Regional einkaufen und Verpackung - Effekt für die Umwelt wird überschätzt

6 Minuten
24. Februar 2023

Die beiden Forscher Thomas Nemecek und Jens Lansche von Agroscope sind bekannte Experten im Bereich Ökobilanzen in der Landwirtschaft. Sie erklären, dass der direkte Einkauf beim Bauern nur bei grösseren Einkäufen Sinn macht, warum Verpackung und Transport punkto Umwelt-Fussabdruck weit weniger wichtig sind als die Produktion und warum Fleisch aus Weidehaltung dem Klima mehr schadet als viele denken.

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Regional einkaufen

Auf dem Gemüsemarkt oder beim Bauern einzukaufen macht meist nur bei einer Vielzahl von eingekauften Produkten Sinn.  Bild: istock.com

In weiten Teilen der Bevölkerung gilt: Solange ich regionale Produkte mit kurzen Lieferwegen konsumiere, ist es ökologisch ziemlich nachhaltig. Aber die Art des Produktes ist ja weit entscheidender ist als die Frage, woher es kommt, oder?

Thomas Nemecek: Das Gewicht oder das Volumen sind massgebend für die Umweltwirkung der Transporte. Aber beim gleichen Gewicht sind die Umweltwirkungen der Produktion von Käse viel grösser als für Früchte und Gemüse. Der Grund: Für ein Kilo Käse benötige ich zehn Liter Milch, die Kuh braucht dafür 50 bis 60 Kilogramm frisches Futter und dazu kommt noch der Aufwand für die Aufzucht. Der Umweltfussabdruck ist also hoch. Der Transport spielt dort eine viel geringere Rolle als bei Früchten und Gemüse. Bei vielen Produkten ist die Produktion entscheidender. Bei einigen Produkten – besonders bei Flugtransporten – spielt er aber eine grosse Rolle.

Ist regional und saisonal nicht ein trügerisches Marketinginstrument?

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Ist «regional und saisonal» nicht auch ein trügerisches Marketinginstrument, damit wir uns besser fühlen? Auch Eaternity, nach eigener Aussage die weltweit grösste Datenbank zu Umweltauswirkungen von Nahrungsmitteln, sagt: Die mit Abstand wichtigste Entscheidung ist die Art des Produkts. Erst danach kommen Regionalität und Saisonalität. Pflanzliche Produkte generieren 10 bis 50 Mal weniger Treibhausgase.

Jens Lansche: Richtig. Und trotzdem sollten wir beides berücksichtigen. Im Sommer sind Tomaten aus der Schweiz gegenüber jenen aus Spanien im Vorteil. Ab dem Herbst wird es aber schwierig, weil unsere Gewächshäuser beheizt werden müssen. Dann können ausländische Produkte umweltfreundlicher sein. Ein klassisches Beispiel ist auch der gelagerte Apfel. Im Januar, Februar hat ein Schweizer Lagerapfel schon ein halbes Jahr Lagerung im Kühlhaus hinter sich. Dann kann dies die grössere Umweltbelastung sein als ein Transport aus Neuseeland.

„Die Auswirkung der Verpackung beispielsweise wird aus der Wahrnehmung der Konsument:innen überschätzt“

Herr Nemecek, sie sind Autor einer berühmten Publikation über die Umweltauswirkungen unserer Ernährung. Dort lesen wir auch, dass die Umweltauswirkungen von Transport und Verpackung oft überschätzt werden.

Thomas Nemecek: Bei Früchten und Gemüsen spielt wie gesagt der Transport anteilmässig die grössere Rolle, weil die Produktion an sich nicht treibhausgasintensiv ist. Bei tierischen Produkten haben die Umweltwirkungen der Produktion den grössten Anteil. Die Auswirkung der Verpackung beispielsweise überschätzen die Konsument:innen.

Warum?

Thomas Nemecek: Weil die Verpackung etwas ist, dass die Konsumenten täglich sehen. Es ist physisch da, landet im Recycling oder sogar im Abfall.

Wir konzentrieren uns also oft auf umwelttechnische Nebenschauplätze.

Thomas Nemecek: Zum Teil, ja. Die Verpackung hat jedenfalls eine Funktion. Wenn wir bei der Verpackung zu viel sparen, haben wir vielleicht mehr Verluste, mehr Food Waste. Dann geht der Schuss oft hinten raus. Wir haben dann den Umweltfussabdruck sogar erhöht, obwohl wir bei der Verpackung gespart haben. Denn die Auswirkung des Inhalts ist in den meisten Fällen viel wichtiger als die Verpackung. Ausnahmen sind da beispielsweise Getränke wie Mineralwasser oder Bier, wo die Verpackung sehr entscheidend sein kann. Die Verpackung muss also qualitativ gut sein, damit das viel treibhausgasintensivere Lebensmittel nicht weggeworfen werden muss.

Umweltfussabdruck Lebensmittel.

Fleisch, Milchprodukte oder Kaffee haben 10 bis 50 Mal höhere Treibhausgas-Emissionen als pflanzliche Produkte – Transport und Verpackung fallen bei diesen Lebensmitteln kaum ins Gewicht.  Grafik: OurWorldinData.org / Datenquelle: Poore/Nemecek, 2018

Worauf hast du bisher beim Einkauf von Lebensmitteln geachtet?

Food Waste ist ein sehr wichtiger Punkt – fast bei allen Lebensmitteln.

Thomas Nemecek: Ja, wobei auch schon bei der Verarbeitung grosse Lebensmittelverluste entstehen. Nicht erst danach.

Jens Lansche: In der Produktion sortieren sie schon sehr viele essbare Lebensmittel aus, weil sie nicht einer gewissen Grösse oder Form entsprechen und damit die Handelskriterien nicht erfüllen.

Thomas Nemecek: Und gerade Gemüse wird meist zu viel angebaut. Das Wachstum lässt sich schwer steuern. Und die Produzenten müssen Verträge erfüllen. Sie produzieren also immer etwas mehr, um auf der sicheren Seite zu stehen. Mit besseren Absprachen in der Lieferkette liesse sich da einiges einsparen, damit keine Überproduktion eingeplant werden muss. Diese wird ja wieder untergepflügt oder gar nicht geerntet.

„Pro Kilo konsumierter Kartoffeln müssen zwei Kilogramm Kartoffeln produziert werden“

Haben nicht viele Leute umgedacht bezüglich Form und Grösse der Lebensmittel?

Jens Lansche: Wir untersuchten im EU-Projekt SmartChain lange und kurze Wertschöpfungsketten. Dort fanden wir heraus, dass die Konsument:innen bei regionalen Produkten eher bereit sind, Abweichungen zu tolerieren. Beispielsweise, wenn im 10er-Karton Eier nicht alle in dieselbe Grössenklasse fallen. Beim Direktvermarkter nehmen das die Leute in Kauf, im Handel nicht. Auch Äpfel, die optisch gewisse Mängel haben, kaufen die Leute beim Bauern oder auf dem Wochenmarkt, im Supermarkt nicht.

Thomas Nemecek: Interessant waren auch die Ergebnisse aus einem anderen Projekt. Die Kolleg:innen fanden heraus, dass pro Kilo konsumierter Kartoffeln zwei Kilogramm Kartoffeln produziert werden müssen. Die Hälfte waren also Verluste, gingen in die Fütterung von Tieren und so weiter.

„Es gibt keine systematischen Vorteile der inländischen Produktion. Der Transport spielt eine untergeordnete Rolle“

Auch Bio-Produkte sind ein grosses Thema. Wie sieht die Bilanz eigentlich aus, wenn ich Bio-Fleisch aus der Schweiz jenem aus dem Ausland vorziehe. Habe ich dann umwelttechnisch etwas richtig gemacht?

Thomas Nemecek: Es gibt keine systematischen Vorteile der inländischen Produktion. Der Transport spielt eine untergeordnete Rolle. Es ist viel wichtiger, was es für eine Tierart ist und wie es produziert wurde. In einer Studie verglichen wir verschiedene Rindfleischarten: es gab bis zu sechsmal höhere Treibhausgas-Emissionen bei Rindfleisch aus einer extensiven Weidemast in Brasilien im Vergleich zu Milchkühen aus den Niederlanden.

Warum schneidet die Weidemast bei Treibhausgas-Emissionen so schlecht ab?

Thomas Nemecek: Weil das Wachstum langsamer ist, es mehr Futter braucht und weil durch die längere Lebenszeit auch viel mehr Methan entsteht. Es braucht auch bis zu 30-mal mehr Fläche bei Weidemast in Brasilien als bei Fleisch von Milchkühen. Das ist dann natürlich nicht dasselbe Fleisch – eher Hackfleisch – aber es ist trotzdem bemerkenswert.

„Der lange Transport per Schiff ist an sich vernachlässigbar und macht nur ein paar Prozent aus. Die Art der Tierproduktion spielt eine viel wichtigere Rolle“

Viele Konsument:innen werden sich schwertun, beim Kauf auf Intensivmast zu setzen, weil dies klimaverträglicher ist.

Thomas Nemecek: In der Tat gibt es Zielkonflikte. Das irritiert die Leute und ist für sie überraschend. Es entspricht nicht den gängigen Erwartungen. Dass der lange Transport per Schiff an sich vernachlässigbar ist und nur ein paar Prozent ausmacht. Die Art der Tierproduktion spielt eine viel wichtigere Rolle.

Wann ist es nachhaltig, beim Bauern einzukaufen?

Jens Lansche: Wir haben dies im besagten EU-Projekt zu kurzen Lieferketten untersucht. Bezüglich Umweltauswirkungen schnitten jene Produzent:inen am besten ab, die eine grosse Vielfalt an Produkten anbieten konnten und gleichzeitig nahe an den Konsument:innen waren. Beispielsweise an einem Wochenmarkt. Dort haben die Kund:innen oftmals wenig Transportaufwendungen pro Produkteinheit, weil sie den gesamten Einkauf dort erledigen können.

„Wenn ich mit dem Auto zwei Kilometer zum Supermarkt fahre und ein paar Tomaten kaufe, habe ich eine grössere Umweltauswirkung, als wenn die Tomaten per Lastwagen aus Spanien kommen“

Aber auch lange Transportwege müssen nicht immer schlecht sein, richtig?

Jens Lansche: Ja, da gehen die Leute manchmal von falschen Annahmen aus. Denn die langen Versorgungsketten sind oft sehr effizient organisiert. Nicht nur ökonomisch, sondern auch bezüglich der Umweltauswirkungen. Ein LKW mit Tomaten aus Spanien ist voll ausgelastet, die spezifische Auswirkung des Transports pro Kilogramm Tomate ist sehr gering.  Wenn ich mit dem Auto hingegen zwei Kilometer zum Supermarkt fahre und ein paar Tomaten kaufe, habe ich eine grössere Umweltauswirkung.

Transportwege

Ein LKW mit Tomaten aus Spanien ist voll ausgelastet, die spezifische Klima-Wirkung des Transports pro Kilogramm Tomate ist sehr gering.  Bild: istock.com

Mit dem Auto fünf Kilometer zum Bauernhof zu fahren, der dann nur Eier und Kartoffeln hat – das rechnet sich ökologisch nicht.

Jens Lansche: Wenn Sie nur wegen den zwei Produkten die Strecke mit dem Auto fahren, dann macht das ökologisch wenig Sinn.

„Wir sollten möglichst viel einkaufen pro Einkauf. Aber nur soviel, wie wir verbrauchen können“

Der Supermarkt hat auch viele Vorteile.

Jens Lansche: Ja, ein Wocheneinkauf mit einer Vielzahl von Produkten wird besser an einem Ort erledigt. Für die Konsumen:innen gibt es im Wesentlichen drei Stellschrauben. Zum einen ein möglichst umweltfreundliches Transportmittel. Mit dem Fahrrad, dem ÖV oder dem Elektroauto – zumindest in einem Land wie der Schweiz mit einem umweltfreundlichen Strommix. Zweitens sollten es möglichst kurze Distanzen zum Einkaufsort sein. Drittens möglichst viel einkaufen pro Einkauf. Aber halt doch nur so viel, wie man auch verbrauchen kann – sonst gibt es wieder Food Waste.

Für die Konsument:innen ist die Verwirrung gross. Intensivmast-Rindfleisch ist klimafreundlicher als jenes aus Weidehaltung, der Apfel aus Neuseeland kann umweltfreundlicher sein als der Schweizer Apfel, der seit 6 Monaten im Kühllager liegt, der Supermarkt schlägt oft den Einkauf beim Bauern von nebenan. Klimafreundliches Konsumieren müssten wir schon früh in der Schule lernen. Oder nicht?

Thomas Nemecek: Manchmal ist es verwirrend, ja. Andererseits sollten die wichtigsten Regeln klar sein. Gerade bei der jüngeren Generation. Wichtig ist, dass die Informationen über die Auswirkungen da sind. Die Regeln wären einfach: weniger Fleisch essen, keine eingeflogenen Spargeln, keine Tomaten aus dem Gewächshaus und so weiter. Darüber hinaus wird es aber schwierig, weil die Informationen zum Umweltfussabdruck fehlen. Ich sehe im Laden nicht, wie die Lebensmittel dahingekommen und wie sie produziert wurden sind. Es braucht mehr Transparenz in der Lieferkette.

„Wir brauchen die Information zum Fussabdruck der Produkte“

Angenommen es gäbe über einen Strichcode die Information, wie gut ein Produkt punkto Klima, Biodiversität und Umweltbelastungspunkte abschneidet: Würde es die Mehrheit nicht trotzdem überfordern?

Jens Lansche: Insgesamt empfinden die Konsument:innen die Labelvielfalt wohl als verwirrend. Ein Stück weit müssen wir damit leben, dass beim konkreten Entscheid auch immer Werte dahinterstehen. Wenn mir das Tierwohl wichtig ist, entscheide ich mich für eine andere Produktionsform als die ökonomischste und klimafreundlichste. Wichtig finde ich, dass wir uns mit den Themen wirklich auseinandersetzen.

Thomas Nemecek: Die Labels sagen nicht unbedingt etwas aus über die tatsächlichen Auswirkungen auf die Umwelt, sondern sie versprechen Sicherheit, wie das Produkt hergestellt wurde. Daher brauchen wir die Information zum Fussabdruck der Produkte. Die EU arbeitet seit zehn Jahren am Product Environmental Footprint; trotz einigen gerechtfertigten Vorbehalten ist das ein vielversprechender Ansatz.

Ihr Kollege Joseph Poore hat gesagt: «Wir setzen auf Produktinformationen, aber auch auf Steuern und Subventionen, um den Wandel zu unterstützen.» Steuern wären am effektivsten.

Thomas Nemecek: Alles hat seine Wirkung. Wir brauchen sicher verschiedene Massnahmen. Denn die Herausforderung ist gross. Wenn wir die Treibhausgase auf die Pariser Ziele runterbringen wollen, dann braucht es auch einschneidende Massnahmen. Ob da Steuern effektiver sind, haben wir nicht untersucht.

„Sich pflanzlich zu ernähren ist die grösste Handlung, die ein einzelner Mensch tun kann, um die Auswirkungen auf den Planeten Erde zu reduzieren“ (Zitat Joseph Poore)

Gemäss Poore müssten die Menschen sich auch viel pflanzlicher ernähren. Dem «Guardian» sagte er: «Sich pflanzlich zu ernähren ist die grösste Handlung, die ein einzelner Mensch tun kann, um die Auswirkungen auf den Planeten Erde zu reduzieren. Nicht nur Treibhausgase, sondern globale Versauerung, Eutrophierung, Landnutzung und Wassernutzung. Unterschreiben Sie das?

Wir haben bei Agroscope keine Vergleiche mit Massnahmen in anderen Sektoren gemacht, zum Beispiel dem Umbau des Energiesystems. Klar ist aber, dass eine pflanzenbetonte Ernährung aus Sicht der Umwelt vorteilhaft ist und auch den Empfehlungen der Ernährungsfachleute entspricht.

„Wir haben ja nur eine bestimmte Fläche und Ressourcen, müssen sehr viel importieren. Fast die Hälfte der Nahrungsmittel“

Wie würde ein umweltverträgliches Ernährungssystem für die Schweiz aussehen?

Thomas Nemecek: Das haben wir vor einigen Jahren untersucht. Wir haben ja nur eine bestimmte Fläche und Ressourcen, müssen sehr viel importieren. Fast die Hälfte der Nahrungsmittel. Wir haben gezeigt, dass wir die Umweltauswirkungen um mehr als die Hälfte reduzieren könnten. Dazu müsste das System optimiert werden: weniger Fleisch, Alkohol und Speiseöle, dafür mehr Getreide, Kartoffeln, Gemüse, Früchte und Nüsse konsumieren. Und Food Waste müsste soweit möglich vermieden werden.

„Um die Klimaziele zu erreichen, werden wir in Zukunft jedoch auch bei der Milchproduktion reduzieren müssen“

Milchkühe

Auf gewissen Flächen macht Milchwirtschaft in der Schweiz ökonomisch Sinn, dennoch müssten Fleisch- und Milchkonsum wegen der Umweltauswirkungen markant zurückgehen.  Bild: istock.com

Das Klimagas Methan befeuert die Klimakrise stark. In der Schweiz fallen 83 Prozent aller Methanemissionen bei der Viehhaltung an. Sie haben gesagt, den Fleischkonsum sollten wir um 70 Prozent reduzieren, aber den Konsum an Milchprodukten könnten wir beibehalten. Können Sie das erklären?

Thomas Nemecek: Es ist richtig, dass die Milchproduktion sehr grosse Treibhausgasemissionen verursacht. Die landwirtschaftliche Fläche in der Schweiz besteht aber aus 70 Prozent Grasland. Auf dieser Fläche ist die Milchproduktion die effizienteste Form. Die Kühe fressen Gras und geben Milch. Der Impact ist dann geringer als bei einer reinen Fleischproduktion. Natürlich entsteht bei der Milchproduktion auch Fleisch, denn die Kälber werden zum Teil dann geschlachtet. Um die Klimaziele zu erreichen, werden wir in Zukunft jedoch auch bei der Milchproduktion reduzieren müssen.

Können Sie für Laien erklären: Warum können wir auf dieser riesigen Fläche für die Milchproduktion keine pflanzlichen Produkte anbauen?

Es gibt durchaus Weiden, die wir heute für Ackerbau nutzen könnten, zum Beispiel für den Anbau von Soja, Erbsen, Getreide oder Kartoffeln. Das wäre sinnvoller. Aber es gibt viele Flächen, die nicht geeignet sind für Ackerbau. Wir haben aktuell ein Projekt bei Agroscope, das untersucht, welche Graslandflächen, die jetzt für die Tierproduktion genutzt werden, für Ackerbau geeignet wären.

„Vor allem die Futtermittelproduktion auf Ackerland sollte runtergefahren werden. Als Futtermittel sollten die Nebenprodukte der Lebensmittelindustrie dienen“

Jene, die nicht geeignet sind, sind sicher in den Bergen. Aber der grösste Teil der Wiesen ist doch im flachen Gebiet, gerade auch im Mittelland?

Thomas Nemecek: Es gibt im Mittelland Kunstwiesen, die in der Fruchtfolge stehen. Die haben agronomisch eine gewisse Funktion. Durch die intensive Durchwurzelung kann sich der Boden wieder erholen und verschiedene Unkräuter können damit sehr effizient bekämpft werden. Aber im Hügel- und Berggebiet gibt es zahlreiche Flächen, wo viel Regen fällt, die Wachstumszeit nur kurz ist oder sich der Boden für den Ackerbau nicht eignet, zum Beispiel weil die Bodenschicht zu dünn oder zu steinig ist. Aber ja, es ist wichtig, dass wir künftig stärker in Richtung Produktion von pflanzlichen Nahrungsmitteln gehen. Vor allem die Futtermittelproduktion auf Ackerland sollte runtergefahren werden. Als Futtermittel sollten die Nebenprodukte der Lebensmittelindustrie dienen. Ein grossflächiger Soja- und Maisanbau zur Fütterung ist aus Umweltsicht nicht sinnvoll.

„10 Prozent der Treibhausgase in der Schweiz stammen aus Moorböden, die abgebaut werden“

Was würde es aus ökologischer Sicht bedeuten, wenn wir einen Grossteil der Wiesen in Ackerland umwandelten?

Thomas Nemecek: Grundsätzlich sollten wir die Tierproduktion reduzieren und pflanzliche Nahrungsmittel anbauen. Dabei müssen wir jedoch beachten, dass beim Umpflügen der Böden CO2 freigesetzt wird. Das müsste in der Produktion dadurch ausgeglichen werden, dass über viele Jahre die Emissionen aus der Tierhaltung wegfallen. Und 10 Prozent der Treibhausgase in der Schweiz stammen aus organischen Böden, den Moorböden, die abgebaut werden. Das müssen wir auch in den Griff bekommen. Denn wenn die trockengelegt werden, um da etwas anzubauen, wird sehr viel CO2 freigesetzt.

„Wir müssen sicher mehr Flächen zugunsten der Biodiversität freispielen und sie der Natur zurückgeben“

Es gibt ja Studien, die besagen, dass Clean Meat, Clean Milk und pflanzliche Ersatzprodukte bis in 20-30 Jahren 60 Prozent ausmachen. Wenn wir nicht mehr so viele Flächen für tierische Produkte brauchen, was passiert dann? Wäre es schlecht, wenn viele Flächen verbuschen und verwalden würden?

Thomas Nemecek: Es würden sich zweifellos mehr Wildtiere ausbreiten. Die teilweise auch Methan ausstossen, aber wohl weniger, als heute von den Kühen kommt. Und weil neben dem Klima die Biodiversität ein wichtiges Thema ist, sind das natürlich interessante Gedanken. Wir müssen sicher mehr Flächen zugunsten der Biodiversität freispielen und sie der Natur zurückgeben.

Jens Lansche: Abgesehen davon würde die Bewaldung langfristig einiges an CO2 binden.

„Eine Studie von Agroscope hat gezeigt, wenn wir auf eine stärker pflanzenbasierte Ernährung umstellen würden, könnten wir den Selbstversorgungsgrad verbessern“

Gibt es beim Anbau von Getreide, Gemüse und Früchten Trends, dass wieder vermehrt in Europa angebaut wird?

Jens Lansche: Wir sehen schon länger, dass Soja in Mitteleuropa konkurrenzfähig angebaut werden kann. Mit dem Klimawandel werden sich die geeigneten Flächen weiter in nördlichere Breiten ausdehnen.  Es können auch Kulturen reaktiviert werden, die schon mal da waren. Dass wir in Europa beispielsweise Linsen wieder vermehrt anbauen.

Thomas Nemecek: Die standortangepasste Produktion wird oft diskutiert. In Island sollte ich nur Fleisch, Milch und Kartoffeln essen. Das ist aber noch keine gesunde Ernährung. Standortangepasst heisst auch, dass ich Dinge importieren muss, die andernorts besser angebaut werden können. Ein gewisser Austausch macht Sinn.

Jens Lansche: Was wir auch nicht vergessen dürfen: Durch Corona und den Ukraine-Krieg wurde uns die Abhängigkeit vom Ausland wieder stärker bewusst. Dadurch gibt es auch verstärkte Überlegungen, wie wir uns eigenständiger versorgen können. Eine Studie von Agroscope hat dabei gezeigt, dass wenn wir auf eine stärker pflanzenbasierte Ernährung umstellen würden, könnten wir den Selbstversorgungsgrad verbessern.

Früher konsumierten wir alles von überall her. Weil wir es wollten, konnten, es uns schmeckte. Wann wurden wir uns eigentlich bewusst, welche Folgen das hat?

Thomas Nemecek: Ungefähr seit fünf Jahren sind die Auswirkungen der Ernährung auf das Klima mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Das Fliegen und Autofahren wurde schon lange diskutiert. Das Essen kam vor einigen Jahren dazu. Und es ist ganz wichtig, dass wir uns damit auseinandersetzen und die Diskussionen führen.

Die Experten:

Der Ingenieur-Agronom Thomas Nemecek von Agroscope (Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung) ist unter anderem bekannt für die Methodenentwicklung für landwirtschaftliche Ökobilanzen, Ökobilanzen in der Tierproduktion und Umweltwirkungen der Ernährung. Zusammen mit Umweltforscher Joseph Poore aus Oxford analysierte er in einer weltbekannten Publikation («Reducing food’s environmental impacts through producers and consumers») unzählige Studien zu 40 Lebensmitteln. Sie erfassten so die gesamten Umwelteffekte auf das Klima, den Flächenbedarf, die Versauerung und Überdüngung von Ökosystemen sowie die Wasserknappheit.

Jens Lansche ist Projektleiter Ökobilanzen bei Agroscope. Er befasst sich unter anderem mit der Ökobilanzierung von Produkten, Betrieben und Wertschöpfungsketten im In- und Ausland und ist bei Agroscope für die Ökobilanzsoftware SALCAfuture und die SALCA-Datenbank für Ökoinventare zuständig.

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Autor:in: Christian
Bürge
Der Journalist ist Co-Founder und Chefredaktor des Magazins
Go Green.
www.christianbuerge.com
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