PFAS sind fast überall: Ob in Erdbeeren, Spargeln oder im Fleisch. Bild: istock.com
Das PFAS-belastete Fleisch aus dem Kanton St. Gallen macht in diesen Tagen einmal mehr Schlagzeilen. Die Verunsicherung ist gross. Und die Chemikalien allgegenwärtig. Sie stecken als Imprägniermittel in Lebensmittelverpackungen und Einweggeschirr, in Textilien, Möbeln und Teppichen. Als Emulgatoren in Kosmetika, Reinigungsmitteln oder im Feuerlöschschaum. Sie stecken längst in unserem Blut und unseren Organen. In uns allen.
Die Abkürzung PFAS steht für den sperrigen Begriff per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen und die sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Vielen sind sie als «Ewigkeitschemikalien» geläufig. Die Moleküle sind derart stabil, dass sie praktisch für immer in der Umwelt bleiben und längst zum Problem geworden sind. Besonders stossend: Für sehr viele Anwendungen existieren seit langem gute Alternativen und in vielen Fällen bräuchten Produkte gar keine PFAS. Martin Scheringer, Privatdozent an der ETH Zürich, beschäftigt sich von Berufswegen mit diesen ewigen Chemikalien.
Martin Scheringer: Zum Glück hält sich das mulmige Gefühl bei mir in Grenzen, obwohl ich die Probleme von PFAS allzu gut kenne. Gerade deshalb finde ich es wichtig, möglichst viel darüber zu erfahren und zu wissen. Nur so fördern wir die vielen Risiken und Probleme zutage.
Natürlich fallen Sie nicht gleich tot um, wenn Sie PFAS über die Nahrung, Wasser oder die Haut aufnehmen. Aber der Körper braucht mehrere Jahre, um sie wieder auszuscheiden. Das gilt beispielsweise für die sehr gut untersuchten PFOA (Perfluoroctansäure) und PFOS (Perfluoroctansulfonsäure), die in Lebensmittelverpackungen, Feuerlöschschaum oder Textilien vorkommen oder früher vorkamen. Das führt dann zu einer chronischen Toxizität und die wurde lange Zeit massiv unterschätzt.
Da gibt es verschiedene Wege. Bei einem Brand oder einer Feuerwehrübung gelangt der Löschschaum in den Boden oder ins Abwasser. Gerade bei Flughäfen, wo viel geübt wird, findet man oft kontaminierte Böden. Die Kläranlagen könne PFAS nur schlecht filtern und gar nicht abbauen, also landen sie in den Gewässern und von dort gelangen sie irgendwann in die Pflanzen und schliesslich unsere Nahrung.
Ich sage immer, sie sind wie Sand im Getriebe. Man weiss heute, dass PFAS die Schilddrüsenfunktion und den Fettstoffwechsel schädigen, letzteres führt zu erhöhten Cholesterinwerten. Die Chemikalien schädigen Leber und Nieren bis hin zu Nierenkrebs. Sie schädigen die Geschlechtsorgane, können zu Hodenkrebs führen und die Spermienzahl vermindern. PFAS durchdringen die Plazenta und beeinträchtigen bereits das ungeborene Kind. Auch die Immunantwort bei Impfungen ist durch PFAS schlechter.
Bist du für strengere Grenzwerte bei PFAS in Lebensmitteln?
Die erwähnten PFOA und PFOS, weil wir sie über die Nahrung und das Trinkwasser aufnehmen. Bei diesen beiden Chemikalien ist die toxische Wirkung am besten untersucht. Selbst bei der Firma DuPont, die die Teflonpfannen mithilfe von PFOA entwickelt hat, hat man schon vor 50 Jahren die Gesundheitsgefahren erkannt. Trotzdem wurden Jahrzehnte Wasser und Böden verseucht, bis schliesslich Kühe tot umfielen.
Ja. Der Spielfilm «Dark Waters» erzählt diesen Kampf des Anwalts Robert Bilott, der die Wahrheit ans Licht brachte. Ein wirklich sehenswerter Film!
Auch bei uns kommen immer mehr PFAS-belastete Standorte ans Licht, weil einfach mehr gemessen wird. Die Chemikalien selbst sind meist schon seit Jahrzehnten da. Aktuell werten die Kantone und der Bund Daten von 300 Standorten aus, an denen explizit nach PFAS gesucht wurde. Der Kanton Baselland hat vor einigen Jahren das Trinkwasser untersucht und die Daten veröffentlicht. Bei 70 Prozent der Messstellen konnten PFAS nachgewiesen werden.
In diesem Fall nicht. Die Behörden haben dazu bereits im Rahmen der nationalen Grundwasserbeobachtung festgestellt, dass TFA flächendeckend im Grundwasser ist. TFA kommt zum einen als Abbauprodukte mancher Pestizide vor. Daher ist das Grundwasser rund um Ackerland besonders betroffen. TFA ist zudem ein Abbauprodukt der grössten PFAS-Gruppe, nämlich jene der gasförmigen Kälte- und Treibmittel, wie wir sie in Wärmepumpen, Kühl- und Klimaanlagen usw. verwenden.
Mit einer geschätzten Produktion von weltweit über einer Million Tonnen pro Jahr sind sie die mit Abstand grösste Gruppe. Entsprechen gross ist die Menge des in der Luft abgebauten TFA. Die Gase selbst gehen nicht in den Boden und kaum in den Körper, deshalb sind sie weniger gefährlich.
Ja, das ist ein ernstes Problem, das aus dem Ruder gelaufen ist. Ohne harte Massnahmen, wie Verbote, werden die Konzentrationen weiter ansteigen und irgendwann sind sie so hoch, dass es zu toxischen Effekten kommt.

Im Grundwasser, in der Luft, in tierischen oder pflanzlichen Lebensmitteln: die PFAS-Chemikalien sind überall. Grafik: BAFU
Nicht wirklich, PFAS sammeln sich über Wasser und Boden auch gut in Pflanzen an und zwar in allen Bestandteilen, also auch den Früchten und Samen. Auswertungen zeigen, dass weisse Spargeln, Erdbeeren, Tomaten oder etwa Peperoni PFAS gut aufnehmen.
Ich glaube nicht, dass das zielführend ist. Geht es um die Lebensmittelsicherheit, brauchen wir mehr Messungen von Böden und Wasser, sodass man kontaminierte Flächen ausfindig macht und diese im Ernstfall gar nicht mehr für den Anbau zulässt. Für die Landwirtinnen und Landwirte kann das jedoch existenzbedrohend werden. Das zeigt sich aktuell im Kanton St. Gallen, wo man stark belastete Böden fand und erwogen hat, PFAS-belastetes Fleisch aus dem Verkehr zu ziehen.
Sicher müsste man die Quellen eliminieren, und das versucht man ja auch. Beispielsweise sind in der Schweiz PFOA seit Juni 2021 und PFOS seit 2011 verboten. Aber mit den Grenzwerten hat der Bund bessere Handlungsmöglichkeiten und eine gesetzliche Grundlage, um Sanierungen durchzuführen und auch, um Unternehmen und die Chemieindustrie in die Pflicht zu nehmen. Ein Teil dieser Arbeit liegt aktuell bei uns. Meine Kollegin hier an der ETH untersucht im Rahmen ihrer Doktorarbeit das Verhältnis zwischen PFAS im Boden und in den Pflanzen. So können wir abschätzen, in welchen Pflanzen sich wie viel PFAS ansammeln, je nachdem, wie stark der Boden belastet ist. Daraus lassen sich dann Grenzwerte ableiten.
Nein, insgesamt durchaus nicht. Es gibt nur wenige Bereiche, wo der Einsatz von PFAS derzeit noch essentiell ist – z.B. bei Medizinprodukten wie Herzklappen. Wenn wir es schaffen, die PFAS-Verwendung auf diese Produkte zu reduzieren, sind wir auf dem richtigen Weg.
Sehr viele sogar! Gerade in den Endprodukten für Konsumentinnen und Konsumenten lassen sich PFAS oftmals gut ersetzen. Ein Beispiel sind Kosmetika, wo inzwischen viele PFAS ersetzt oder einfach ersatzlos herausgenommen wurden. Es gibt PFAS-freien Skiwachs, Kletterseile und Outdoorbekleidung ohne PFAS. Aber vielerorts stecken sie immer noch drin.
Bei Lebensmittelverpackungen aus Plastik und vor allem bei Einweggeschirr aus Bambus, Zuckerrohr und anderen Pflanzenfasern. Die werden oft mit PFAS behandelt, damit sie wasserabweisend sind. Das ist besonders perfid, weil wir so PFAS direkt mit dem Essen oder dem Kaffee zu uns nehmen. Solche Einwegprodukte sollte man nie kompostieren, auch wenn das auf der Verpackung steht.
Verwenden Sie bei Lebensmitteln und Getränken immer Glas, Metall oder Keramik. Sie können beispielsweise im Unverpackt-Laden einkaufen oder die Lebensmittel zu Hause gleich aus der Plastikverpackung nehmen, in Wachspapier einwickeln oder in Glas- oder Metall-Gefässe legen, damit sie möglichst kurze Zeit diesen Kunststoffen ausgesetzt sind. Achten Sie bei Kosmetika in der Liste der Inhaltsstoffe auf den Wortteil «perfluor». Diese Kosmetikprodukte enthalten PFAS.
Ich frage in der Mensa immer nach einer Porzellantasse für den Kaffee. Zu Hause setzten wir die eben genannten Tipps um. Wir verwenden auch Schneidbretter und Kochbesteck aus Holz und Metall statt Kunststoff. Und wir bestellen Wasser über den Getränkehändler in Glasflaschen in Harassen.

Die Ewigkeitschemikalie TFA (Trifluoressigsäure) gehört ebenfalls zu den PFAS und reichert sich in Schweizer Gewässern rasant an. Ihre Konzentration im Grundwasser hat sich innert acht Jahren verdoppelt. Quelle: NAQUA
Nein, weil sie inzwischen wirklich überall sind. Wir alle haben PFAS im Blut.
Das können Sie nicht herausfinden, weil es oftmals gar nicht deklariert werden muss. Da müsste man sich hinsetzen und akribisch die Patente der Firmen studieren.
Bio-Produkte enthalten tendenziell weniger PFAS, weil im Anbau Pestizide und künstliche Düngemittel verboten sind. Aber falls der Boden mit PFAS belastet ist, nehmen Bio-Produkte die PFAS ebenso auf, wie dies konventionell angebaute Produkte tun.
Tatsächlich gibt es weltweit auch Bestimmungen, die PFAS explizit verlangen – etwa muss der Löschschaum des US-Militärs, soweit ich weiss, immer noch PFAS enthalten. In den meisten Fällen geht es aber darum, dass die Umstellung in den Industrieprozessen aufwändig und teuer ist. Also versucht man den Status Quo mit fadenscheinigen Argumenten aufrechtzuerhalten.
Nehmen wir das Chrombad für Auto-Stossstangen und verchromte Armaturen in Badezimmern. Diesen Bädern fügt man PFAS hinzu, damit sie nicht schäumen. Das ginge auch mit Unterdruck, aber dafür muss dieser ganze Produktionsschritt komplett umgebaut werden. Ein anderes Beispiel sind die erwähnten Löschschäume.
Weil man nicht einfach den Löschschaum im Tank austauschen kann. Anlagen müssen umgestellt und das Equipment angepasst werden, die Feuerwehrleute müssen entsprechend umgeschult werden. Das ist wiederum teuer und aufwändig.
Fakt ist, dass sich die PFAS in praktisch allen Anwendungsbereichen, seien es nun Solarzellen, Autobatterien oder Windräder gut ersetzen lassen. Und das wird zum Teil bereits gemacht. Die Frage ist, wie sehr sind diese Technologien schon skalierbar? Wir brauchen eben nicht nur eine Energiewende, sondern auch eine Chemiewende. Hier könnte stattliche Förderung, wie bei der Solarenergie, viel bewirken.
PFAS sind wie Milch im Kaffee. Wir können sie praktisch nicht mehr aus der Umwelt filtern. Das bereitet auch den Behörden grosse Sorgen. Die Bindung des Fluor an den Kohlenstoff ist so fest, dass man über 1000 Grad braucht, sehr hartes UV-Licht, wie es nur hoch oben in der Atmosphäre vorkommt, oder sehr aggressive Chemikalien, um die PFAS zu zerstören. Man kann höchstens kleinflächig Böden sanieren, indem man sie auswäscht oder verbrennt. In grösserem Stil wäre das nicht nachhaltig und schon gar nicht bezahlbar.
Das Wasser wird gesammelt, stark aufkonzentriert und dann werden die PFAS darin zerstört. Aber auch so lassen sich lediglich kleine Wassermengen reinigen und zwar vor Ort an der Quelle. Für unsere Gewässer kommt das nicht in Frage.
Da bin ich leider wenig zuversichtlich. PFAS sind ein ausser Kontrolle geratenes Problem. Sie gelangen seit rund 80 Jahren in die Umwelt und wir können sie nicht mehr zurückholen.
PFAS-Verbot in der EU
Anfang 2023 reichten die fünf Staaten Deutschland, Dänemark, Holland, Norwegen und Schweden bei der europäischen Chemikalienagentur (ECHA) einen Vorschlag ein. Sie wollen die gesamte Gruppe der PFAS einer Beschränkung unterwerfen. Dies mit Übergangsfristen von 18 Monaten bis zu 13,5 Jahren. Für Anwendungen in bestimmten Bereichen, wo es nachweislich noch keine Alternativen gibt, wie etwa in der Medizin, soll es unbegrenzte Ausnahmen geben. Zu diesem Vorschlag sind während einer sechsmonatigen Konsulationsperiode 5600 Eingaben gemacht worden, viele davon seitens der Industrie. Diese werden aktuell von den Ausschüssen für Risikobewertung (RAC) und für sozioökonomische Analyse (SEAC) bewertet. Voraussichtlich im kommenden Jahr soll es einen angepassten Vorschlag geben. Auch dieser durchläuft eine kurze Konsultationsphase, bevor ein definitiver Entscheid fällt.
Martin Scheringer ist Privatdozent am Departement Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich und leitet die Forschungsgruppe für Chemische Gefahren- und Risikobewertung. Scheringer ist zudem Professor für Umweltchemie an der Masaryk-Universität in Brünn, Tschechien. Er ist Vorsitzender und Gründungsmitglied des International Panel on Chemical Pollution (IPCP) und Präsident des Food Packaging Forums. Beide NGO’s setzten sich für den verantwortungsvollen und transparenten Umgang mit Chemikalien ein und engagieren sich für Umweltschutz und Gesundheit.
Wir inspirieren mit Go Green – hilf mit!
Die Produktion dieses Beitrags hat einiges gekostet.
Als Leser: in von Go Green konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos aber ohne Bezahlschranke. Das ist gut so und soll so bleiben. Denn wir wollen so viele Menschen wie möglich über Nachhaltigkeit und die besten Zukunftslösungen informieren und inspirieren. Mit einem kleinen Betrag hilfst du uns, damit wir allen weiterhin ein spannendes Angebot zeigen können.
Das geht – beispielsweise mit Twint oder Kreditkarte – sehr schnell und einfach!
Klicke diesen Link und hilf uns, dass es bei Go Green noch mehr spannende Zukunftsthemen gibt!
Vielen Dank für deine Unterstützung
Das Team von Go Green
