Reto Ringger: "Wir stehen vor einem Boom der nachhaltigen Anlagen"

8 Minuten
30. Dezember 2022

Der Start für ökologische Anlagen war mehr als nur harzig. In den vergangenen drei, vier Jahren ist die Nachfrage aber geradezu explodiert. Im Gespräch mit Go Green erklärt Globalance-Gründer Reto Ringger, wo die Branche heute steht und was noch zu tun ist.

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Nachhaltigen Anlagen

Globalance-Gründer und -CEO Reto Ringger: „Nachhaltigkeit im Finanzmarkt wird Mainstream werden.“

Reto Ringger, welche Nachhaltigkeits-Ziele haben Sie sich gesetzt, als Sie sich vor rund 27 Jahren mit grünen Anlagen zu befassen begannen?

Es gab damals noch nichts und unsere Vision war, einen Vermögensverwalter aufzubauen, der Rendite und Nachhaltigkeit zusammenbringt. Das war vor fast 30 Jahren noch eine abenteuerliche Idee. Wir mussten zuerst einmal erste Kunden finden, die an unsere Vision glaubten. In der Schweiz gab es nur wenige institutionelle Investoren, die sich für dieses Thema professionell interessierten. Unsere erste Kundin, die Swiss Re, war eine echte Pionierin in diesem Bereich.

„Alle beschäftigen sich mit Nachhaltigkeit – das ist schon beeindruckend“

Und dann ging es rassig weiter?

Überhaupt nicht. Fast zwanzig Jahre war das Thema nachhaltiges Anlegen ein reines Nischenthema. Es hat fast eine Generation gebraucht, bis das Interesse merklich gestiegen ist. Doch seit drei bis vier Jahren ist die Nachfrage tatsächlich sprunghaft gestiegen. Die gesamte Breite des Marktes von der Politik, dem Regulator, den Unternehmen, den Banken und auch der Investoren beschäftigt sich mit Nachhaltigkeit. Das ist schon beeindruckend und wurde wohl in dieser Grössenordnung von den wenigsten erwartet.

„Wir müssen die beeindruckenden Zahlen auch kritisch hinterfragen“

Die aktuellen Zahlen zeigen, dass gerade in der Schweiz viel Geld in grüne Anlagen investiert wird. Innert fünf Jahren hat sich das nachhaltig angelegte Kapital mehr als verfünffacht. Im Fondsmarkt macht der Anteil der Grünen schon mehr als die Hälfte aus. Weltweit soll es ein Drittel der professionell verwalteten Gelder sein. Eindrückliche Zahlen.

Ja, aber wir müssen diese beeindruckenden Zahlen auch kritisch hinterfragen. Nicht alles was als grün bezeichnet wird, ist auch grün. Es gibt leider noch keine Standards und jeder Anbieter definiert diese für sich selber. Wir sind noch im «Cowboy-Land» und dadurch sind diese Volumen derart angeschwollen. Aber es darf bezweifelt werden, ob jedes Portfolio oder jeder Fonds, der sich als nachhaltig bezeichnet, auch wirklich Nachhaltigkeit enthält. Doch zum Glück ändert sich das nun gerade. Der Regulator nimmt sich diesem Thema nun ernsthaft an, gibt gewisse Standards vor und kontrolliert deren Einhaltung.

Ist Greenwashing nicht fast unvermeidlich?

Für das schnell eingesammelte Kapital gibt es offensichtlich nicht genügend nachhaltige Projekte. Ist da Greenwashing nicht fast unvermeidlich?

Es ging tatsächlich sehr schnell und die Marketingabteilungen waren bei manchen Anbietern schneller als diejenigen Abteilungen, die das professionell umsetzen müssen. Das Angebot wird in den nächsten Jahren zwar steigen, aber wir müssen weiterhin genau hinschauen.

Wie wird dem Problem des Greenwashings denn am besten begegnet?

Nachhaltigkeit hat noch keinen einheitlichen Standard. Das ist aber wichtig und würde dem Markt und den Investoren Orientierung geben. Zudem ist eine hohe Transparenz auf Seiten der Anbieter sehr wichtig: Wo genau wird investiert und nach welchen Kriterien werden die Investments analysiert und beurteilt.

„Die Swiss Climate Scores sind ein guter und pragmatischer Anfang“

Wie hilfreich ist das im Juni 2022 eingeführte Gütesiegel für grüne Anlagen, die Swiss Climate Scores?

Das ist ein guter und pragmatischer Anfang. Die Schweiz fokussiert im Gegensatz zur EU auf den Klimabereich und setzt keine fixen Kriterien fest, sondern orientiert sich an Prinzipien. Das lässt dem Markt Entwicklungs- und Innovationsraum und führt so zu einer Weiterentwicklung. Ob die Freiwilligkeit bei der Einführung denn auch funktioniert, bleibt allerdings abzuwarten.

Oder ist doch die EU mit ihrer EU-Taxonomy auf dem besseren Weg? Für sie gab es unlängst viel Kritik, weil die anfänglich hoch gelobte, umfassende und konsistente EU-Nachhaltigkeits-Taxonomie nachträglich und als Übergangslösung auch mit Atomenergie und Erdgas ergänzt wurde.

Die EU-Taxonomie hat verschiedene Herausforderungen. Zum einen wird Nachhaltigkeit zunehmend politisch definiert. Dass nun auch Atom und Gas nachhaltig sind, hat mit dem politischen Druck aus Frankreich zu tun. Wenn die Regierungen aber ihre politischen Ambitionen bei so einer Regulierung vorne anstellen, dann hilft das nicht unbedingt der Nachhaltigkeit oder unserem Planeten.

Die Taxonomie erscheint ja auch als sehr komplex und unübersichtlich.

In der Tat, die Interpretation vieler Kriterien ist alles andere als klar. Das führt zu einer hohen Komplexität und zu hohen Kosten. Ich denke, dass die EU hier in Zukunft wieder etwas zurückbuchstabieren muss.

„Ein starkes Wirtschaftswachstum steht in Konkurrenz zu den knappen Ressourcen“

investieren Solarenergie

Solar- und Windenergie: Bei den nachhaltigen Fonds im Umweltbereich wird auch und gerade in die Energiewende investiert.  Bild: istock.com

Die Orientierung an den UNO-Nachhaltigkeitszielen führe zu einer besseren Übereinstimmung mit den Erwartungen der Investoren, als wenn bei der Portfolioselektion auf ESG-Ratings abgestellt werde. Ist das auch Ihre Ansicht?

Im Grundsatz stimme ich dem zu und denke, dass die SDG’s eine einfachere Orientierung geben. Ob sie allerdings der Weisheit letzter Schluss sind, bezweifle ich. Stellen Sie sich vor, wir würden alle UNO-Nachhaltigkeitsziele erreichen: Das würde ein grosses Wirtschaftswachstum auslösen, das nicht nur grün ist. Dieses starke Wachstum steht aber in Konkurrenz zu den knappen Ressourcen und einem Wirtschaftswachstum, welches leider noch nicht nachhaltig ist.

„Wir wollen mit nachhaltigen Anlagen vor allem eine positive Wirkung auf die Umwelt erreichen“

Die Kriterien, was wirklich nachhaltig ist, verändern sich stetig. Dass Investitionen in Waffen zu meiden sind, zählte lange zu den selbstverständlichsten Ausschlusskriterien bei Geldanlagen. Doch der Ukraine-Krieg hat zu einem Umdenken geführt. Waffen für die „gute Seite“ oder Verteidigungswaffen werden nun anders beurteilt. Ein Investment in eine deutsche Rüstungsfirma kann ja die Fähigkeit des Landes stärken, den Frieden aufrechtzuerhalten, wird argumentiert.

Das kann man so sehen. Trotzdem bleiben Waffen ein zweischneidiges Schwert. Sie haben nicht nur Abschreckungs-, sondern auch Angriffspotential. Das muss schlussendlich jede und jeder für sich selber beurteilen. Wir verfolgen einen anderen Anspruch. Wir wollen mit unseren Anlagen vor allem einen positiven Footprint, eine positive Wirkung auf die Umwelt erreichen und da stehen andere Technologien oder Sektoren im Vordergrund. Technologien, die uns helfen die grossen Herausforderungen zu lösen und die auch aus einer Anlageperspektive interessant sind.

Das vom Weltklimarat geforderte Ziel, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, ist offenbar kaum mehr realistisch. Welchen Beitrag könnte die Finanzbranche zu diesem Ziel liefern, wenn ihre Produkte wirklich nachhaltig wären?

Eine Finanzwirtschaft, die ihren Namen wert ist, steht in den Diensten der Realwirtschaft. Ihre Ur-Funktion ist eine ökonomische, die wirtschaftliche Zuordnung von Kapital. Und diese Wirtschaftlichkeit muss auch das Einpreisen von externen Faktoren, zum Beispiel von Umweltfaktoren, beinhalten. Über die Zuordnung von Kapital kommt den Finanzmärkten ein sehr wichtige Rolle zu.

Gemäss einer Studie von McKinsey benötigt die globale Transformation Investitionen im Umfang von rund 10 Prozent des globalen Bruttosozialproduktes. Pro Jahr. Wer soll das stemmen?

Das sind dermassen grosse Summen, das kann der Staat und der öffentliche Sektor nicht stemmen. Gerade der Finanzmarkt ist gefordert und muss mithelfen, diese Transformation finanziell zu ermöglichen. Wir müssen neue Finanzierungslösungen, neuartige Instrumente und Ansätze finden, um die grosse Transformation zu finanzieren.

„Nachhaltigkeit wird künftig in fast allen Anlagen zu finden sein – wie der Airbag heute in jedem Auto Standard ist“

Wie lauten Ihre Prognosen für die Entwicklung der nachhaltigen Anlagen heute?

Wir stehen vor einem grossen Boom, wobei die Politik und der Regulator bei diesem Boom eine prägende Rolle spielen werden. Nachhaltigkeit im Finanzmarkt wird Mainstream werden und wir werden neben zunehmender Regulierung auch sehr viel Innovation und neue Angebote sehen. Was das quantitativ heisst vermag ich nicht zu beurteilen. Aber gleich wie heute keine Autos mehr ohne Airbag verkauft werden, wird Nachhaltigkeit in der einen oder anderen Form in fast allen Anlagen zu finden sein.

Wie präsentiert sich die Konkurrenzlage bei den nachhaltigen Finanzunternehmen in der Schweiz und weltweit? Welche zählen zu den wichtigsten Playern?

Die Konkurrenz nimmt rasch zu und all die Anbieter müssen sich differenzieren. Comply, Follow oder Lead: Jeder Anbieter muss sich entscheiden, welche Strategie er verfolgen will. Wir werden wie beispielsweise im Konsumbereich sehr unterschiedliche Ansätze für Nachhaltigkeits-Strategien sehen. In der Schweiz zählen neben Globalance sicher auch UBS oder Lombard Odier zu den Leadern. Jeder mit einem unterschiedlichen Ansatz, Intensität und DNA. Dann gibt es viele Follower und die meisten Anbieter werden sich wohl für einen «Comply»-Ansatz entscheiden. International gesehen sind sicherlich die Anbieter in England, Frankreich, den Niederlanden führend. Die Schweiz hat in den vergangenen Jahren leider etwas an Boden verloren.

„Aktuell werden im Klimabereich viele Versprechungen kommuniziert“

Wie geht Globalance vor, um die Schafe von den Böcken scheiden, um echt grüne von den scheingrünen Firmen zu unterscheiden?

Aktuell werden vor allem im Klimabereich viele Versprechungen und hochsteckende Ziele kommuniziert. Wir kennen den Markt schon sehr lange und schauen sehr genau, wer denn seine Absichten auch in messbare Ziele und operative Massnahmen umsetzt. Wenn zum Beispiel der CEO oder CFO an der Investorenkonferenz nichts über den Einfluss dieser Strategien auf den Unternehmenserfolg ausführen kann, dann ist man auf dünnem Eis. Hier sind die Unterschiede zwischen den Unternehmen einer Branche teilweise sehr gross.

„Viele Messmethoden stehen noch am Anfang und sind nicht sehr ausgeklügelt“

Die Daten von Globalance, die den ökologischen Fussabdruck der Unternehmen grafisch darstellen, haben bereits Einiges bewirkt. Fast alle Firmenwerte der SMI-Unternehmen haben sich verbessert. Sind diese Fortschritte von Nestlé und Co echt oder das Resultat von Tricks?

Nein, das sind keine Tricks. Aber der Boom der letzten Jahre hat auch dazu geführt, dass Unternehmen echte Fortschritte machen. Sie sind von verschiedenen Stakeholdern zunehmend unter Kontrolle und müssen liefern. Das war vor zehn Jahren noch anders und wird sich in den nächsten zehn Jahren nochmals stark ändern. Auf der anderen Seite muss man aber auch feststellen, dass wir bei vielen Messmethoden noch am Anfang stehen und diese noch nicht sehr ausgeklügelt sind. Wir sind alle auf einer Lernkurve und das widerspiegelt sich auch in den Messmethoden. Doch lieber ungefähr richtig als korrekt falsch, wobei man natürlich immer auch Greenwashing aufdecken muss.

„Die Börse nahe am Pariser Klimaziel? Nein, so ist das leider nicht“

Wenn man auf die Börsen-Leitindizes abstellt, gäbe es berechtigte Hoffnungen für echte Fortschritte. Das Erwärmungspotenzial des SPI ist innert Jahresfrist von 3,8 Grad auf noch 2 Grad gesunken und damit schon nahe am Pariser Klimaziel. Der DAX kommt aktuell noch auf 2,5 Grad, der S&P 500 auf 2,9 Grad Celsius. Das Klimaziel scheint plötzlich doch erreichbar.

Nein, so einfach ist das leider nicht. Die Methodik für die Berechnung der Klimazahlen wurde dieses Jahr erneuert und auf eine neue wissenschaftliche Basis, den Implied Temperature Rise ITR, gestellt. Diese Methodik berücksichtigt bis zu einem gewissen Grad die Reduktions-Ziele und Committments der Unternehmen. Ob diese Ziele dann auch effektiv werden ist Stand heute nicht klar. Und das ist denn auch ein Schwachpunkt dieser Methode. Die Zahlen werden dann aber auch angepasst, wenn diese Unternehmen ihre gesteckten Ziele nicht erreichen.

Reto Ringger ist Gründer und CEO der Globalance Bank, der führenden auf nachhaltige Anlage spezialisierten Bank der Schweiz, die 2011 gegründet wurde. Zuvor war er Chef von SAM Group, dem ersten Schweizer Vermögensverwalter für nachhaltige Anlagen unseres Landes. SAM legte den ersten ESG-Fonds und -Index für Dow Jones auf. Ringger startete seine Laufbahn bei Swiss Re, UBS und Vontobel.

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Autor:in: Fredy
Gilgen
Fredy Gilgen ist selbstständiger Wirtschafts- und Finanzpublizist und Inhaber des Medienbüros FG GmbH in Bern. Vor seiner Selbstständigkeit schrieb er für die Wirtschaftszeitung CASH, CASH Online, die NZZaS, die Tageszeitung "Der Bund" und die Schweizerische Depeschenagentur.
www.fredygilgen.ch
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