Die Mobilität der Zukunft in Städten: In Kopenhagen haben Velofahrer an vielen Orten Vorfahrt.
Wir müssen hier einerseits unterscheiden, ob wir hier «Backcasting» betreiben wollen, also uns die Frage stellen, welche Verkehrszukunft wollen wir? Andererseits können wir «Forecasting» betreiben, also den Blick in den Rückspiegel verwenden und die Entwicklungen in die Zukunft fortschreiben. Beim «Backcasting» ist die Vision klar beim «Lebensstil der kurzen Wege». Wir bewegen uns aus eigener Kraft im Nahumfeld unserer Wohnung, treffen dort Freunde und Familien, kaufen lokal ein und arbeiten im Home-Office oder im naheliegenden Coworking Space. Wenn wir weite Distanzen zurücklegen, greifen wir auf Elektrofahrzeuge zurück, deren Auslastung app-basiert optimiert wird oder wir greifen auf den bewährten öffentlichen Verkehr zurück.
Schreiben wir die Entwicklung der letzten Jahre zurück, so bleibt meine These: Ja, es wird mehr Anbieter geben, die mittels Pooling-Geschäftsmodelle die Grenzen zwischen öffentlichem Verkehr und Individualverkehr auflösen werden. Ja, es wird mehr alternative Antriebstechnologien geben, die die Treibhausgasemissionen für sich genommen reduzieren werden. Ob diese Entwicklungen die Verkehrswende, wie vielerorts ausgerufen wird, einleiten werden, davon lasse ich mich gerne überraschen.
Es wird lange Zeit eine Vielfalt der Antriebe geben. Wir müssen uns nichts vormachen, zwar lagen die Marktanteile alternativer Antriebe der Neuzulassungen bei fast 30 Prozent im Jahr 2020 – inklusive Benzin-elektrisch und Diesel-elektrisch – jedoch liegt der Anteil am gesamten Fahrzeugpark um die 4 Prozent. Es gibt auch positive Entwicklungen bei den Verbrennungsmotoren bezogen auf deren Effizienz. Ein Dieselfahrzeug, das mit 5 Personen besetzt ist, hat auf lange Distanzen eine sehr gute Energiebilanz. Alternative Antriebe werden zunehmen, ohne Frage. Aber ob die 30 Prozent Dieselfahrzeuge und 66 Prozent Benziner sich wirklich so schnell durch die E-Mobilität verdrängen lassen, sei dahingestellt. Das müsste durch die Politik eingeleitet werden, die verantwortlich reguliert.
Die Reichweite von Wasserstoffautos ist natürlich von Vorteil. Und die schnelle Betankung auch."
Es geht Verkehrspolitisch nicht darum, dass nun die 4,6 Millionen Autos in der Schweiz durch alternative Antriebe ersetzt werden. Es geht schlicht darum, Autos besser auszulasten und auch deren Besitz und Verwendung durch schlaue Alternativen zu ersetzen, vor allem durch den «Lebensstil der kurzen Wege». Eigentlich geht es um Suffizienz; wir könnten, müssen aber nicht. Als ich mit meiner Familie in Bangkok gelebt habe war ich immer beeindruckt von den vielen Wasserstoff-betriebenen Taxis, deren Kofferraum mit diesen Gastanks besetzt waren. Das hat mich immer bei der Fahrt beunruhigt, wenn der Taxifahrer während der Fahrt geraucht hat. Die Reichweite von Wasserstoffautos ist natürlich ein Vorteil und die schnelle Betankung auch. Beide Antriebe sind für mich Brückentechnologien zur Reduzierung der Autonutzung.
Selbstfahrende Autos und keine Staus mehr: Noch gibt es zuviele Hindernisse für diese Idee.
Bild: istockphoto
Ja, ich glaube nicht, dass es nur um die Dekarbonisierung des Fuhrparks geht. Es geht eher darum, weniger Autos zu fahren und weniger zu besitzen. Momentan gibt es 4,8 Millionen Fahrzeuge in der Schweiz. Die Zahl sollte nicht weiter wachsen.
E-Trottis sind Spielzeuge und sind mehr Hindernisse als Mobilitätslösungen für Städte. Veloverleihe haben sich aber etabliert und gehören zu jeder guten Mobilitätsstrategie in Städten
Der öffentliche Verkehr ist in der Schweiz teilweise auf schwindelerregendem hohem Niveau ausgebaut, wenn man etwa die Taktdichte der Busse beispielsweise in Städten wie Luzern betrachtet. Der ÖV wurde standardmässig in den letzten zehn Jahren als Heilsbringer in die verkehrspolitische Diskussion gebracht. Das Verkehrswachstum pro Kopf in der Schweiz hat aber auch er mit zu verantworten. Die Pandemie hat zudem einen neuen Autotrend ausgelöst. Der öffentliche Raum und damit der Zug wird als Gefährdung angesehen. Flexibilisierte Arbeitsformen lassen die GA Verkäufe einbrechen. Anstatt Ausbau geht es in Zukunft eher darum, den jetzigen Ausbaustandard aufrechtzuerhalten, so dass er ökonomisch tragfähig für die Gesellschaft ist.
Jedes Verkehrsmittel hat seinen Platz. Autos haben unsere Städte seit den 60er Jahren mitgestaltet, das hat sich in Fläche und Strassen niedergeschrieben und auch viele Vorteile für Handel und Arbeit gebracht. Allerdings sind die Städte wieder vermehrt Lebensräume für Familien und Menschen mit Bezug zum Quartier. Das Auto sollte vor den Toren der Stadt an Mobilitätsdrehkreuzen abgestellt werden. Die frei werden Flächen sollten begrünt und zum Verweilen einladen. Das klingt pathetisch, ist es aber nicht. Will man einen Lebensstil der kurzen Wege, so muss das Nahumfeld attraktiv sein. Dort wo Autos in Städte dominieren, ist es nicht attraktiv. Seinen Platz hat es auf der Autobahn, nicht in der Stadt. Man muss kein Grüner sein, um festzustellen, dass das Auto zuviel Platz in den Städten bekommen hat. Der Wohnraum ist teuer, aber die blaue Parkkarte kostet nur 150 Franken pro Jahr. Die Rechnung geht nicht auf.
In meinem Studium sprachen Andreas Knie und Weert Canzler immer von der Rennreiselimousine. Das hat mir immer eingeleuchtet. Es gibt viele Bilder. Aber insbesondere in dieser Pandemie ist das Auto ein sicherer Cocoon, der uns vor der Aussenwelt schützt. Während vieles um uns herum kleiner geworden ist, Fernseher, Handy, Computer, sind Autos immer grösser geworden. So wie im Schnitt unser Wohnraum. Der Mensch möchte räumlich expandieren, das spiegelt sich auch in der Grösse des Autos wider, ein fahrendes Wohnzimmer, wenn sie so wollen. Wenn jetzt mit dem Wachstum der Autos auch noch die Parkplätze in Städten vergrössert werden sollten, dann bestätigt sich meine Skepsis mit der Verkehrswende, die vielerorts kolportiert wird.
Was vorstellbar ist, sind Konvois auf Autobahnen, wenn sich die Abstände zwischen den Fahrzeugen durch die Technik verringert."
Ich bin froh, dass dies in Fachwelt und auch Presse aktuell weniger euphorisch diskutiert wird. Assistenzsysteme haben sich durchgesetzt, autonom-fahrende Autos sind Science Fiction. Die Diskussionen waren geprägt von einem fast ärgerlichen Technikoptimismus. Diese Leitbilder des autonomen Fahrens sollten unsere Verkehrsprobleme im Nu lösen. Es wurde so viele Studien in Auftrag gegeben und Tagungen durchgeführt, dass sich ein Selbstbestätigungs-Zirkel eingestellt hat. Gewisse Versuche haben auch wir begleitet. Die Erfahrungen waren ernüchternd. Wenn ein Grashalm oder ein Zweig in die Quere kam, wenn Schnee fiel, stieg das autonome System aus.
Verkehrssoziologe Timo Ohnmacht: „Die Frage ist, wie können wir gleichviel Mobilität bei weniger Verkehr einlösen.“
Bild: zvg
Wahrscheinlich. Die Technikgeschichte lehrt auch, dass sich das Beste nicht immer durchsetzt. Selbstfahrende Autos sind eine Killer-Applikation. Die Mobilität entwickelt sich aber schrittweise. Wie soll der Übergang aussehen, wie stellt sich der Mischverkehr zwischen Menschen und Automaten dar? Mensch und Auto sind eine Symbiose eingegangen, warum soll sich das ändern? Autofahren macht ja auch Spass. Was schneller vorstellbar ist, sind Konvois auf Autobahnen, wenn sich die Abstände zwischen den Fahrzeugen durch die Sicherheit der Technik verringert.
In der Tat wird die Restlaufzeit der Menschen immer länger und die goldenen Jahre nach der Verrentung sind für viele Menschen ein realistisches Ziel. Die Menschen sind nach dem Arbeitsleben nicht ausgezehrt. Darum sind die Prognosen nachvollziehbar. Auch hier gilt: ein Lebensstil der kurzen Wege sollte auch bei älteren Semestern ein attraktives Ziel sein. Wir müssen den Nahraum aktivieren.
Dass wir uns einschränken müssen für eine bessere Verkehrssituation ist uns klar, aber im Alltag überwiegt dann der einfache Griff ans Lenkrad. Die Frage ist doch wie können wir gleich viel Mobilität bei weniger Verkehr einlösen, also die Beweglichkeit aufrechterhalten ohne viel Distanzen zurückzulegen. Da ist doch schlussendlich die mittelalterliche Stadt ein gutes Vorbild, wo die Wohnstätten die Arbeitsstätten sind und der Zeitvertreib vor der Haustüre zu finden ist. Es ist schon frappant, dass Disneyland oder Vergnügungspärke im Allgemeinen eine Simulation der fussläufigen Stadt bieten, während die Wohnstädte für die Autos optimiert wurden.
Ja. Wobei es immer wieder grosse Überbauungen wie die Kalkbreite in Zürich oder die Siedlung Burgunder in Bern gibt, die neue Wege aufzeigen. In neuen Überbauungen sind Yoga-Studios drin, Restaurants, Bars. Sie sind vom Alter her durchmischt. Sie bieten schon vieles, das für die Zukunft erstrebenswert ist.
Entdecke den Nahraum. Das haben wir doch das letzte Jahr alle erleben dürfen."
Der nachhaltige Verkehr ist dekarbonisiert. Sie werden aber auch bemerkt haben, dass ich gerne vom „Lebensstil der kurzen Wege» spreche und das mache ich bewusst so, um mich gegen den geläufigen Ausdruck der Stadt der kurzen Wege abzugrenzen. Die Stadt der kurzen Wege wird gebaut und geplant, der Lebensstil wird aber bei den Menschen bewusst entschieden, ein Wertewandel für ein gelingendes Leben. Entdecke den Nahraum, das haben wir doch das letzte Jahr alle im Kollektiv erleben dürfen und ich hoffe, da konnte auch Positives abgerungen werden.
Kopenhagen macht das bereits seit 50 Jahren. Das Geld ist zwar in Zürich da, aber lässt sich nicht so schnell in Velowege materialisieren. 120 Millionen wurde im Jahre 2014 in Zürich gesprochen, was noch lange nicht verbaut ist. Das Gras wächst nicht, wenn man daran zieht. Das sind Prozesse, die über Generationen hinweg andauern. Den richtigen Weg hat man eingeschlagen, das ist viel Wert und jetzt heisst es abwarten.
Wie müssen den Verkehr an der Quelle reduzieren. Unsere Arbeiten zu Coworking-Spaces zeigen auf, wie diese flexiblen Formen der Arbeit Pendelwege reduzieren.
Es hat uns eine neue Perspektive gegeben. Beispielsweise werden auch Zweitwohnsitze als Arbeits- und Lebensmittelpunkte genutzt. Das gibt eine neue Dynamik. In die grossen Zentren werden wir nicht mehr so oft fahren. Dadurch werden die Wohnsitze auf dem Land wieder attraktiver. Die Frequenz der Fahrten verringert sich, die Länge aber vergrössert sich.
Wir müssen weg vom entweder-oder, hin zum sowohl-als-auch. Massnahmenbündel, Einsicht und Regulierungen können das Gesamtsystem in die gewünschte Richtung langsam verändern. Mein Selbstversuch ist es, dass ich in 30 Jahren an der Seebrücke in Luzern stehe. Meine Annahme ist, dass Art und Form des Verkehrs sich dann nicht grundlegend verändert haben, aber dafür ausdifferenziert hat. Ich lass mich aber auch eines Besseren belehren.