Die Schneiderin Abida aus Pakistan profitiert vom Angebot des Schweizer NGOs Glocal Roots. Bild: Glocal Roots
Ein Meer aus Ständen und Tüchern erstreckt sich über das riesige Gelände des Eleonas-Flohmarkts, nur drei Kilometer vom Stadtzentrum Athens entfernt. Jedes Wochenende pulsiert hier das Leben in einem wilden, bunten Durcheinander, das die Besucher in seinen Bann zieht. Menschen aus aller Welt bieten Schmuck, Kleidung, Fahrräder, Haushaltsgegenstände, Möbel und sogar lebende Tiere an. Kaum eine Ecke, in der nicht gehandelt und gefeilscht wird.
Am späten Nachmittag, wenn die Stände abgebaut werden, treten die Frauen von Glocal Roots in Aktion. Auf der Suche nach wiederverwertbaren Materialien durchwühlen sie Berge von Kleidern und anderen Stoffen, die die Händler auf dem Boden oder im Müll zurückgelassen haben. Wunderschöne Glitzerstoffe, Cord oder Leder werden so vor der Müllhalde gerettet.

Wenn am Eleonas Markt in Athen Feierabend ist, bleiben Berge von Abfall liegen – und darunter wertvolle Stoffe und Kleider, die gerettet werden. Bild: Glocal Roots
Kreativität und Zukunft in der Social Factory Athen
Im Athener Atelier von Glocal Roots, auch bekannt als „Social Factory“, werden die Stoffe dann von Frauen, die geflüchtet sind, sorgfältig gewaschen, zerschnitten und wieder zusammengenäht. Das Atelier ist Teil des Victoria Community Centers, das jeden Monat von tausenden von Flüchtenden besucht wird. Die Näherinnen, die aus Ländern wie Afghanistan, Kamerun, Kurdistan und dem Kongo kommen, schaffen hier mit kreativen Ideen und handwerklichem Geschick einzigartige Produkte.
Jedes Produkt trägt ein Etikett, das die Geschichte der Schneiderin erzählt, die es hergestellt hat. Damit will die Schweizer NGO auf die Herausforderungen von Flüchtenden in Europa aufmerksam machen und die Konsumenten daran erinnern, dass hinter jedem Produkt ein Mensch steht, der es hergestellt hat. Dies ist besonders wichtig angesichts der katastrophalen Bedingungen in der Fast-Fashion-Industrie, wo die Menschlichkeit hinter der Massenproduktion oft verloren geht.

Arbeit und soziales Miteinander im Nähatelier in Izmir. Bild: Glocal Roots
Faire Arbeitsbedingungen inklusive Kinderbetreuung
Im Atelier von Glocal Roots erhalten geflüchtete Frauen als Schneiderinnen einen festen Arbeitsplatz zu fairen Bedingungen, inklusive Kinderbetreuung. So erhalten auch alleinerziehende Mütter eine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Sprachbarrieren werden mit Google Translate überwunden, die Schneiderinnen erhalten täglich eine Mahlzeit und bei Bedarf weitere Unterstützung. Diese umfassende Betreuung schafft Sicherheit und ermöglicht es den Frauen, sich voll und ganz auf ihre kreative Arbeit zu konzentrieren.
Noor, eine Näherin aus Pakistan, hat zwei kleine Kinder und ein Säugling. Seit einem Jahr ist sie Witwe und muss allein für ihre Familie sorgen. „Hier habe ich eine neue Gemeinschaft gefunden, eine Familie. Meinen Kindern gefällt es im Zentrum und mit dem Lohn kann ich für sie sorgen. „Die Werkstatt bedeutet mir alles“, sagt sie glücklich.
Zuflucht und Ruhe in der Werkstatt
Marie aus dem Kongo ist eine weitere Schneiderin in der Social Factory. Mehrmals pro Woche findet sie den Weg aus dem überfüllten Camp, wo sie sich mit neun Fremden einen Container teilt, ins Atelier. Die hygienischen Bedingungen sind prekär und die Angst vor Übergriffen lässt sie nicht auf ihrem Stockbett schlafen. Zuflucht und Ruhe sucht sie in der Werkstatt von Glocal Roots. Hier kann sie ihrer Leidenschaft fürs Nähen nachgehen, was ihr nicht nur den Kopf frei macht, sondern auch eine wichtige Auszeit vom belastenden Lageralltag bietet.

Mitarbeiterinnen von Glocal Roots durchwühlen auf Kleiderdeponien in Izmir brauchbare Kleider und Stoffe für die Wiederverwendung. Die Überproduktion der führenden Bekleidungsmarken in der grossen türkischen Textilindustrie führt zu gewaltigen Abfallmengen, die ökologische und soziale Probleme verursachen. Bild: Glocal Roots
Ein neues Kapitel in Izmir
Auf der anderen Seite der Ägäis, in Izmir, baut das Team der NGO derzeit ein weiteres Atelier auf. Izmir ist ein Knotenpunkt für Flüchtende und beherbergt zehntausende Menschen, vor allem aus Syrien. In Zusammenarbeit mit einer lokalen Organisation werden hier mehrere syrische Näherinnen aus Aleppo ausgebildet, um für Glocal Roots Produkte herzustellen.
Auch in Izmir setzt die NGO auf nachhaltige Materialien, allerdings anders als in Athen. Hier konzentriert sich Glocal Roots auf die Wiederverwertung von Reststoffen aus der umfangreichen Textilindustrie der Türkei. Dieser innovative Ansatz ist in einem Land mit einer florierenden Textilindustrie von grosser Bedeutung. Die Überproduktion der führenden Bekleidungsmarken führt zu gewaltigen Abfallmengen, die oft auf Deponien landen und ökologische und soziale Probleme verursachen.
Mit diesen nachhaltigen Initiativen in Athen und Izmir zeigt Glocal Roots, wie kreative Lösungen nicht nur den ökologischen Fussabdruck verringern, sondern auch das Leben vieler Flüchtenden verbessern können. Die NGO bietet so eine inspirierende Vision einer Zukunft, in der soziale und ökologische Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen können und aus Herausforderungen neue Chancen erwachsen.

Jasmin, Gada und Maryam sind drei Schneiderinnen, die aus Syrien nach Izmir geflüchtet sind – hier präsentieren sie stolz ihre Werke. Bild: Glocal Roots
Gewinne unterstützen die Projekte von Glocal Roots
Die Social Factory der Flüchtlingsorganisation Glocal Roots ist ein wegweisendes, sozial und ökologisch nachhaltiges Projekt, das die Prinzipien des Upcyclings nutzt, um textile Produkte herzustellen. Die in der Schweiz verkauften Produkte generieren Gewinne, die direkt in die Projekte von Glocal Roots reinvestiert werden. Diese Projekte unterstützen jährlich tausende von Flüchtenden. Hier gehts zum Shop von Glocal Roots.
Autorin: Liska Bernet
Was heisst eigentlich nachhaltige Mode? Wir haben die Tipps, wie du nachhaltige Mode kaufen kannst.
