Überbordender Zuckerkonsum – Grenzen bedeuten Freiheit!

3 Minuten
16. Mai 2025

Das Thema ist emotional und entsprechend heftig wird diskutiert. Essen wir zuviel Zucker? Und soll der Staat beim Zuckergehalt in Lebensmitteln Grenzen setzen? Absolut, denn unser Zuckerkonsum ist ein Irrsinn und eine tickende Zeitbombe fürs ohnehin schon belastete Gesundheitssystem. Ein Kommentar.

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Zuckerkonsum

Süssgetränke sind eine wahre Zuckerbombe: Getränke wie Coca-Cola oder Rivella rot enthalten pro halben Liter mehr als 45 Gramm Zucker.  Bild: istock.com

Gemäss Recherchen des Tages-Anzeigers soll der Bund derzeit mit Lebensmittelherstellern über neue Reduktionsziele für Zucker verhandeln. Bis 2028 sollen gewissen Getränke, Joghurts, Quark und Frühstücksflocken 10 Prozent weniger Zucker enthalten. Schon in der sogenannten «Erklärung von Mailand» hatten sich Lebensmittelhersteller wie Nestlé, Coop, Emmi und Migros bereits erklärt, bis Ende 2024 10 Prozent weniger Zucker (15 Prozent bei Frühstücksflocken) in die Produkte zu mischen.

Schweizer Zuckerkonsum: 90 Gramm Zucker pro Tag

Fakt ist: Gemäss Agristat, den landwirtschaftlichen Statistiken, hat die Schweizer Bevölkerung einen Pro-Kopf-Konsum von geschätzten 90 Gramm Zucker pro Tag. Oder 22 Würfelzucker, um es sich bildlich besser vorstellen zu können. Pro Tag. Das ist viel, sehr viel sogar. Aber wieviel Zucker pro Tag ist okay?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt für Erwachsene und Kinder eine Dosis an freiem Zucker, die weniger als 10 Prozent der täglichen Gesamtenergiezufuhr ausmacht. Bein einer Aufnahme von 2000 Kalorien wären dies etwa 50 Gramm freier Zucker. Eine Reduzierung auf 5 Prozent hätte grossen gesundheitlichen Nutzen, schreibt die WHO. Das wären dann maximal 25 Gramm (für eine erwachsene Frau). Davon sind wir in der Schweiz meilenweit entfernt.

Im Müesli, Salatsaucen, Süssgetränken

Wobei wir die 90 Gramm ja nicht einfach nur als Würfelzucker im Kaffee konsumieren. Den Grossteil bemerken wir kaum. Er steckt im als Fitmacher beworbenen Zmorge-Müesli, im Joghurt, im Salatdressing. Und natürlich auch im Schoggistängeli und in den süssen Getränken. In letzteren ist die Zuckerbombe besonders happig. Alleine ein kleines Fläschchen Cola (5dl) enthält 52 Gramm Zucker, Rivella rot (5dl) mit 45 Gramm kaum weniger. Nur schon damit hätten wir die tägliche Zuckerempfehlung der WHO bereits erreicht oder überschritten – wenn wir vom empfohlenen Limit von 25 Gramm für einen gesunden Lebensstil ausgehen. Das neue Rivella gelb, das mit den Slogans «voll vegan» und «minus 40 Prozent Zucker» beworben wird, enthält im kleinen Fläschchen halt immer noch satte 25 Gramm Zucker.

Zucker-Grenze

Für viele das Standard-Frühstück: Das Müesli enthält aber oft sehr grosse Mengen an Zucker. Bild: istock.com

Die Lebensmittelindustrie stimmt den – verhältnismässig moderaten weiteren Reduktionsvorschlägen des Bundes – aber nicht vorbehaltlos zu. Im Artikel des Tages-Anzeigers sagt etwa Leo Müller, Luzerner Mitte-Nationalrat und Verwaltungsrat der Schweizer Zucker AG: «Essen und Trinken sollten trotz allem noch Freude bereiten.»  Als ob ein Rivella rot mit 40 statt 45 Gramm Zucker keine Freude mehr bereiten könnte. Wobei die bekanntesten Produkte bei der freiwilligen Zuckerreduktion der Hersteller sowieso meist ausgeschlossen werden.

Übergewicht und Diabetes als Folgen

Übermässiger Zuckerkonsum schadet uns enorm. So begünstigt ein Konsum von 80 Gramm Zucker täglich (wir stehen bei 90) nicht nur Übergewicht, sondern auch Diabetes und eine Fettleber, wie Untersuchungen des Universitätsspitals Zürich und der Uni Zürich zeigen. Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Tumore werden damit in Verbindung gebracht.

Der Anteil der Übergewichtigen in der Schweizer Bevölkerung hat in den vergangenen 30 Jahren massiv zugenommen. Gemäss Bundesamt für Statistik waren 2022 insgesamt 43 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren übergewichtig oder fettleibig (31 Prozent übergewichtig, 12 Prozent adipös).

Wir bezahlen die vermeintliche Freiheit

Es wäre angesichts der steigenden gesundheitlichen Probleme der Bevölkerung – und der immensen Gesundheitskosten, die noch folgen werden – deshalb begrüssenswert, wenn die moderaten Vorschläge des Bundes flächendeckend umgesetzt würden. Besser noch, wenn die Schweiz dem Beispiel anderer Staaten wie Grossbritannien folgen würde und eine Zuckersteuer oder Obergrenze für gewisse Produkte einführte. Wer nun «Mündige Bürger!» und «Einschränkung der Freiheit!» schreit, soll sich vor Augen führen, dass wir ohne verbindliche Grenzen künftig über die Kostenexplosion im Gesundheitswesen – und entsprechend hohe Prämien für uns alle – massiv stärker tangiert werden. Unser Konsum ist eine tickende Zeitbombe. Es ist und bleibt wahr: Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.

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Autor:in: Christian
Bürge
Der Journalist ist Co-Founder und Chefredaktor des Magazins
Go Green.
www.christianbuerge.com
Kommentare
  • Avatar-Foto Roth Werner:

    Der Mitte Nationalrat Leo Müller ist einer der besten Lobbyisten im Nationalrat. Warum wählen wir einen solchen Nationalrat.

  • Avatar-Foto Martina:

    Wie in allen Vorsorgefragen, wird auch hier der per se kurzfristig denkende Mensch „Nein“ sagen. Solange es nicht jetzt weh tut, soll sich nichts ändern. Schon gar nicht „von oben“ verordnet. Da beschweren wir uns lieber über stetig steigende Gesundheitskosten, volle Wartezimmer, Arzttermine in drei Monaten, Hauptsache „Freies Übergewicht für freie Bürger“. Irgendwo auf dem Weg zum heutigen Homo digitalis haben wir verlernt, für uns selbst Verantwortung zu übernehmen. Verführt von der Werbung, dem eigenen Schweinehund, dem Mantra „Man gönnt sich ja sonst nix“. Damit schaden wir uns individuell und als Gemeinschaft, als Gesellschaft. Deshalb bin ich mittlerweile der Meinung, dass es nicht mehr ohne die Verordnung eines gesünderen Lebens „von oben“ geht. Und das betrifft nicht nur den Zuckerkonsum.

    • Avatar-Foto Claudio Walser:

      Bei den rauchfreien Restaurants wars genau dasselbe mit dem Aufschrei. Abgesehen davon beweisen wir ja in fast allen Disziplinen, dass wir eine selbstzerstörerische Ader haben.

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