Thomas Meyer:
"Wir könnten halb
soviel Fleisch essen.
Das wäre immens!"

5 Minuten
18. August 2021

Der Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer sagt, dass Fleischkonsum und Kultur nichts miteinander zu tun haben. Er redet über Veganer- und Juden-Klischees und über einen gesünderen Umgang mit seinem Drang nach Erfolg.

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Thomas Meyer über tierische Produkte: „Wenn sich die Menschen das ansehen und durchdenken, macht es etwas mit ihnen.“ Foto: Joan Minder/joanminder.ch

Wie lange leben Sie bereits vegan?

Thomas Meyer: Das sind jetzt sieben Jahre.

Und wie kamen Sie auf die Idee? Gab es einen Auslöser?

Das war nicht eine Entscheidung, sondern eine Entwicklung. Es begann 2010. Ich hatte immer wieder diverse körperliche Beschwerden, ging zum Hausarzt und schilderte ihm diese. Er sagte mir dann, ich hätte nur ein Problem: Ich sei Laktose-intolerant. Zu dieser Zeit trank ich immer noch oft Milch. Auch wenn ich sie nie richtig vertrug. Aber wenn man jung ist, beachtet man solche Beschwerden nicht so.

Dann haben Sie die Milch weggelassen?

Ja. Und mir ging es sofort besser. Ich informierte mich besser, weil ich Leute sensibilisieren wollte. Schliesslich landete ich auf der Webseite der Tierschutzorganisation Peta und sah auch Videos aus den Pelzfarmen. Das faszinierende an solchen Videos ist: Du kannst nachher nicht mehr zurück. Es gab ja auch noch andere Videos auf dieser Seite.

Welche?

Aus Schlachthöfen beispielsweise. Das ist ja diese bizarre Dichotomie. Du isst Fleisch und weisst, dass es mal ein Tier war. Aber es wird dir so präsentiert, dass du dich nicht damit auseinandersetzen musst. Schlachten musst du es nicht selber. Auch nicht im Schlachthaus abholen und dir ein Stück abschneiden. Niemand muss das Kälbchen streicheln, das es einmal war. Nichts ausser im Coop beim Metzger sagen: Ich hätte gerne 400 Gramm Kalbsplätzli. Das ist sehr komfortabel und erlaubt es dir, alles auszublenden.

Ich fragte mich, was die Methoden sind, um das alles zu erzeugen. Das war so abstossend, dass ich fand: Ich will das nicht mehr!

Die Schlachthof-Videos heben diese Distanz auf.

Exakt. Dann sieht man auch, dass die Betäubung oft nicht richtig funktioniert, weil zuwenig Zeit ist. Die Schweine werden ja vergast. Die männlichen Küken wurden lange geschreddert. Und die Milch ist ja auch eine Schweinerei. Die Kühe werden dauergeschwängert. Letztlich ist das Vergewaltigung. Und die Kälber werden ihnen sofort weggenommen, damit wir die Milch haben können. Wenn die Menschen sich das ansehen und durchdenken, macht es etwas mit ihnen. Sie können nicht sagen: Aber bei uns ist es nicht so! Sonst müssen sie etwas erfinden.

Sie sind über die Gesundheit gekommen und wegen der Tierethik geblieben.

Das kann man so sagen. Es fing mit der Gesundheit an, über das Thema Pelz kam ich dann zu Fleisch, Eiern und Milch. Ich fragte mich, was die Methoden sind, um das alles zu erzeugen. Das war so abstossend, dass ich fand: Ich will das nicht mehr!

Sie gingen in Etappen vor: Zuerst die Milch weglassen, dann das Fleisch und so weiter?

Ja, zuerst die Milch aus Gesundheitsgründen. Dann das Fleisch – auch wegen der Videos. Es kam dazu, dass ich in dieser Zeit sehr wenig Alkohol trank und die Lust auf Fleisch sich gleichzeitig reduzierte. Die Attraktion von Milchprodukten, Fleisch und Eiern beim Einkauf nahm zusehends ab. Und es kam ein Ekel dazu. Wenn ich heute im Laden stehe, sehe ich nicht mehr das Plätzchen, sondern das geschlachtete Kalb. Ich sehe auch die Mutter des Kalbs und all das Leiden. Die Schweine, welche zuwenig Platz haben und so weiter. Dann gibt es keinen Weg zurück.

Die meisten Menschen verdrängen also einfach, was sie essen?

Müssen sie, ja. Sonst halten sie es ja nicht aus.

Wie ist es, wenn Sie eingeladen werden? Kochen Ihre Freunde vegan für Sie? Oder essen Sie nur Beilagen?

Da muss man das Präteritum brauchen. Denn ich werde ja nicht mehr eingeladen.

Ist das so?

Nein, nein. Ich bin wohl einfach weniger gesellig als auch schon. Wenn ich eingeladen werde, schauen die Leute schon, was ich essen möchte. Das hat ja mit Respekt zu tun.

Ernährt sich Ihr Sohn Levi auch vegan?

Weil er abwechslungsweise bei seiner Mutter und bei mir lebt, hatte er beides. Bei mir die pflanzliche Ernährung. Aber irgendwann wollte er wissen, warum ich kein Fleisch esse.

Wie haben Sie es ihm erklärt?

Ich habe ihm gesagt: Die Wahrheit ist schrecklich, aber ich erzähle dir es so, dass du noch schlafen kannst. Ich sagte ihm, dass das Fleisch, welches er isst, mal ein Tier war, das dafür umgebracht wurde. Und es hatte dazu noch ein unschönes Leben. Es sind ja meist keine glücklichen Kühe und Schweine wie auf der Verpackung. In den meisten Fällen ist ja alles auf Hochleistung getrimmt. Am Ende gibt es einen unschönen Tod. Das muss man einfach wissen.

Und? Wie ging er damit um?

Er ist ein mitfühlender Bub. Für ihn ging das gar nicht. Seine Mutter fand dann, er solle trotzdem Fleisch essen. Das gab dann natürlich Streit.

Wie haben Sie es gelöst?

Ich war überzeugt, dass wir den Willen des Kindes auch respektieren müssen. Er musste sich über mehrere Wochen gegen das Fleisch im Teller wehren. Letztlich kamen wir überein, dass er es selber entscheiden darf.

Kinder sind ja zum Teil schwer von Gemüse zu überzeugen. War das bei ihm anders?

Er findet Spinat, Broccoli und solche Sachen super. Das Glück ist, dass wir dasselbe mögen.

Thomas Meyer: „Wenn ich in der Nachbarschaft rieche, dass sie Fleisch in der Pfanne braten, finde ich es gruusig.“  Foto: Joan Minder/joanminder.ch

Haben Sie selbst neues Gemüse entdeckt?

Ich habe das Gemüse generell entdeckt. Aber auch, was man wie kombinieren kann. Da hat mir auch meine Partnerin die Augen geöffnet. Mittlerweile ist die Hälfte meines Einkaufskorbes immer Gemüse. Und Levi ist immer dafür zu haben.

Kochen Sie auch?

Ja. Levi findet Ofengemüse super. Aber natürlich auch Pizza und solche Dinge. Nur mit meinem Fried Rice bin ich bei ihm voll der Verlierer.

Gibt es Fleischersatz-Produkte, die Sie empfehlen?

Der Green Mountain Burger vom Coop ist geil. Die Salami von Alnatura ist super. Aber… es ist ja immer so eine Diskussion. Viele Fleischesser sagen genervt: Warum müsst ihr jetzt Burger essen! Und ich finde, dass ich halt einfach gerne Burger esse. Das hört ja nicht auf, nur weil ich kein Fleisch mehr esse. Das ist ja ein idiotisches Argument.

Der Geschmack von Fleisch ekelt Sie also nicht?

Der Burger hat eine leichte fleischige Note. Es ist aber pflanzlich, dann ekelt mich es nicht. Aber wenn ich in der Nachbarschaft rieche, dass die jetzt Fleisch in der Pfanne braten, finde ich es gruusig.

Wir könnten doch einfach sagen: Wir alle essen nur noch halb soviel Fleisch. Stell dir vor, halb soviel Fleisch, halb soviel Umweltbelastung. Das wäre immens.

Wie hat Ihre Ernährung in der Kindheit ausgesehen?

Eine typische Ernährung der 70er- und 80er-Jahre. Mit Kutteln und Blutwurst. Zum Frühstück gabs Frosties und Kelloggs Smacks. Auch nicht sehr gesund. Und natürlich Wiener Schnitzel. Das fand ich damals geil. Die Diskussion wird ja sehr polar geführt. Fleischesser finden: Das ist geil, ich muss das immer haben. Und Veganer finden: Das ist böse und darum sollte es kein Fleisch mehr zu kaufen geben. Obwohl ich der einen Seite zugeneigt bin und die andere als masslos empfinde. Ich glaube, wir müssen einen massvollen Umgang lernen.

Und wie sieht der aus?

Wir müssen uns Fragen stellen. Braucht es wirklich dreimal pro Tag Fleisch auf dem Tisch? Muss ein Hotel wirklich zum Frühstück Aufschnittplatten hinstellen? Und mittags und abends ausgiebig Fleisch anbieten. Jeden Tag? Ist das verhältnismässig? Das bedeutet, dass wir Millionen von Tonnen an Futtermitteln importieren, dass wir die Gewässer belasten in einem Mass, das nicht mehr gut ist. Und dass wir extremes Tierleid erzeugen. Wir könnten doch einfach sagen: Alle essen nur noch halb soviel Fleisch. Stell dir vor, halb soviel Fleisch, halb soviel Umweltbelastung. Das wäre immens. Eine dramatische Verbesserung. Und die Fleischkonsumenten würden es nicht mal als grosse Einschränkung wahrnehmen.

Die Menschen schränken sich nicht gerne ein.

Es ist schade, dass die Diskussion fast immer nur geführt wird, ob Fleisch oder kein Fleisch gut ist. Viel zu wenig, wie wir den Konsum massiv verringern können. Es ist absurd, soviel Fleisch aufzutischen. Das ist übrigens auch nicht gesund.

Inwiefern hat Fleischkonsum mit jüdischer Kultur zu tun?

Am Pessachfest gibt es ein spezielles Essen. Leber vermanscht mit irgendwas, daneben Hühnersuppe. Und ein paar andere Dinge.

Vermissen Sie das nicht als kulturellen Akt?

Viele Leute, die traditioneller jüdisch sind als ich – und das sind ja fast alle – würden das wohl vermissen. Aber mir ist es total egal. Interessant ist ja auch, dass viele sagen: Die Juden schächten doch! Das ist doch brutal! Das ist richtig. Aber zuerst müssen wir generell übers Schlachten reden, bevor wir über Solches reden.

Es ging ja auch mal darum, ob wir Stopfleber aus Frankreich importieren sollen. Die Westschweiz heulte auf und meinte, es sei ihre Kultur. Da fand ich: Ihr seid doch Arschlöcher!

Ist Fleischkonsum mit Kultur zu verbinden generell schwierig?

Auf jeden Fall. Es ging ja auch mal darum, ob wir Stopfleber aus Frankreich importieren sollen. Die Westschweiz heulte auf und meinte, es sei ihre Kultur. Da fand ich: Ihr seid doch Arschlöcher! Das Kultur zu nennen ist kriminell. Denn mit dem Kulturbegriff hebelt man alles aus. Kultur ist ja ein hohes Gut. Wir schützen die Kultur. Wir kultivieren das Land. Aber Kultur in Zusammenhang mit Stopfleber zu bringen ist schon abenteuerlich. Nur damit sie nicht darüber reden müssen, wie brutal der Prozess ist. Es ist nicht nur ein Missbrauch des Tiers, sondern auch des Begriffs Kultur. Und vor allem: Was heisst das? Es war auch mal ein Teil der Kultur, dass man Sklaven hielt.

Sie sind Veganer. Aber was heisst eigentlich nachhaltig leben für Sie sonst so im Alltag?

Es geht nicht nur ums Essen, sondern generell darum, was du tust. Ich versuche Dinge lange zu brauchen. Meine Kamera habe ich gebraucht gekauft. Fast alles Elektronische kaufe ich Second Hand.

Haben Sie ein Auto?

Ja.

Und wie halten Sie es mit Fliegen?

Ich finde es wahnsinnig unangenehm. Für Lesungen sollte ich ziemlich oft fliegen. Ich habe der Frau vom Verlag dann nicht nur aus Umwelt- sondern auch aus Komfortgründen gesagt, dass ich mit dem Zug fahre. Es ist soviel angenehmer. Ich gehe zum HB Zürich, steige ein und bleibe bis in die Kölner Stadtmitte sitzen. Mit dem Flugzeug bin ich zwar schneller in Köln, aber das Davor und Danach ist extrem mühsam und zeitraubend. Zum Flughafen, Einchecken, Security, Boarding und am Ende sitzt du wie in einer Konservendose auf dem Platz. Ich hatte mal eine Lesung in Leverkusen und rechnete einen Zeitgewinn von einer Stunde aus.

Gehen Sie auch nachhaltig mit Ihren Gedanken um?

Als Schriftsteller wäre es nicht gut, würde ich mich mit Second-Hand-Gedanken befassen. Es muss schon frisch sein. Aber ich versuche einen gesünderen Umgang mit mir selber. Was ja auch wieder nachhaltig ist. Gefühlen wie Schmerz oder Wut gehe ich auf den Grund. Beispielsweise war mein zweites Wolkenbruch-Buch nicht so erfolgreich. Und es gab zum Teil dermassen bösartige und niederträchtige Rezensionen darüber. Man könnte sich eingeladen fühlen zu sagen: Ich kann den Erfolg nicht wiederholen, dieses Buch wurde abgelehnt. Die Leute finden, ich könne nicht schreiben. Komm, ich lass’ es! Mein nachhaltiger Gedanke ist der, dass ich mir sage: okay, es lief nicht so, wie ich es mir wünschte. Jeder Autor würde sich dauernd Bestseller wünschen. Aber der Massstab ist nicht realistisch. Und ich darf die positiven Stimmen auch nicht vergessen.

Brauchen Sie soviel Applaus?

Jeder Mensch will gemocht werden. Und vor allem als Künstler willst du Applaus. Dass die Leute das Buch kaufen und lieben. Und es dir sagen. Aber wenn du das als Standard ansetzt, wird es dir schlecht gehen. Wenn der Standard aber ist: ich gebe mein Bestes und freue mich über alles Positive, ohne irgendetwas einzufordern, kommst du gut durch den Schriftsteller-Alltag.

Das erleichtert auch.

Ich habe vom ersten Wolkenbruch-Buch 180 000 Exemplare verkauft. Und vom zweiten knapp 30 000. Gerechnet wurde mit mindestens der Hälfte des ersten. So betrachtet war das ein Fiasko. Aber heute gilt ein Buch, das 2000 Mal verkauft wird, als Erfolg. Insofern war das gut. Wenn ich halt alles mit dem ersten Wolkenbruch-Buch vergleiche, kann ich gleich aufhören.

Die Idee ist, dass sich der Veganer alles gefallen lässt. Das geht bis in die Werbung. Galaxus bewarb mal eine Leder-Handyhülle als «Veganer-Schreck». Ich fragte mich, muss das Veganer-Bashing wirklich sein?

Ihr neues Buch heisst «Was soll an meiner Nase bitte jüdisch sein?». Gibt es punkto Klischees Parallelen zu den Klischees über Veganer?

Ich habe mal gesagt, die Veganer seien die neuen Juden. Es gibt schon Parallelen. Was ich oft erlebt habe war, dass Nicht-Veganer auf Veganer losgegangen sind, nur weil sie Veganer sind. Und sie sich von ihnen angegriffen fühlen. Entweder gab es aggressive oder spöttische Sprüche. Die Idee ist, dass sich der Veganer alles gefallen lässt. Das geht bis in die Werbung. Galaxus bewarb mal eine Leder-Handyhülle als «Veganer-Schreck». Ich fragte mich, muss das Veganer-Bashing wirklich sein? Ist das nötig? Dann gingen diverse Leute auf mich los und sagten: Ihr müsst euch nicht wundern, so humorlos wie ihr seid!

Veganer und humorlos ist auch ein Klischee.

Das ich als Jude natürlich auch oft gehört habe. Zuerst kommt irgend ein dummer Spruch. Wenn du sagst, dass du es daneben findest, heisst es, ‘Tu doch nicht so! Ihr habt doch einen guten Humor. Wo liegt das Problem?’. Ich frage mich da schon. Nur weil ich Jude oder Veganer bin, muss ich mir alles gefallen lassen?

Sie könnten ja auch dumme Sprüche zum Fleischkonsum machen.

Ich hätte genügend Gründe. Aber ich lass’ es. Es ist halt eine Frage des Respekts.

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Autor:in: Maria
Ryser
Maria Ryser ist Journalistin, Vollmondtänzerin und Klangreisende.
Kommentare
  • Avatar-Foto piero:

    Ich weiss nicht, ob voll vegan die Lösung ist…

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