Roman Peter mit Jack Musa Rumbekwan von Trash Hero Indonesien bei einer Aufräumaktion auf Bali. Bild: Trash Hero World
Roman Peter: Wenn wir Cleanups machen, sei es in Städten, an Seeufern oder im Wald, sehen wir, dass der Abfall absolut bewusst liegengelassen oder gar absichtlich entsorgt wird. Nur ganz selten passiert das aus Versehen.
Das ist leicht zu erkennen: Ein einzelnes Papiertaschentuch ist vermutlich ein Versehen, ein paar Dosen oder Plastikverpackungen an einer Stelle hat man bewusst liegen gelassen, das klassische Littering. In der Schweiz sind die Kosten fürs Aufräumen in den letzten Jahrzehnten exorbitant gestiegen. Heute zahlen wir jährlich rund 200 Millionen Franken an Steuergeldern fürs Beseitigen von Littering – und die Präventionskosten sind da noch gar nicht mit drin.
Ja, aber man muss sich fragen, warum Firmen Plastik, Alu und Einwegglas nutzen. Warum gibt es kein Mehrweg-Pfandsystem mehr? Wir hätten eigentlich funktionierende Lösungen. An Festivals wird beispielsweise ein Depot von 2 Franken für den wiederverwendbaren Becher verlangt und schon hat man praktisch keinen Plastikabfall mehr.
Schaust du bei deinem Konsum darauf, auf Plastik möglichst zu verzichten?
Die Firmen haben nach und nach die Verantwortung und die Kosten auf die Steuerzahlerinnen und -zahler abgeschoben. Einwegflaschen etwa sind für ein Unternehmen viel günstiger und einfacher zu handhaben als ein Pfandsystem mit Mehrwegflaschen. Die 200 Millionen Franken, die der Staat ausgibt, sind eigentlich Profit für die Unternehmen, die sich die Kosten beispielsweise für funktionierende Mehrwegsysteme und Pfandsysteme sparen. Sobald ein Produkt verkauft ist, liegt es nicht mehr in der Verantwortung des Unternehmens. Das gilt ja auch für Abfall, der sachgerecht entsorgt wird.
Ja, weil wir mit der Sackgebühr und Steuergeldern die fachgerechte Entsorgung finanzieren müssen. Gleichzeitig können die Unternehmen immer mehr Produkte in Einwegverpackungen stecken, beispielsweise beim Convenience Food oder bei Fertigprodukten, weil sie die Entsorgung nicht finanzieren müssen. Letztlich kann man sich also durchaus fragen, inwieweit die Unternehmen ihren Teil zum Littering-Problem beisteuern.
Ja, das ist schon spannend. Die Leute fokussieren sich auf ein Thema, dafür wollen sie sich bei einem anderen wie den Ferien nicht einschränken. Nehmen wir nur schon die Verpackungen im Lebensmittelbereich, müssten sich die Konsumentinnen und Konsumenten nicht so viele Gedanken dazu machen, weil wir clevere Lösungen haben, dann hätten sie auch mehr Ressourcen, um sich auf andere klima- und umweltrelevante Bereiche zu konzentrieren.
„Die Treibhausgas-Emissionen im Plastikbereich sind weltweit fast doppelt so hoch wie die des Flugverkehrs“
Ja, genau und sie müssen bedenken, wenn wir den gesamten Lebenszyklus der Plastikproduktion anschauen, dann sind die Treibhausgas-Emissionen – wenn wir weltweite und nicht nur schweizerische Zahlen nehmen – inzwischen fast doppelt so hoch wie jene des Flugverkehrs.
Plastikmüll, soweit das Auge reicht an einem Strand im Tarutao Nationalpark in Thailand. Bild: istock.com
Exakt. Aber kein Land wird seine Klimaziele erreichen ohne Plastikreduktion.
Alles zum ökologischen Fussabdruck bei Go Green
Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind komplexe Themen. Bei Go Green lassen wir darum Expert:innen aus den unterschiedlichsten Sektoren zu Wort kommen. Lies darum auch das Interview zum Thema „Regional einkaufen und Verpackung“ mit den Forschern Thomas Nemecek und Jens Lansche, alles zum Ernährungs-Fussabdruck vom WWF-Experten Christoph Meili oder Mythen auf dem Prüfstand, wo Umweltingenieurin Martina Wyrsch erklärt, welche Verpackungen aus nachhaltiger Sicht sogar Sinn machen. Schliesslich erklärt Elly Brufani, wie du mit Zero Waste am besten startest.
Nun ja, uns wurde schnell klar, dass es nicht nur ums Abfallsammeln geht. Das wäre sonst wirklich Sisyphusarbeit. Aber zum einen sensibilisieren wir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei den Cleanups für die unterschiedlichen Probleme, die unser Abfall verursacht. Wir wollen die Leute inspirieren und ihnen Möglichkeiten zeigen und an die Hand geben, damit sie selbst im Alltag weniger Abfall verursachen. Zum anderen sortieren wir den Abfall nach Art und Verursacherfirma, wiegen ihn und halten diese Daten fest.
Beinahe. Wir wiegen die Stummel und anhand des Gewichts können wir die Anzahl ziemlich genau feststellen. Bei Verpackungen und Trinkflaschen schauen wir, wieviel Abfall von welchem Unternehmen kommt. Das schlüsseln wir auf. Diese Daten sind mächtig. Sie werden aktuell für eine Klage gegen das US Getränke- und Lebensmittelunternehmen Pepsico verwendet.
Wir haben lediglich den Beobachterstatus und können an den Verhandlungen nicht direkt mitdiskutieren oder abstimmen. Aber die Umweltversammlung der Vereinten Nationen verwendet unsere gesammelten Daten in den Verhandlungen über das Abkommen zur weltweiten Plastikreduktion. Zudem können wir bei wichtigen Akteuren Einfluss nehmen, uns noch stärker vernetzen und für unser Anliegen einsetzen: nämlich eine Kreislaufwirtschaft, die möglichst ohne Abfall funktioniert.
„Die Ölförder-Staaten haben die Verhandlungen zum Plastikabkommen gezielt verzögert“
Natürlich ist das frustrierend. Ich war bei der Konferenz in Paris im letzten Herbst dabei. Ich dachte, wir haben es endlich geschafft. Aber Ölförder-Staaten haben die Verhandlung zuerst einfach gezielt verzögert. Drei Tage lang ging es einzig um die Frage, wie über den möglichen Vertrag abgestimmt werden soll. Und sie fanden keine Lösung. Das live mitzuerleben, wenn du weisst, wir müssen zwingend handeln und zwar jetzt, das tut richtig weh.
Diesen Herbst gehen die Verhandlungen in Südkorea weiter. Ich werde nicht dabei sein, aber unsere Organisation. Ich denke aber, wir können nicht auf das Abkommen warten. Es ist das Gleiche, wie wenn die Tabakindustrie das Rauchen um 80 Prozent reduzieren wollte. Das klappt nur, wenn man diese Unternehmen von den Verhandlungen ausschliesst. Gleichzeitig müssen wir auch selber vorwärts machen.
Ja, aber nicht nur bei Cleanups, sondern auch auf politischer Ebene. Letztlich geht es nicht nur um unsere Umwelt, sondern auch um unsere eigene Gesundheit. Laut einer Studie liegen in den USA die Gesundheitskosten, die in Verbindung mit Kunststoff-Chemikalien stehen, inzwischen bei jährlich 250 Milliarden US-Dollar.
Eine von zehn Frühgeburten ist auf die Wirkung von Kunststoff-Chemikalien zurückzuführen. Mikroplastik wird inzwischen in der Lunge, im Blutkreislauf, in der Plazenta oder den Hoden gefunden. Und es wird in Verbindung gebracht mit ADHS, Fettleibigkeit, Krebs und zahlreiche weiteren Krankheiten. Längst bekannt ist beispielsweise auch, dass hormonell wirksame Chemikalien, sogenannte endokrine Disruptoren, von Plastikverpackungen oder Tupperware in unser Essen übergehen können.
Plastik-Recycling – wie hier mit Pet-Flaschen – ist gemäss Roman Peter nicht die Lösung: „Die Plastikindustrie hat uns jahrzehntelang mit ihren Recycling-Lügen getäuscht!“ Bild: istock.com
Für Lebensmittel und Getränke verwende ich Behälter aus Glas oder Edelstahl. Alle zwei Wochen kaufe ich saisonales Gemüse und Obst im Hofladen in der Nähe und etwa alle sechs Wochen kaufe ich in Luzern im Unverpacktladen Vorräte ein. Dadurch ernähre ich mich automatisch gesünder, weil die ganzen Fertigprodukte und Junkfood kein Thema sind.
„Wir sollten auf regionale und saisonale Produkte und kurze Transportwege setzen“
Schaut man sich die Daten in Europa an, sieht man das Food Waste zusammen mit Plastikabfall gleichzeitig steigen. Aber schauen wir den gesamten Kreislauf an: Importierte Frischware wie Kiwis oder Mangos oder auch hochverarbeitete Fertiggerichte müssen gezwungenermassen gut verpackt sein, damit sie frisch bleiben. Aber wir können stattdessen mit regionalen, saisonalen Lebensmitteln auf kurze Transportwege setzen. Das fördert gleichzeitig die lokale Wirtschaft, senkt die Emissionen des Transports, ist meist gesünder und braucht weniger Verpackung. Wir brauchen wieder ein funktionierendes Mehrwegsystem. Denn wenn für alle die gleichen Spielregeln gelten, kann der Transport und die Aufbereitung auch wesentlich energieeffizienter abgewickelt werden. Und letztlich braucht es Verpackungsmaterialien, die unserer Gesundheit nicht schaden und gleichzeitig kreislauffähig sind.
Tatsächlich wird es den Konsumentinnen und Konsumenten praktisch verunmöglicht, das Richtige zu tun. Leider geschieht das alles unter dem Schlagwort Nachhaltigkeit, aber letztlich betreiben die Unternehmen damit einfach Greenwashing.
„Die Schweiz exportiert jährlich 80’000 Tonnen giftige Schlacke und Filterasche in die EU“
Diese Verpackungen können nicht recycelt werden und landen in der Schweiz in Kehrichtverbrennungsanlagen. Beim Verbrennen entstehen nicht nur Treibhausgas-Emissionen, sondern auch giftige Schlacke und Filterasche. Die Schweiz exportiert jährlich über 80’000 Tonnen davon in die EU, hauptsächlich nach Deutschland, wo dies beispielsweise in einem Salzbergwerk im Untergrund gelagert werden. Das ist ganz klar keine nachhaltige Lösung.
Es wird nur ein kleiner Bruchteil des Plastiks recycelt. Das ist das Eine. Aber hinzukommt, dass es stand heute nicht möglich ist, Plastik vernünftig zu recyceln. Erstens handelt es sich hauptsächlich um ein Downcycling, bei dem das Plastik ein zweites Mal genutzt wird, aber dann verbrannt wird. Zweitens, wenn aus Lebensmittel oder PET-Flaschen neue Plastikverpackungen oder -flaschen hergestellt werden, können im Recyclingprozess giftige Chemikalien aus einer Verpackung in die neuen Verpackungen gelangen.
„Plastik recyceln? Die Plastikindustrie hat uns jahrzehntelang mit Ihren Recyclinglügen getäuscht“
Sie müssen bedenken, Plastik ist kein kreislauffähiges Material und zudem mit Chemikalien versehen, die den Kreislauf vergiften. Die Plastikindustrie hat uns jahrzehntelang mit Ihren Recyclinglügen getäuscht. Wir brauchen Kreislaufsysteme, bei denen ein Material so oft wie möglich zurück in den Kreislauf gebracht werden kann, ohne dass der Kreislauf vergiftet wird.
Wir machen jeweils mehrwöchige Projekte. Dabei ist auch ein Kinderbuch entstanden, welches die einzelnen Themen aufgreift und anschaulich erklärt. Gleichzeitig machen die Kinder bei Challenges mit. Zum Beispiel muss das Znüni verpackungsfrei sein.
Ja, aber dann nehmen die Kinder plötzlich wieder den Apfel mit statt dem Twix oder dem Capri Sun Drink im Plastikbeutel. Sie ernähren sich automatisch gesünder. Zudem vergleichen die Kids den Trash Hero mit Spiderman und Superwoman, und selbst die schwierigen Aufgaben sind für die kleinen Heldinnen und Helden dann plötzlich viel einfacher.
Ich habe damals in Thailand gelebt und als Tauchlehrer und Musiker mein Geld verdient. An einigen Stränden und vor meinem Bungalow lag teils viel Abfall. Das war für mich der Call to Action. Ich dachte, wenn ich in 30 Jahren meinen Kindern sagen muss, «ich habe gesehen, wie schlimm es ist, aber mich entschieden, nichts zu tun», das ging für mich nicht. Und dann haben wir als kleine Gruppe angefangen, den Abfall zu sammeln. Erst 2016 gründeten wir dann die heutige Organisation Trash Hero World.
Wir veranstalten keine Cleanups mit Unternehmen, die Plastik direkt oder indirekt fördern und wir nehmen von ihnen keine Spendengelder an. Auch von Banken oder anderen Unternehmen, die in Öl, Gas oder Kohle investieren, nehmen wir kein Geld an, weil mit diesen fossilen Rohstoffen Plastik hergestellt wird.
Meine persönliche Challenge für dieses Jahr ist es, nicht mehr als einen 35-Liter-Abfallsack zu füllen. Ich bin jetzt in der Hälfte des Jahres und mein Abfallsack ist etwa zur Hälfte voll.
Zum Beispiel beschichtete Verpackungen für Butter und Hefe, ein Sack für Kaffeepulver oder ein Tetrapack vom Rahm. Aber auch 1-2 Glacé-Verpackungen – schliesslich darf es auch Ausnahmen geben. Ein Drittel dieses Abfalls ist aber Verpackungsmaterial von Geschenken, die ich ausgerechnet bei Referaten und Veranstaltungen erhalte. Den Leuten ist das immer furchtbar peinlich, wenn sie mir das Geschenk übergeben, da sie erst während meiner Präsentation lernen, dass die Vermeidung von Plastik am wichtigsten ist. Zero Waste ist in der heutigen Zeit sehr schwierig deshalb brauchen wir eine Veränderung im gesamten System.
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Die Produktion dieses Beitrags hat einiges gekostet.
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Sehr interessantes Interview – es macht nachdenklich.
Nach einer längeren Zero-Waste-Phase nimmt allmählich die Plastikverpackung wieder Einzug in unseren Haushalt. Gründe: Bequemlichkeit, Angebot, das Food-Waste-Argument, andere Prioritäten im Klimaschutz, Recycling. Dank Go Green gibts nun wieder stichhaltige Argumente, das Plastikvermeiden nicht aus den Augen zu verlieren 🙏🏻
Wie war das nochmal: Refuse, reduce, reuse und erst dann recycle!
sehr lesenswertes Interview. Plastik zu vermeiden wird einem in der Tat nicht einfach gemacht. Aber es gibt immer eine Lösung oder einen Weg, auch wenn es schwierig ist.