Eine Swiss-Maschine über dem Vierwaldstättersee: Fliegen mit gutem Gewissen wäre ein Traum. Bild: Swiss
Sie sind wieder öfters zu sehen nach der globalen Corona-Pandemie. Die Kondensstreifen, die den blauen Himmel durchziehen. Für manche ein Zeichen des menschlichen Fortschritts. In Tat und Wahrheit sind sie aber vor allem eines: ein Faktor, der erheblich zum Treibhauseffekt beiträgt. Emissionsfreies Fliegen wäre wünschenswert.
Die Luftfahrt: Mehr als nur CO2-Emissionen
Bei der Verbrennung von Flugtreibstoff entstehen CO2-Emissionen. Das CO2 ist ein wirksames Treibhausgas, weil es die Abstrahlung von Infrarotstrahlung ins Weltall verhindert. Dieser Mechanismus ist den meisten bekannt.
Weniger bekannt sind hingegen die Auswirkungen der Nicht-CO2-Emissionen wie Wasserdampf, Stickoxide, unverbrannte Kohlenwasserstoffe, Schwefeldioxide und Russ. Diese entstehen ebenfalls bei der Verbrennung von Kerosin. Zusammen können sie erwärmend auf das Klima wirken.
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Kondensstreifen bilden sich nicht immer
«Der sogenannte Nicht-CO2-Effekt ist jedoch schwierig messbar, da dieser beispielsweise je nach Triebwerk, Schubeinstellung und meteorologischen Bedingungen unterschiedlich ausfällt», sagt Dr. Julien Anet, Experte für Meteorologie und Luftverkehr der ZHAW. Ähnlich kompliziert ist es mit den Kondensstreifen. «Deren Bildung ist nicht per se gegeben, sondern abhängig von den atmosphärischen Bedingungen», führt er weiter aus. Bei trockener Luft oder wärmeren Bedingungen kann der emittierte Wasserdampf kaum kondensieren.
Solartreibstoff vor der industriellen Produktion
Die Wissenschaft tritt bei der Messung der Nicht-CO2-Emissionen also weiter an Ort. Andernorts scheint sie dagegen kurz vor dem Abheben. Die Flugbranche horchte anfangs März dieses Jahres auf, als Swiss ihre strategische Partnerschaft zur Markteinführung von Solartreibstoff mit dem ETH-Spin-off Synhelion kommunizierte. Synhelion baut dieses Jahr in Jülich in Nordrhein-Westfalen die weltweit erste Anlage zur industriellen Produktion von solarem Treibstoff. Bereits in einem Jahr soll die Swiss die Erstabnehmerin des Solarkerosins sein. Mit Unterstützung der Swiss und der Lufthansa Group soll bald darauf eine kommerzielle Treibstoffanlage in Spanien mit einem geplanten Produktionsvolumen von rund 500’000 Liter Treibstoff pro Jahr folgen (das entspricht dem Kerosin-Bedarf von 12.5 Langstreckenflügen von Zürich nach New York).
Verbrennungsprozess wird umgekehrt
Die Pläne sind ambitioniert und anspruchsvoll. So auch das Verfahren zur Herstellung des sogenannten Sun-to-Liquid-Treibstoffs (StL-Treibstoff). «Einfach ausgedrückt, soll der Verbrennungsprozess von Treibstoff – dabei entstehen CO2, Wasserdampf und Wärme – umgekehrt werden», erklärt Carmen Murer, Head Corporate Communication von Synhelion. «Die Ausgangsmaterialen Kohlendioxid und Wasser werden mit Hochtemperatur-Solarwärme, die mit einem Spiegelfeld erzeugt wird, zusammengeführt. Ein paar chemische Prozessschritte später entsteht dadurch flüssiger Treibstoff wie beispielsweise Kerosin», führt sie weiter aus.
Die Testanlage von Synhelion in Jülich in Deutschland: Diese 80’000 m2 Solar-Anlage hat mehr als 2000 Spiegel, welche das Sonnenlicht auf die zwei Türme konzentriert – so entsteht die benötigte Hochtemperatur-Solarwärme. Bild: Synhelion
Und auch die potenziellen Vorteile des StL-Treibstoffs lassen sich sehen. Chemisch ist dieser dem erdölbasierten Flugkerosin sehr ähnlich – ausser, dass das Ausgangsmaterial eben nicht Erdöl, sondern Solarwärme und CO2 ist. «Als sogenannter Drop-in-Fuel ist der Solartreibstoff damit auch kompatibel mit der bestehenden Fluginfrastruktur», erläutert Melanie Heiniger, Verantwortliche Corporate Responsibility von Swiss.
Emissionen werden deutlich gesenkt
Hinzu kommt, dass der solare Treibstoff kein Schwefel enthält und über eine bessere chemische Zusammensetzung als herkömmliches Kerosin verfügt. Gemäss Dr. Anet führt dies dazu, «dass der Treibstoff rückstandsloser verbrennt, womit Russ- und Kohlenwasserstoffemissionen deutlich gesenkt werden können». Somit geht es auch den Kondensstreifen zu Teilen an den Kragen. Die positiven Nicht-CO2-Effekte sind also bereits beträchtlich. Doch für klimaverträgliches Fliegen reicht dies bei weitem nicht.
Ein potentieller Kreislaufprozess des CO2
Dafür muss auch dem CO2 der Garaus gemacht werden. Und hier kommt wiederum Synhelion ins Spiel. Das CO2 für die Herstellung von Solartreibstoff soll bei ihnen aus der Umgebungsluft «gesogen» werden (Direct Air Capture). Alternativ besteht auch die Möglichkeit eines CO2-Bezugs aus Industrieabgasen (Carbon Capture and Usage). Unabhängig der gewählten Variante kann dadurch der CO2-Fussabdruck gesenkt werden da potenziell ein Kreislaufprozess entsteht.
Solartreibstoff: Fragezeichen bleiben
Aller Freudensprünge zum Trotz, gibt es beim Solartreibstoff aber auch grosse Fragezeichen. Erstens werden zum Herausfiltern von einer Tonne Kohlendioxid aus der Umgebungsluft zwischen zwei und drei Megawattstunden Energie vernichtet. Dies entspricht in etwa dem jährlichen Strombedarf eines Zwei-Personen-Haushalts. «Wenn diese Energie nicht aus erneuerbaren Quellen stammt, kann der CO2-Fussabdruck bei der Treibstoffherstellung sogar schlimmer sein, als wenn der Treibstoff aus herkömmlichen fossilen Quellen stammt», erwähnt Dr. Anet.
Zweitens wird für die kommerzielle Produktion von Solartreibstoff eine Infrastruktur in der Grösse von rund 2’000 m2 (das entspricht ca. einem Drittel eines Standard-Fussballfeldes) benötigt, die gemäss einer Studie des Paul Scherrer Instituts einen nicht mehr vernachlässigbaren CO2-Fussabdruck mit sich bringt. Drittens kommen bei materialintensiven Produktionsverfahren die allseits bekannten Probleme von Rohstoffverbrauch, Platzbedarf und Wasserkonsum hinzu.
Nachhaltiger Treibstoff muss mindestens 70 Prozent CO2 einsparen
Carmen Murer ergänzt hier, «dass sich Synhelion dieser Herausforderungen bewusst ist und bei den produzierten Solartreibstoffen die CO2-Einsparung transparent angeben wird. Synhelion hält sich diesbezüglich an die EU-Richtlinie für erneuerbare Energien (RED II). Als Sustainable Aviation Fuel (SAF) zertifizierter Treibstoff muss von der Herstellung bis und mit dem Ausstoss mindestens 70 Prozent CO2 einsparen.
Die Kondensstreifen werden auch mit den neuen Treibstoffen vorläufig bleiben. Bild: istock.com
Nicht ganz so einfach zu beantworten ist die Hebelwirkung aufs Klima. Eine Studie des WEF in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen McKinsey bestätigt zwar auch: Synthetische Treibstoffe wie Sun-to-Liquid-Fuel aus erneuerbarem Strom sind die beste Alternative für fossiles Kerosin.
Nur 30 bis 60 Prozent der klimaschädlichen Emissionen werden durch Solartreibstoff reduziert
Laut der Studie können jedoch nur 30 bis 60 Prozent der klimaschädlichen Emissionen vermieden werden. Dies auch, wenn die Luftfahrt nur noch mit erneuerbaren Treibstoffen unterwegs ist. Klimaschädliche Gase werden heute zu rund zwei Dritteln durch die Ausstossung von Wasserdampf und Stickstoffoxiden in grossen Höhen verursacht. Und diese entstehen in reduzierter Weise nach wie vor bei der Verbrennung von erneuerbaren Treibstoffen.
WWF-Experte: Strengere Vorschriften nötig
Nach Patrick Hofstetter, Klimaschutzexperte vom WWF Schweiz, reicht es nicht aus, die bestehenden Flugkapazitäten mit vollständig synthetischem Kerosin abzudecken. Bis die Flugbranche mit batterieelektrischen oder Brennstoffzellen-elektrischem Antrieb 100 Prozent emissionsfrei ist, brauche es politisch vorausblickende Entschlüsse. Zum Beispiel strengere Emissionsvorschriften inklusive Nicht-CO2-Emissionen und ein Nachfragerückgang bei den Flügen mit konventionellen Triebwerken, die fossiles, biogenes oder synthetisches Kerosin verbrennen.
Dennoch: Solarer Treibstoff kann ein wichtiger Schritt werden, um die Luftfahrt in der Klimakrise zu mehr Nachhaltigkeit zu transformieren.