Der Honda e:Ny1 in Mailand: Der japanische Hersteller hat mit dem elektrischen Kleinwagen-SUV ein spritziges Auto mit solider Reichweite auf den Markt gebracht. Bild: Bernard van Dierendonck
«Haben Sie eine Kristallkugel?», antwortet mir Hondas Pressesprecher. Wäre ich ein Autojournalist, dann hätte ich die Frage nach dem Verkaufstermin des SUSTAINA-C nicht stellen müssen. Denn Profis wissen, dass ein «Concept Car» soviel mit einem bald erhältlichen Automodel zu tun hat, wie beispielsweise eine Klimakonferenz mit der Rettung der Klimakrise. Schade eigentlich, denn der schnuckelige Kleinwagen wäre eine sinnvolle Neuigkeit im Reigen der Elektroautos gewesen.
Während sich die meisten e-Autobauer mit grösser, stärker und mehr Reichweite zu übertrumpfen versuchen, hätte man hier einen Akzent in Richtung leichter, effizienter und stadttauglich gesetzt. Dieses Concept Car sieht dem inzwischen eingestellten Honda-e sehr ähnlich und ist ein Hingucker: Die Karosserie erinnert optisch an feinstem italienischen Marmor und die Solarpaneele auf Kühlerhaube und Dach unterstreichen das verspielte Design.
Nachhaltigkeit im Kreuzgang – Stoffe aus Orangenschalen
Trotzdem, der SUSTAINA-C ist nicht einfach nur eine PR-Aktion. Erstmals ausserhalb von Japan wird der Wagen im April 2024 an der »Milano Design Week», der weltweit grössten Design Messe präsentiert. An verschiedenen Orten in der Stadt werben an diesem Anlass auch viele andere Produzent:innen in der Stadt des guten Geschmacks um Aufmerksamkeit. Honda präsentiert seine Produkte im Kreuzgang des Museo Diocesano. In den Gefilden des uralten Dominikanerklosters übertrumpfen sich verschiedene Anbieter mit Ideen zur Nachhaltigkeit. So werden Stoffe fabriziert aus Orangenschalen gezeigt, eine Initiative verschreibt sich der Förderung von italienischem Obst und Gemüse, das Museo della Merda demonstriert, wie aus Kuhfladen Strom und Töpferwaren entstehen oder Capsula Mundi preist biologisch abbaubaren Urnen für die letzte Reise an. Auch der farbig schillernden Glaspavillon des Auto- und Motorradbauers setzt ein Zeichen für die Nachhaltigkeit.
Hondas Concept Car SUSTAINA-C mit Solarpaneelen auf Kühlerhaube und Dach. Bild: Bernard van Dierendonck
Ein Auto aus Rücklichtern
Denn hinter SUSTAINA-C steht ein spezieller vom japanischen Hersteller entwickelter Kunststoff. Dieser wird aus ausgedienten Autorücklichtern gewonnen, welche in einem chemischen Verfahren bis auf die Molekularebene zerlegt werden. Hondas Jungdesigner Kento Ishii zeigt mit dem im Pavillon ausgestellten Auto und einem im Kofferraum verstaubaren Elektroroller, was man mit diesem Material alles so anstellen kann.
Nachhaltig an diesem Kunststoff ist nicht nur das Upcycling sondern auch der Fakt, dass man dieses Material bereits bei der Herstellung einfärben kann. So entfällt das sehr energie- und CO2-intensive Lackieren der Karosserie. Gemäss Honda könnten damit bei der Fertigung des Fahrzeugs – also beim finalen Zusammenbau aller einzelnen Komponenten – bis zu 40 Prozent des CO2 Ausstosses eingespart werden.
Auch der E-Roller SUSTAINA-C Pocket Concept ist aus dem recycelten Kunststoff gefertigt. Bild: Bernard van Dierendonck
Die Honda-Zukunft: Ab 2040 keine Verbrenner mehr
Der japanische Autobauer möchte mit der Design-Studie auch auf seine Anstrengungen im Klimaschutz aufmerksam machen. Im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen strebt Honda netto Null bis 2050 an. Dies bezogen auf das Unternehmen und die Produkte. Heute bietet die Firma in Europa noch einen reinen Verbrenner an. Die anderen Autos sind mehrheitlich mit Hybrid-Antrieb unterwegs. Rein elektrisch gibt es momentan nur ein Model, den kleinen SUV e:Ny1. Bis 2040 soll in keinem Honda mehr Benzin oder Diesel verbrannt werden, das Angebot wird dann ausschliesslich aus vollelektrische Autos und solchen mit Brennstoffzellen bestehen. In Europa muss dies noch schneller umgesetzt werden, denn hier dürfen ab 2035 nur mehr Neuwagen verkauft werden, die kein CO2 ausstossen.
Die Honda-Gegenwart: Mit dem e:Ny1 von Mailand nach Zürich
Die Schweizer Delegation ist eingeladen, etwas Elektroauto-Roadtripluft zu schnuppern und wird anschliessend an die Übernachtung mit dem neuen e:Ny1 die fast 300 Kilometer wieder zurück von Mailand nach Zürich fahren. Eine tolle Idee, um nicht nur auf dem Papier sondern auch im Autoalltag zu zeigen, wie langstreckentauglich e-Autos sind.
361 Liter Ladevolumen hat der Honda e:Ny1 – das ist nicht für die ganz grosse Familie auf Ferienfahrt, aber trotzdem recht ansehnlich. Bild:Bernard van Dierendonck
Die erste Prüfung für den e:Ny1
Aus dem Augenwinkel beobachte ich Elena (@elenasteness) und Tim (@timsteness). Die beiden Content Creators sind im Glamour-Bereich unterwegs und bewerben auf den sozialen Medien edle Kleider, Schmuck und luxuriöse Hotels. @timsteness bezeichnet sich zudem auf seinem Instagram Profil als Petrolhead, als Liebhaber von schnellen Autos mit Verbrennermotor.
Eine erste Prüfung für den e:Ny1 wird sein, ob ihre beiden grossen Metallkoffer mit Utensilien für ihre Fotosessions überhaupt in den Kofferraum passen. Denn obwohl als SUV bezeichnet, wurde dieser Wagen mit einer Länge von 4387 cm eher kompakt gebaut. Dabei bleibt im Fünfplätzer grosszügig viel Raum für die Passagiere. Der Kofferraum hingegen ist nicht besonders tief. Wer hofft, dass man für einen Familienurlaub das grosse Gepäck in einer Box aufs Dach und die Fahrräder auf eine Anhängerkupplung packen kann, wird enttäuscht. Diese beide Optionen sind beim neuen Honda nicht möglich.
Für die beiden Content Creators ist das kein Problem. Sie klappen einfach einen Rücksitz nach vorne und schon findet auch der zweite sperrige Koffer Platz.
Ein grosses, übersichtliches Display mit Rückfahrkamera und 360° Visualisierung überzeugt in der Bedienung. Bild: Bernard van Dierendonck
Ein guter Preis für sehr viel E-Auto
Ich selbst bin beeindruckt vom grossen, vertikalen und dreigeteilten Display. Darauf finden sich unterhalb vom Navi übersichtlich angeordnet viele weiteren Bedienelemente, wie Klimaanlage, Bluetooth oder Musikanlage. Das Auto fährt sich e-Auto-typisch, flüsterleise und wenn man in den Sportmodus wechselt, sehr spritzig. Beim Parken helfen Kameras an Heck und Front, besonders praktisch ist die Visualisierung von oben. Ein Parkassistent soll sogar das Einparken vollständig übernehmen können. Ein Feature welches wir auf unserer Fahrt leider nicht getestet haben.
Der e:Ny1, mit dem wir durch den dichten Verkehr von Mailand gemächlich in Richtung Autobahn fahren, ist noch bis zum 30. Juni 2024 in der Rabatt-Aktion «Green Bonus» zu haben. Das heisst, man bezahlt CHF 13’000 weniger und bekommt zum Beispiel das Model Advanced für knapp CHF 36’000. Das ist für ein solch komplett ausgestattetes e-Auto ein konkurrenzlos vorteilhaftes Angebot.
Honda PR-Chef Dominik Erne an der Ionity-Ladesäule in Erstfeld – für das Laden brauchts mit dem Honda etwas Geduld. Bild: Bernard van Dierendonck
Nicht so schnell an der Schnellladesäule
Auch wenn die offiziellen 412 Kilometer Reichweite des e:Ny1 bis nach Zürich reichen sollten, verabreden wir uns mit dem Rest des Konvois bei der Autobahnraststätte in Erstfeld zum einem Ladestopp. Dort schliessen wir die Elektrohondas an die Schnellladesäulen des Anbieters Ionity an. Der Ladeanschluss des e:Ny1 versteckt sich elegant dort, wo bei einem Verbrenner der Kühlergrill wäre. Zur Aktivierung des Ladevorgangs gibt es wie immer verschiedene Möglichkeiten. Entweder zückt man einfach die Kreditkarte oder erfahrene E-Mobilist:innen sparen noch ein paar Rappen pro Kilowattstunde, weil sie wissen, mit welcher App auf dem Telefon sie momentan am preiswertesten den Strom bekommen.
Während nun die Elektronen mit einer relativ bescheidenen Ladeleistung von 78 KW in die Akkus fliessen, trinken wir in der Raststätte einen Kaffee. Beim Thema Laden hat Honda noch die eine oder andere Hausaufgabe zu lösen. Beispielsweise zeigt das Navi des Autos weder potentielle Ladestopps und dementsprechend auch keine entsprechenden Ladezeiten an. Ein Feature, das die Reise noch etwas perfekter gemacht hätte
Auch die Petrolheads sind beeindruckt
Trotzdem ist Petrolhead @timsteness beeindruckt, wie einfach und bequem der ganze Ladevorgang abläuft. Er scheint gefallen an der e-Mobilität zu finden und erzählt, wie er und seine Frau früher problemlos hunderte von Kilometer am Stück durch ihre deutsche Heimat gebrettert seien. «Mit einem e-Auto muss man offensichtlich etwas umsichtiger planen. Das Autofahren wird dank den Ladestopps entspannter und das ist gar kein Nachteil,» sagt der Content Creator. Er klappt seinen Laptop auf und sortiert in der verbleibenden Zeit der 30 Minuten Ladepause die Fotos der Design Woche in Mailand.
Der e:Ny1 – ein agiler Bergsportler
Wir haben den Honda e:Ny1 auch noch ein Wochenende im hügeligen Alpstein getestet. Und dies im anspruchsvollen Setting eines Familienausflugs. Erstes und wichtigstes Kriterium ist für eine Viererbande immer der Platz. Reicht er auch, damit alle zufrieden und bequem reisen können? Und diese Frage kann getrost mit Ja beantwortet werden. Erstaunlich, wieviel Beinfreiheit auf den bequemen Rücksitzen vorhanden ist. Wo vergleichbare SUV-Crossover knausern, ist der 4 Meter 38 lange Honda e:Ny1 grosszügig. Oder besser gesagt: Was im Kofferraum etwas weniger grosszügig ist, wurde in der zweiten Reihe dafür hinzugefügt. Trotz dem feudalen Platzangebot für Passagiere sind auch die 360 Liter Ladevolumen (in der Basisversion) genügend, um für ein paar Tage auch zu viert (fast) alles mitnehmen zu können. Wer ohne Kinder einkaufen geht, kann mit umgeklappter Rückbank reichlich abladen (1176 Liter).
Was uns im Appenzellerland ebenfalls gefallen hat ist nicht nur die Spritzigkeit auf den teils ziemlich steilen Abschnitten – der e:Ny1 bringt die 204 PS sauber auf die Strasse -, sondern auch die Agilität. Die Lenkung ist angenehm direkt und der e:Ny1 leert uns trotzdem auch in zügig gefahrenen Kurven nicht aus. Die Sitze bieten zudem entsprechend guten Halt. Neben dem grossartigen Fahrverhalten und hochwertigen Verarbeitung hat uns auch das übersichtliche Cockpit überzeugt. Abzug gibts für drei Dinge: Erstens sind im Navi – wie oben erwähnt – keine Ladestationen ersichtlich, zweitens hat bei unserem Test der Sprachassistent komplett versagt und konnte auch in diversen Anläufen keinen Zielort verstehen. Hier muss nachgebessert werden. Und ja: etwas Geduld brauchts beim Laden. Die 45 Minuten Ladezeit von 10 auf 80 Prozent bedeuten: Es braucht etwas (Pausen-)Planung vor der Fahrt. Note to myself – gerade als Familienvater.
Im Gesamteindruck besticht der e:Ny1 dennoch grossmehrheitlich. Ein Auto, das auch in den Bergen richtig Spass macht und für Honda eine tolle Visitenkarte im Bereich der Stromer ist. Vor allem zu den derzeit günstigen Konditionen.