"In-vitro-Fleisch ist für Fleischesser mit schlechtem Gewissen"

8 Minuten
21. September 2022

Silvia Woll ist Expertin in Sachen in-vitro-Fleisch. Die Wissenschaftlerin vom ITAS in Karlsruhe sagt, die Klimabilanz von in-vitro-Fleisch werde um Längen besser als von herkömmlichem Fleisch. Der Umweg über das Tier verschwende trotzdem wertvolle Kalorien.

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in-vitro-Fleisch

Werden wir in 30 Jahren noch Kälber für unsere Bratwurst schlachten müssen, oder werden pflanzliche Produkte und in-vitro-Fleisch dies überflüssig machen?  Bild: istock.com

Es wird schon lange erwartet: in-vitro-Fleisch, im Bioreaktor gezüchtetes Fleisch, soll unser Ernährungsverhalten und damit die Lebensmittelindustrie auf den Kopf stellen. Eine Studie der internationalen Unternehmensberatung A.T. Kearney kam schon vor knapp drei Jahren zu diesem Schluss. „Bereits 2040 werden nur noch 40 Prozent der konsumierten Fleischprodukte von Tieren stammen. Wir stehen vor nichts weniger als dem Ende der Fleischproduktion, wie wir sie kennen“, sagt in diesem Bericht Dr. Carsten Gerhardt, Partner und Landwirtschaftsexperte von Kearney.

Massentierhaltung wird durch in-vitro-Fleisch zurückgedrängt

Die Massentierhaltung mit all ihren Problemen werde so kontinuierlich zurückgedrängt. Konkret könnten wir bis 2040 rund 25 Prozent des Fleisches durch pflanzliche Ersatzprodukte und 35 Prozent durch in-vitro-Fleisch ersetzen. Derzeit ist die globale Fleischproduktion mit 80 Milliarden geschlachteten Tieren pro Jahr für rund 19 Prozent der weltweiten Klimagase verantwortlich. Das von den Tieren ausgestossene Methan ist besonders problematisch.

Würdest du gerne in-vitro-Fleisch essen statt dafür ein Tier zu schlachten?

Silvia Woll, wie funktioniert eigentlich die Produktion von in-vitro-Fleisch?

Was man auf jeden Fall braucht ist ein Ort, an dem das Fleisch wachsen kann. Das erste Burger Patty stellten sie 2013 beim Medienevent von Mark Post in London in der Petri-Schale vor. Das ist aber für die grosse Produktion zu kleinteilig. Sowas wird auf industrieller Ebene eben in sogenannten Bioreaktoren hergestellt. Das sind grosse Metallkessel, in denen die Zellen reifen können.

 

Was braucht es weiter?

Natürlich Elektrizität, um diese Reaktoren zu betreiben und den Zellen den Wachstumsimpuls zu geben. Dann brauchen wir noch ein Nährmedium. Da kann ich jedoch nicht genau sagen, was die einzelnen Startups hierfür verwenden. Sie brauchen Nährstoffe, wie wir oder die Tiere sie auch essen würden. Zum Beispiel in Form von Mais, Soja, Kartoffeln, etc. Dies bringt den Zellen Energie. Dies war zu Anfang eben sehr kontrovers, da man dafür fetales Kälberserum benutzt hat. Mittlerweile sagen jedoch die meisten Firmen, das sie dies nicht mehr verwenden. Vermutlich wird hier mit Pilz- oder Algenlösungen gearbeitet. Da hat sich zumindest etwas getan. Da eben die Nutzung dieses fetalen Kälberserums ethisch unvertretbar ist.

„Eine Studie zeigt, dass 5000 Kilogramm Fleisch aus einer Biopsie erzeugt werden kann“

Und am Ende haben wir ein Fleischersatzprodukt wie die veganen Alternativen?

Wir haben dann ein Produkt in die richtige Richtung, weil die problematische Komponente wegfällt. Hier möchte ich jedoch betonen, dass auch in-vitro-Fleisch ganz einfach Fleisch ist. Es ist weder vegetarisch noch vegan und kein Fleischersatzprodukt wie die Tofu-Bratwurst. Es wächst zwar nicht mehr am Tier, der Ursprung ist aber immer noch diese Muskelstammzelle, welche einem Tier bei der sogenannten Muskelbiopsie entnommen werden muss. Dafür müssen weiterhin Rinder, Hühner etc. gehalten und sozusagen «angepikst» werden. Pro Entnahme werden ungefähr 500 Milligramm Muskelzellen entnommen, jedoch gibt es hierzu auch noch wenig genaue Daten. Es wird angenommen, dass wohl ungefähr vier solcher Biopsien alle drei Monate pro Tier benötigt werden. Eine aktuelle Studie von John Wiley & Sons Ltd beschreibt, dass sie wohl 5000 Kilogramm Fleisch aus einer Biopsie erzeugen können. Das ist derzeit jedoch noch eine theoretische Hochrechnung.

„Bezüglich Treibhausgasen wird es um Längen besser sein als normales Fleisch“

Ist die Produktion von in-vitro-Fleisch in allen Bereichen ressourcenschonender und nachhaltiger im Vergleich zu herkömmlichem Fleisch?

Es kommt einerseits darauf an, was für eine Fleischart wir uns anschauen. Und es kommt darauf an, welche Ressource wir betrachten: In-vitro-Fleisch wird auf alle Fälle einen geringeren Landverbrauch haben, und wahrscheinlich auch einen geringeren Wasserverbrauch. Aber auch die in-vitro-Fleisch Produktion braucht weiterhin viel Wasser. In der Erzeugung von klimaschädlichem Gasen wie zum Beispiel Methan wird es auch um Längen besser sein als herkömmliches Fleisch. Es gilt: je weniger Tiere, desto weniger ausgestossene Gase.

„Der Umweg über das Tier verschwendet wertvolle Kalorien“

 

Was ist mit Energie?

Das fehlt im öffentlichen Diskurs oft. In-vitro-Fleisch wird auf jeden Fall einen deutlich höheren Verbrauch an Energie mit sich bringen. Und das Fleisch muss trotzdem mit etwas gefüttert werden. Hier finde ich es besonders interessant, dass in-vitro-Fleisch deutlich mehr Energie verbraucht, und auch mehr Kalorien, als wenn wir sie direkt selbst zu uns nehmen würden. Wir werden mit diesem Produkt zwar mehr Ressourcen schonen als es mit herkömmlichem Fleisch der Fall ist. Aber es ist immer noch deutlich schlechter, als wenn wir uns einfach direkt vegetarisch oder vegan ernähren. Das ist sehr wichtig, und Mark Post sagt das auch selbst: Er würde Vegetarier:innen und Veganer:innen empfehlen, bei ihrer Ernährungsform zu bleiben. Der Umweg über das Tier verschwendet wertvolle Kalorien.

„In-vitro-Fleisch ist für Fleischesser, die ein schlechtes Gewissen haben“

Für wen würde sich dieses Produkt überhaupt lohnen?

In-vitro-Fleisch ist für die Menschen, die gerne Fleisch essen, aber ein schlechtes Gewissen dabei haben. Wir haben bei einem Projekt 2017 auch eine Diskussionsrunde mit Bürgerinnen und Bürgern durchgeführt. Ein Drittel der Teilnehmenden hat alles gegessen, ein Drittel war vegetarisch und ein Drittel vegan. Am Ende haben die meisten Teilnehmenden, die eh schon vegan oder vegetarisch waren, gesagt: Ich brauche das nicht. Ich ernähre mich seit Jahren so, mir fehlt nichts. Einen einzigen Veganer hatten wir dabei, der gesagt hat, er würde so gerne wieder Fleisch essen, aber er könne es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Das ist jedoch eine Ausnahme. Die meisten Leute, die ihre Ernährung schon seit Jahren umgestellt haben, brauchen kein in-vitro-Fleisch.

Ist in-vitro-Fleisch gesünder?

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Zukunftsmusik: Bis bei uns in-vitro-Fleisch im Kühlregal liegt, könnte es noch etwas dauern.  Bild: istock.com

Viele Anbieter reden davon, dass in-vitro-Fleisch eine gesündere Alternative zum herkömmlichen Fleisch sein könnte. Weil die Zusammensetzung individuell anpassbar sei. Stimmt das?

Es heisst oft: Wenn wir das Fleisch selbst zusammenstellen, dann können wir beeinflussen, wie viel Fett und Proteine drin sind. Und vielleicht können wir noch Nahrungsergänzungsmittel hinzufügen. Ich bin zwar keine Ernährungsexpertin, jedoch besteht in der heutigen Wissenschaft kein Konsens darüber, was genau die gesunden und was die ungesunden Bestandteile von herkömmlichem Fleisch sind. Wie soll ich dann wissen, wie ich in-vitro-Fleisch herstelle, von dem ich sicher sein kann, dass es auch wirklich gesünder ist? Vor allem bei den Nahrungsergänzungsmitteln gibt es Vermutungen, dass wenn wir sie ausserhalb ihrer ursprünglichen Form, zum Beispiel Vitamine aus einem Apfel, zu uns nehmen, diese dann gar nicht so viel Einfluss auf unsere Gesundheit haben. Da müssen wir vorsichtig sein, mit wie viel visionärem Juhuu wir diese Zukunftsidee darstellen.

„Seit 2013 wird von zwei bis fünf Jahren bis zur Marktreife gesprochen“

Wann werden wir im Supermarkt den in-vitro-Fleisch-Burger kaufen können?

Diese Frage bekomme ich ganz oft gestellt, ich werde sie aber nicht beantworten können. Seit 2013 wird von zwei bis fünf Jahren gesprochen. An dem hat sich noch nichts geändert. Jedoch gab es Ende 2020 eine Nachricht, dass ein Club in Singapur tatsächlich in-vitro-Fleisch auf der Karte hat. Das gab vorher noch nicht. Aber das ist bisher auch das Einzige, was es gibt.

„Es wird noch dauern, bis das erste Produkt im Supermarkt ist“

In Singapur sind sie also Vorreiter?

Das Patty war dort auch nur teilweise aus in-vitro-Fleisch und der Rest aus pflanzlichen Bestandteilen. Und das Verhältnis veröffentlichte niemand. Es ist gut möglich, dass es sich hier um sehr wenig in-vitro-Fleisch-Anteil handelt. Kurz darauf, im Frühjahr 2021, wurde in Israel die erste in-vitro-Fleisch-Fabrik eröffnet. Diese arbeitet jedoch nicht auf voller Kapazität. Hier werden aber schon die ersten Schritte von der Petrischale hin zur Massenproduktion getan. Jedoch ist dies auch noch nur eine einzelne Fabrik. Die technologischen Hürden, die lange verhindert haben, dass viel passiert, scheinen zunehmend gemeistert zu werden. aber es wird noch dauern, bis wir das erste Produkt im Supermarkt finden werden.

In-vitro-Fleisch wird zuerst teuer, langfristig vielleicht Billigware

Wieviel wird ein Kilogramm in-vitro-Fleisch am Ende kosten?

Die aktuelle Schätzung, welche sich auch in letzter Zeit kaum verändert hat, liegt bei grob 10 Euro pro Burger-Patty. So etwas ist jedoch schwierig einzuschätzen, bevor das Produkt wirklich auf dem Markt ist. Zu den Produktionskosten kommen zusätzlich Werbekosten und so weiter. Die Entwicklung hier ist spannend. Es kann sein, dass in-vitro-Fleisch erstmals als High-End-Produkt auf den Markt kommt. Zum Beispiel zuerst in hippen Restaurants, oder in exklusiveren Bioläden zu kaufen ist. Aber mittel- bis langfristig könnte dies auch eine Art Billigware werden. Alles ist möglich.

„Auch Produkte wie Milch und Eier hätten einen Markt“

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Hühner im Stall: Deren Fleisch und Eier könnten künftig ohne Tierleid und mit weniger Klimagasen  produziert werden.  Bild: istock.com

Wir reden jetzt immer nur übers Fleisch. Wie sieht es mit anderen tierischen Lebensmitteln aus, die so hergestellt werden könnten?

Da gibt es durchaus auch Startups, die an Milch und Eiern forschen. Vor allem eins fällt mir da ein: New Harvest heisst das. Die unterstützen die Forschung in Richtung der sogenannten «cellular agriculture». Ich denke auch, dass diese Produkte einen Markt hätten. Die Ansätze sind auf alle Fälle auch von Anfang an da gewesen.

„Der erste Burger bestand nur aus Muskelzellen und war ungewürzt“

Haben Sie schon einmal einen in-vitro Burger probiert?

(lacht) Nein, natürlich nicht. Abgesehen von der grossen Verkostung 2013 war das den Wenigsten vergönnt. Auf YouTube gibts das Video, in dem der Sternekoch ein Burger Patty anbrät. Die Frau, die verkosten durfte, meinte, er wäre trocken und unwürzig. Das macht Sinn, da dieser erste Burger auch nur aus Muskelzellen bestand und höchstwahrscheinlich ungewürzt war. Der Plan ist, dass das mindestens genauso gut schmeckt oder sogar besser. Im Moment stellen sie nur Faserstücke her, die dann zu einer Art Hackfleisch zusammengepresst werden.

„Fleischstücke sind schwieriger herzustellen“

Warum keine Steaks?

Fleischstücke zu produzieren ist aber wesentlich schwieriger. Das liegt daran, dass es bei einem Fleischstück, das nicht in einem Organismus wächst, viel schwerer ist, es mit Nährstoffen zu versorgen. Diese Zellstrukturen drücken mit ihrem Eigengewicht auf sich selbst. Das macht vor allem die Sauerstoffversorgung schwer, deswegen arbeiten sie vor allem mit einzelnen Faserstücken.

„Wir kommen auf die Grundfrage, was lebt und was nicht“

Ist in-vitro-Fleisch letztlich lebendig oder tot?

Das ist eine Frage, die ich mich nicht zu beantworten traue. Zum Wachsen brauchen diese Zellen schon Energie durch elektrische Impulse, Sauerstoff und Nährstoffe. Aber ob wir da nun von toten Zellen sprechen können, möchte ich nicht beurteilen. Da kommen wir auf die Grundfrage, was lebt und was nicht. Die Tatsache, dass dieses Produkt eben nicht an einem lebenden Organismus wächst, sondern in der Petrischale ist eben das, was viele Menschen zum Nachdenken bringt.

„Es ist möglich, dass eine Monopolisierung entsteht“

Ist es möglich, dass letztlich eine Firma den Durchbruch in diesem Segment schafft, ein Patent anmeldet und so ein Monopol hat?

Das ist eine wichtige Frage. Die Firma, der es gelingt, dieses Produkt erstmals wirklich profitabel und effizient herzustellen wird natürlich ihr Patent anmelden. So ist es möglich, dass eine Art Monopolisierung entsteht. Und dass wir dann vielleicht am Ende vier, fünf Riesenfirmen haben die global ihr Fleisch verkaufen. Aber all das ist immer noch Spekulation. Organisationen wie Greenpeace sind deswegen auch Gegner des in-vitro-Fleisches. Sie sagen, dass es die Existenz kleiner Bauern, im globalen Süden zum Beispiel, bedrohen wird. Dies, wenn ihnen aufgrund der in-vitro-Produktion die eigene Fleischproduktion verboten werden sollte oder sich nicht mehr lohnt.

„Es ist ein Scheinargument, dass mit in-vitro-Fleisch der Welthunger verringert wird“

Kann in-vitro-Fleisch den Welthunger besiegen?

Ein oft genanntes Argument der Herstellenden. Da sind wir jedoch wieder bei dem, was ich vorhin gesagt habe: vegetarische oder vegane Ernährung ist weiterhin signifikant ressourcen-schonender als irgendeine Form von alternativer Fleischproduktion. Diese mögliche Monopolisierung kann da auch mit reinspielen. Ich halte es für eine Art Scheinargument, dass damit der Welthunger verringert werden wird.

„Das Problem ist nicht das Fleisch, sondern die Massentierhaltung“

Was denken Sie denn als Philosophin aus ethischer Sicht über in-vitro-Fleisch?

Ich bin seit Jahren Vegetarierin, verurteilen möchte ich hier aber niemanden. Sollte in-vitro-Fleisch eine Alternative für Fleischesser:innen werden, dann ist das gut. Das grosse und globale Problem ist ja nicht, dass manche Menschen ab und zu mal ein Stück Fleisch essen. Das Problem ist einfach die Massentierhaltung, von der wir wegmüssen. Und mit in-vitro-Fleisch werden wir nicht alle Probleme lösen. Es ist immer noch viel besser, wenn wir das Futter, welches dieses Fleisch braucht, einfach direkt konsumieren.

Silvia Woll ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse ITAS in Karlsruhe und Expertin zum Thema in-vitro-Fleisch. Sie hat Germanistik, Kulturwissenschaften und europäische Kultur und Ideengeschichte mit dem Schwerpunkt Philosophie studiert.  

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Autor:in: Mara
Wehofsky
Die geistes- und sozialwissenschaftliche Studentin ist interessiert an gesellschaftlichen Zusammenhängen und will zeigen, dass Nachhaltigkeit für jede*n relevant und umsetzbar ist.
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