken Stürmen und Unwettern heimgesucht werden, können wir unsere Anlagen aufstellen. Wird das Wetter zu schlecht, nimmt man den Drachen einfach aus der Luft und lässt ihn später wieder steigen.
„Wir brauchen derzeit eine Freifläche mit einem Radius von 850 Metern“
Natürlich sollte guter Wind vorhanden sein. Dann dürfen wir aktuell noch keine Infrastruktur wie Gleise, oder Autobahnen überfliegen. Das heisst, wir brauchen eine Freifläche mit einem Radius von 850 Metern. Das wird sich ändern, wenn wir nachgewiesen haben, dass unsere Drachen kein Sicherheitsrisiko darstellen. Dafür braucht es aber sehr viele Praxisdaten, die wir erst noch sammeln müssen. Um keine Gefahr für Kleinflugzeuge darzustellen, haben wir ein Luftraumintegrationskonzept entwickelt und wollen die Drachen in Zukunft kennzeichnen, damit Pilotinnen und Piloten sie umfliegen können.
Dafür reicht schon eine Windstärke von drei bis vier Metern pro Sekunde, was sehr wenig ist. Unsere Drachen fliegen üblicherweise auf einer Höhe von rund 450 Metern, maximal erreichen sie eine Höhe von 750 Metern. Da toben ordentliche Höhenwinde, selbst wenn am Boden nur ein laues Lüftchen weht. Windräder mit ihrer durchschnittlichen Höhe von 90 bis 130 Metern kommen da gar nicht ran. Höhenwinde sind als Ressource bislang völlig ungenutzt.
„Für ein Windrad ist ein in der Tiefe verankertes Fundament mit über 1’000 Tonnen Stahl nötig“
Bei gleichem Ertrag kommen wir mit fast 90 Prozent weniger Materialeinsatz aus. Hinzu kommt eine einfache Logistik, die Anlage ist schnell aufgestellt, die baulichen Massnahmen minimal. Das System ist containerisiert und damit einfach zu transportieren. Während für ein Windrad ein in der Tiefe verankertes Fundament mit über 1’000 Tonnen Stahl nötig ist, kommen wir mit ein paar Betonplatten aus. Wir greifen also auch weniger in die umliegende Flora und Fauna ein. Zudem sind unsere Anlagen zwar hörbar, aber nicht laut. Die Anwohnerinnen und Anwohner in Klixbüll fühlen sich jedenfalls nicht gestört.
Eine Offshore-Windfarm im Kattegat vor Dänemark – um Windräder im Meer zu installieren, braucht es einen Unterbau von 5’000 bis 6’000 Tonnen Stahl, der mit Seilen auf dem Meeresboden festgespannt werden muss. Bild: istock.com
Wir gehen von 25 Jahren aus, regelmässige Wartungen vorausgesetzt. Für die Zukunft suchen wir noch nach einem Weg, wie wir unsere Drachen rezyklieren können, wenn sie am Ende ihrer Nutzungsdauer angekommen sind.
„Es wird ein wettbewerbsfähiger Strompreis entstehen“
Noch sind unsere Anlagen nicht günstiger als klassische Windkraftanlagen, weil wir noch nicht ganz in der Serienfertigung angekommen sind. Aber in der Höhe, in der unsere Drachen fliegen, haben wir auch mehr Wind. Das bedeutet höhere Erträge. Zusammen mit dem niedrigeren Materialeinsatz wird ein wettbewerbsfähiger Strompreis entstehen.
Die Produktion der Skysails-Anlagen in Deutschland: In den nächsten Jahren sollen hunderte Anlagen auf der ganzen Welt installiert werden, um Strom per Flugdrachen zu generieren. Bild: SkySails Group
Es geht nicht darum, anderen Produktionsweisen von grünem Strom den Rang abzulaufen. Im Mix liegt die Zukunft. Wie gross der Anteil des produzierten Stroms mit unseren Flugwindkraftanlagen im Energiemix sein wird, können wir heute noch nicht genau sagen. Fest steht aber: die Drachen werden eine wichtige und notwendige Säule in der Energiewende sein.
Wir haben bereits weitere Anlagen in unserer Fabrik in Seevetal produziert, das Interesse ist gigantisch. Wir sind jetzt langsam dabei, in die Serienfertigung zu gehen, ab 2026 werden wir definitiv seriell produzieren. In den nächsten fünf Jahren werden wir hunderte Anlagen auf der ganzen Welt installieren und diese auch in Windparks gruppieren. Wenn wir zehn Jahre und mehr in die Zukunft schauen, sollen unsere Drachen auch Offshore zum Einsatz kommen. Auf dem Meer können wir das Potenzial der Drachen voll ausnutzen.
„Um etwas auf der Welt zu verändern, muss man neue Dinge ausprobieren“
Unsere Flugwindkraftanlagen können einfach auf einer Schwimmboje sitzen. Um diese am Meeresboden festzumachen, reicht klassisches Ankergeschirr aus der Schifffahrt aus. Um Windräder im Meer zu installieren, braucht es hingegen einen Unterbau von 5’000 bis 6’000 Tonnen Stahl, der mit Seilen auf dem Meeresboden festgespannt werden muss. Das ist im Vergleich eine enorme Materialschlacht.
Um etwas in der Welt zu verändern, muss man neue Dinge ausprobieren. Wenn es nicht klappt, kann man immer noch etwas anders machen. Die Frage war deshalb nie, ob es was wird, sondern wann und wie.
Stephan Wrage, 51, ist Wirtschaftsingenieur und hat SkySails im Jahr 2001 gegründet. Heute beschäftigt das Unternehmen mit Sitz in Hamburg rund 100 Mitarbeitende. Wrage ist Vorsitzender der Geschäftsführung und verantwortet Vertrieb, Marketing sowie Business-Development. 2008 wurde er vom World Wildlife Fund (WWF) und dem Magazin Capital zum „Ökomanager des Jahres“ gekürt.
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