Urban Mining - die Secondhand-Stadt kommt!

5 Minuten
30. März 2022

Urban Mining? Das kennen die Meisten noch nicht. Aber die Stadt als Rohstofflagerstätte wird wichtiger. Secondhand-Fenster für dein Zuhause? Oder alte Stahltreppen? Das funktioniert nicht nur, es ist auch ein Weg in ein wirklich nachhaltiges Bauen.

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Urban Mining

Das preisgekrönte Leuchtturmprojekt Halle K118 im Sulzerareal in Winterthur: Urban Mining realisiert für die Stiftung Abendrot. Bild: Baubüro in Situ

Wir müssen niemanden davon überzeugen, benutzte Autos und Velos zu kaufen. Langsam wird uns auch bewusst, dass der Kauf von Secondhand-Kleidung ein wichtiger Bestandteil eines nachhaltigen Lebensstils ist. Aber das Gebäude als Materiallager? Kennen wir noch nicht. Wird aber immer wichtiger.

Secondhand-Stahltreppen oder -Fenster und viele weitere innovative Dinge haben die Architekten vom Baubüro in Situ in ihrem preisgekrönten Leuchtturmprojekt Halle K118 im Sulzerareal in Winterthur für die Stiftung Abendrot realisiert.

Fenster, Heizkörper, Boden, Wände, Treppen – alles secondhand

Die Fassade mit Aluminiumplatten aus einer Druckerei in Oberwinterthur, die tragende Stahlkonstruktion aus einer Lagerhalle in Basel, Fenster, Heizkörper und der Massivholzboden vom Sulzerareal selbst. Daraus entstanden ist kein Flickenteppich, sondern eine neue Art von Design und Ästhetik (form follows availability). Die Fassade, Stützen, Wände, Treppen, einige Innenausbau- und Haustechnik-Komponenten und sogar die PV-Anlage sind secondhand.

 

Stahltreppen Urban Mining

Secondhand-Stahltreppen beim Projekt Halle K118 in Winterthur. Bild: Baubüro in Situ

Urban Mining ist der Prozess der Rückgewinnung und Wiederverwendung von Materialien in einer Stadt. Diese Materialien können von Gebäuden, Infrastrukturen oder Produkten stammen, die veraltet sind. Dieses Konzept wird seit langem in der Automobil- und Elektronikindustrie angewandt. Aber das Ausmass der Klimakrise erfordert eine ehrgeizigere und aktivere Anwendung.  Dabei wird die gesamte Stadt als Mine betrachtet und aktiv nach Materialien gesucht, um deren Wert zu erhalten.

Urban Mining – reduzieren, reparieren und wiederverwenden

Bauschutt ist der grösste Abfallstrom in der Schweiz, und Beton ist das mit Abstand am häufigsten verwendete Baumaterial. Laut dem Umweltbericht 2018 des Bundesamt für Umwelt verursacht der Gebäudesektor 24 Prozent der Gesamtumweltbelastung. Die graue Energie in Gebäuden entsteht grossenteils durch die Erstellung und Entsorgung von Baumaterialien. Diese kann durch die Wiederverwendung von Bauteilen umgewandelt werden. In der Schweiz ist das Recycling von Materialien wie Beton, Stahl und Glas weit fortgeschritten und differenziert. Doch die Prozesse sind energieintensiv und meist mit Downcycling verbunden. Beim Downcycling verliert das Material an Wert und wird vor allem ausserhalb des Sektors verwendet. So wird beispielsweise Betonabbruch als Auffüllmaterial zur Stabilisierung im Tief- und Strassenbau verwendet. 

Kreislaufwirtschaft

Nachhaltig mit Ressourcen umgehen: In der Kreislaufwirtschaft wird vorausgedacht und wiederverwendet. Grafik: Magazin „die Umwelt“

Kreislaufwirtschaft und zirkuläres Bauen sind Begriffe, die unseren Alltag prägen. Wiederverwendung erinnert uns automatisch an irgendwelche Produkte, die aus Abfällen hergestellt werden. Wobei der Kreislaufwirtschaft nicht um das Abfallmanagement geht, sondern um Materialmanagement. In der Kreislaufwirtschaft wird ein Produkt so nah wie möglich an seinem Endzustand erhalten, wodurch sein Wert so weit wie möglich erhalten bleibt.

Rotterdam schafft als Vorreiter bis zu 7000 Arbeitsplätze

Die Niederlande haben eine Vorreiterrolle übernommen und sich ehrgeizige Ziele gesetzt, damit Rotterdam bis 2030 zu einer Kreislaufwirtschaft wird. Zu den Zielen gehören unter anderem die Verringerung des Verbrauchs von Primärrohstoffen um 50 Prozent und die Schaffung von bis zu 7000 Arbeitsplätzen, die direkt zur Kreislaufwirtschaft beitragen.

Der richtige Kreislauf funktioniert nur im Zusammenspiel von Herstellern, Planern, Bauherrn und Nutzern. Ein wichtiger Aspekt ist die Verantwortung des Herstellers eines Produktes. Der Hersteller bleibt während des gesamten Lebenszyklus Eigentümer seines Produktes – im Sinne von Produkt als Dienstleistung (product as a service). Das Produkt soll so entwickelt werden, dass es mit möglichst geringem Aufwand demontiert und an einem neuen Ort wiederverwendet werden kann (design for disassembly).

Stadt Zürich – Recyclingbeton und CO2-reduzierter Zement

Bei der Stadt Zürich werden seit 2005 alle öffentlichen Gebäude mit Recyclingbeton gebaut, seit 2015 auch mit CO₂-reduziertem Zement. Neue Produkte wie Zirkulit-Beton gehen ein Schritt weiter, indem sie den Verbrauch von Primärressourcen reduzieren, ohne die statischen Eigenschaften zu beeinträchtigen.

Das bewohnte Forschungsgebäude NEST der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) in Dübendorf hat eine eigene Abteilung UMAR (Urban Mining & Recycling). Eines der verschiedenen Schwerpunktthemen ist die Systemtrennung von Primärstrukturen aus Holz. Das heisst: Statt Klebeverbindungen kommen Steck- und Schraubverbindungen zum Einsatz. Konstruktiver Holzschutz statt der üblichen Beschichtungen, die eine Wiederverwendung oder eine rein biologische Entsorgung verhindern.

Urban Mining – 40 Prozent weniger Treibhauspotential

Im Vergleich zu einer hypothetischen Referenzeinheit, die aus herkömmlichen Baumaterialien wie Beton gebaut wurde, zeigt die UMAR-Einheit über ihren gesamten Lebenszyklus eine Verringerung der Umweltauswirkungen von 18 Prozent (für graue Energie) bis zu mehr als 40 Prozent beim Treibhauspotential. Der virtuelle Rundgang in der Abteilung UMAR ist lohnenswert.

Urban Mining EMPA Nest Dübendorf

Das modulare Forschungsgebäude NEST der EMPA in Dübendorf. Bild: EMPA

Die Plattform Madaster bietet einen Materialpass für jedes Gebäude. Diese Pässe enthalten Informationen über die Qualität, die Herkunft und den Standort von Materialien und Produkten und geben Auskunft über den Material-, Kreislauf- und finanziellen (Rest-)Wert dieser Gebäude. Dieser Pass ist ein wichtiges Instrument für Eigentümer, um sich auf die Kreislaufwirtschaft zu konzentrieren, da er unter anderem genaue Informationen über die Lebensdauer von Gebäuden und Möglichkeiten zur Wiederverwendung liefert.

Bauteilbörsen bringen Gebrauchtes zurück in die Bauten

Gebrauchte Bauteile sind bereits auf verschiedenen Plattformen verfügbar. Syphon bringt die Themen Kreislaufwirtschaft und soziale Nachhaltigkeit zusammen. Die angestellten Sozialhilfeempfänger:innen verarbeiten gebrauchte Bauteile, damit Sie wieder nutzbar sind. Bauteilbörsen wie Bauteilclick und Salza bringen etwa 10 Prozent der gebrauchten Bauteile zurück in Bauten.

Eine Herausforderung bei der Verwendung von wiederverwendeten Bauteilen ist das Erfüllen von vorhandene Baustandards und Normen. Die immer strenger gewordenen Qualitätsnachweise für Sicherheit, Statik, Energieeffizienz und Brandschutz machen dies aufwendiger. Um das zirkuläre Bauen auf den Weg zu bringen, braucht es einen umfassenden Ansatz aller Beteiligten – Planer:innen, Bauherrschaften, Konsument:innen, Politik und Behörden.

Der Antrieb aber ist da. Denn durch Urban Mining können Länder und Städte den Druck auf die natürlichen Ressourcen verringern. Gleichzeitig wird die Luft- und Wasserverschmutzung durch Mülldeponien verringert. Dies wird den Prozess des Übergangs zu nachhaltigen Städten unterstützen. 

Hier gehts zum Artikel „Grüne Häuser – das Comeback der Gartenstadt / Teil 2“

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Die Architektin schreibt über Themen wie Stadtklima, Kreislaufwirtschaft in der Baubranche und klimaneutrales Bauen und will so Dialoge anregen.
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