Skandal um CO2-Zertifikate - warum Firmen anders denken sollten

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21. Februar 2023

Viele Firmen kaufen CO2-Zertifikate, um ihre Klimaziele zu erreichen. Nun zeigen verschiedene Recherchen, dass bis zu 90 Prozent der Zertifikate nichts wert sind. Weil zum Beispiel ein Stück Regenwald geschützt wird, dass gar nie abgeholzt werden sollte. Ein Skandal. Was nun? Es braucht unabhängige Kontrollstellen. Und Firmen, die ganz anders denken und handeln. Ein Kommentar.

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CO2-Zertifikate

Abholzung im Amazonas-Regenwald. In wirklich bedrohten CO2-Zertifikate greifen,

Die Recherche der renommierten deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ und des englischen „Guardian“ hat es in sich. Gemäss den beiden Quellen sind bis zu 94 Prozent der Klimakompensationen des NGOs Verra, dem in den USA ansässigen weltgrössten Herausgeber von CO2-Zertifikaten, wertlos. Dreiviertel aller CO2-Zertifikate auf dem freiwilligen Markt sind unter der Kontrolle von Verra.

Klimaneutral, obwohl die Emissionen steigen

Der Skandal ist deshalb so gross, weil sich weltweit Firmen über Organisationen wie Verra das Label „klimaneutral“ erkaufen. Sie bezahlen dafür, dass beispielsweise irgendwo in Afrika oder Südamerika Wälder nicht gerodet und damit Emissionen eingespart werden. Dies soll den CO2-Ausstoss ausgleichen, welchen die Unternehmen bei der Herstellung ihrer Güter (von Autos bis zu Streaming-Angeboten) ausstossen. So wird auch aus einem wenig nachhaltigen Unternehmen ein klimaneutrales Unternehmen. Gemäss „Zeit“ kommunizieren Firmen wie Gucci oder Netflix, dass sie klimaneutral operieren, obwohl – gerade auch in diesen beiden Fällen – die Emissionen ohne Kompensationen sogar steigen.

Man kann dies verwerflich nennen. Aber von der Klimawirkung her wäre  gegen dieses System an sich nichts einzuwenden. Denn für die Erwärmung der Erdatmosphäre – respektive der Eindämmung der Klimakrise – spielt es keine Rolle, wo CO2 eingespart wird. Hauptsache, es wird soviel eingespart, wie ausgestossen wird.

CO2-Zertifikate: Kompensationen über Jahre überbewertet

Verra gibt Zertifikate heraus für Wasserkraft, Solarenergie und zu über 40 Prozent für den Schutz von Wäldern. Im Gegensatz zu Projekten zur Wiederaufforstung geht es bei diesen Zertifikaten nur um deren Erhalt. Nun haben die Recherchen der ZEIT, des Guardian und des Reporterpools SourceMaterial aber ergeben, dass der weltweit grösste Zertifizierer von CO2-Kompensationen Millionen von Zertifikaten für Waldschutzprojekte über Jahre überbewertete. Von einem weltweiten Forschungsteam wurden 29 der 87 Waldschutzprojekte, die von Verra zertifiziert sind, untersucht. Resultat: über 90 Prozent aller Zertifikate sind wertlos.

Nicht nur wurde die Kompensationswirkung der Projekte bewusst und massiv überbewertet. Es wurden zudem auch Gebiete einbezogen, die gar nie für die Abholzung vorgesehen waren. Auch das Schweizer Unternehmen South Pole war gemäss den Recherchen als Betreiber eines riesigen Waldschutzprojektes in Simbabwe in der Überbewertung involviert. Weil Verra auf South Pole Druck machte, die Berechnungen nach ihrem Schema auszuführen. Die Regeln für die Berechnung der Kompensation und der Zertifikate hat Verra selbst erstellt – unter Mitwirkung des Mineralölkonzerns Shell.

Firmen sind gefordert – und der Staat

Es liegt auf der Hand: Der Zertifikate-Markt braucht dringend verbindliche und einheitliche – im besten Fall staatliche – Regeln und unabhängige Kontrollinstanzen. Regelwerke, welche staatliche Prognosen bezüglich der potentiellen Gefahr der Abholzung einbeziehen. Für die Firmen gilt, dass sie es sich zu leicht machen, wenn sie die Verantwortung einfach an Organisationen wie Verra abschieben. Wenn Marketing-Abteilungen die Produkte und Dienstleistungen heute mit dem Label „klimaneutral“ verkaufen, funktioniert das wirtschaftlich zwar blendend. Aber die Kundschaft ist klimabewusster geworden und entsprechend sensibilisiert. Und durch solche Enthüllungen wird sie noch skeptischer. Firmen täten gut daran, sich auf wahren Klimaschutz und eigene Emissionsreduktionen zu konzentrieren und die einzelnen Schritte in diesem Prozess glaubwürdig aufzuzeigen. Vorschnell die Klimaneutralität auszurufen ist mehr als heikel. Der Schuss kann auch nach hinten losgehen. Auch das Label „Greenwasher“ wird eine Firma nicht so schnell los.

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Autor:in: Christian
Bürge
Der Journalist ist Co-Founder und Chefredaktor des Magazins
Go Green.
www.christianbuerge.com
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