Velo-Zukunft: die Bike-Highways eines Schweizer Start-ups

5 Minuten
11. September 2024

Autos, Fussgänger, Schienen, Böschungen: wer mit dem Fahrrad unterwegs ist, stösst immer wieder auf Hindernisse, gerade ausserhalb des innerstädtischen Bereichs. Das Schweizer Start-up urb-x möchte das für eine bessere Velo-Zukunft ändern – und baut bald Bike-Highways in halb Europa. Mitgründer Bálint Csontos erzählt im Interview, wie die erhöhten Fahrradwege von urb-x funktionieren, was sie so besonders macht und wo Interessierte bereits auf fünf Metern Höhe Testradeln können.

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Velo-Zukunft

Ein erster Bike-Highway: Die 200 Meter lange Teststrecke im Basler Stadquartier Wolf, eingeklemmt zwischen Bahnlinie, Güterbahnhohf, Autobahnzufahrt und Industriegebiet.  Bild: urb-x

Herr Csontos, Fahrradwege am Boden gibt es ja schon lange. Wieso bietet Ihr Start-up urb-x jetzt auch erhöhte Radwege an?

Mein Mitgründer Klaus Kirchmayr und ich waren im Landrat Basel-Landschaft in der Fraktion der Grünen tätig, Klaus Kirchmayr als Fraktionschef und ich zuletzt als Parteipräsident. Im Rahmen unserer politischen Tätigkeit haben wir uns intensiv mit der Veloinfrastruktur in und um Städte beschäftigt. Dadurch haben wir festgestellt, dass bei Radschnellwegen noch immer viele Kompromisse eingegangen werden. Mal gibt es gefährliche Kreuzungen, mal umwegige Streckenführungen. Was uns am meisten gestört hat: Viele Räume, gerade am Übergang von der Stadt zum Stadtrandgebiet können aufgrund von Böschungen, Autobahnen oder Eisenbahnstrecken überhaupt nicht für das Velo genutzt werden.

Und dann hatten Sie gleich die Idee von Velowegen auf Stelzen?

Wir haben uns gefragt, wie sich diese Räume erschliessen lassen – und kamen dann auf die Idee, Fahrradwege auf einer zweiten Ebene zu bauen, die längere, geradlinige Strecken für das Fahrrad auch ausserhalb der Stadt möglich machen. Mit unseren Bike-Highways wollen wir vor allem die Stadtrandgebiete besser für das Fahrrad zugänglich machen und so zum Beispiel auch das Pendeln mit dem Rad zur Arbeit über längere Distanzen attraktiver gestalten.

Bist Du zufrieden mit den Velowegen in deiner Umgebung?

Warum müssen wir Fahrradwege direkt auf Stelzen verlegen? Das ist doch sehr kostenintensiv. Würden einige Brücken nicht reichen und der Rest der Fahrt könnten wir auf bestehenden Velostreifen zurücklegen?

Wo eine Strecke aufgeständert verläuft, bestimmt die Raum- und Verkehrsplanung. Die Aufständerung ergänzt die Radwege am Boden. Oft genügen einzelne Abschnitte, meist handelt es sich aber um deutlich mehr als nur eine Brücke. Eine Brücke bringt meist Steigungen und Umwege an beiden Enden mit sich, wir wollen das gerade vermeiden. Deswegen haben viele unserer Projekte eine Mindestlänge von einigen 100 Metern, können aber auch deutlich länger sein.

Wo können Radfahrer:innen schon heute die Velo-Zukunft testen und auf Ihren Bike-Highways fahren?

Seit 2022 gibt es eine 200 Meter lange Teststrecke in Basel im Stadtquartier Wolf. Der Bike-Highway ist eingeklemmt zwischen Eisenbahn, Güterbahnhof, Autobahnzufahrt und Industriegebiet – genau da, wo sonst keine Fahrt mit dem Fahrrad möglich wäre. Abgesehen davon sind wir in rund 20 bis 30 Projekten in Österreich, Deutschland und der Schweiz, teilweise auch in Finnland und England, in der Planungsphase.

Urb-x Teststrecke

Die Teststrecke von urb-x in Basel mit PV-Modulen: Im Winter soll die Fahrbahn auch beheizbar sein.  Bild: urb-x

Rennen Sie da bei den Behörden offene Türen ein?

Die Kommunen reagieren durchweg positiv, wenn wir ihnen unser System vorstellen, unsere Radwege werden als Produkt in der Stadtplanung willkommen geheissen. Bis weitere Bike-Highways realisiert werden und auf den Strassen zu sehen sind, wird es aber noch rund drei bis fünf Jahre dauern.

„Unser System funktioniert wie Legosteine, die zusammengebaut werden“

Fahrradwege in Hochlage sind in manchen Städten aber schon zu sehen, zum Beispiel in Amsterdam. Was unterscheidet die aufgestellten Fahrradwege von urb-x von anderen Fahrradbrücken?

Aufgeständerte Fahrradwege sind bislang architektonische Einzelbauwerke, jeder von ihnen wird neu entworfen und geplant. Wir hingegen arbeiten mit einem standardisierten, modularen Baukastensystem. Das heisst, es gibt vorgefertigte Module, die wir nur noch aneinander schliessen müssen. Das kann man sich vorstellen wie Legosteine, die zusammengebaut werden. Die Module, also das Tragwerk und die Fahrbahnelemente, bestehen aus vorfabrizierten Holzbauelementen. Die Produktion geschieht gemeinsam mit unserem Partner aus Österreich, der Hasslacher Gruppe.

Welche Vorteile bietet dieses neue Konzept?

Dieses modulare System macht das Bauen zum einen sehr zeitsparend, denn Baufirmen müssen dann nur noch planen, wie die Fundamente und Stützen aussehen, wo entlang und wie hoch die Bike-Highways verlaufen sollen. So lassen sich 200 Meter Radweg innerhalb von zwei Wochen ab Baustart realisieren.

Verkehrsinfrastruktur ist am Ende meist kostenintensiv. Wie sieht es bei diesen Bike-Highways aus?

Unser Baukastensystem reduziert die Kosten für die erhöhten Radschnellwege. Für Fahrradbrücken bewegen sich die Preise pro Quadratmeter zwischen 2’000 und 20’000 Franken. Wir können uns zuverlässig im unteren Bereich dieser Spannweite ansiedeln, da wir immer mit den gleichen Modulen arbeiten, die im Planungsprozess nicht mehr ständig geändert werden. So können die einzelnen Elemente hoch automatisiert wie in einer Serienproduktion hergestellt werden.

Bike-Highway

In einem Zug und über dem restlichen Verkehr schwebend als Velo-Zukunft: Visualisierung eines Projekts von urb-x.  Bild: urb-x

Haben die verschiedenen Städte nicht sehr unterschiedliche Bedürfnisse? Reicht dafür ihr Legosystem?

Unser Baukastensystem umfasst insgesamt fünf gerade und acht gebogene Module. Aus den gebogenen Modulen lässt sich bei Bedarf auch ein Kreis bilden. Die Module sind zehn bis 30 Meter lang und standardmässig 4,4 Meter breit. Und das gibts dann jeweils in einer Standard- und einer Leichtversion.

Wird bei beiden Versionen hauptsächlich mit Holz gearbeitet?

Die Module in der Standardversion werden von blockverleimten Trägern aus Holz getragen. Als Fahrbahn dienen Gussasphalt oder Betonplatten.  Diese Bauweise entspricht der Vorliebe mancher Bauherrschaften. Bei der Leichtbauversion arbeiten wir mit einem Hohlkastenträger aus Holz für die Haupttragelemente. Dadurch können wir Material sparen und die Kosten zusätzlich senken. Als Fahrbahnoberfläche dient ein mehrschichtiger Spezialbelag, der in verschiedenen Farben erhältlich ist und für das Fahrradfahren optimiert wurde. Beide Versionen können auch noch erweitert werden.

„Die Bike-Highways können mit PV-Modulen ausgestattet und der Strom eingespeist werden“

Inwiefern erweitert?

Zum Beispiel können wir die seitlichen Geländer mit PV-Modulen ausstatten. Den erzeugten Strom speisen wir direkt in das örtliche Stromnetz ein. Zudem gibt es die Option einer Belgasbeheizung. Diese ist in die Fahrbahnelemente integriert und beheizt die Fahrradwege über ein intelligentes System mit nur wenigen Betriebsstunden. So wird der Radweg während der Kältezeit eisfrei gehalten. Das Bauwerk wird dadurch geschont, was die Lebensdauer und damit die Ökobilanz verbessert. Und nebenbei wird auch das Sicherheitsrisiko für Fahrer und Fahrerinnen minimiert.

Und wie funktioniert die Zufahrt auf die Bike-Highways?

Die Zufahrten müssen wir immer so in die Topographie und bestehende Infrastruktur einbetten, dass sie möglichst kurz und flach sind. Wie hoch die Bike-Highways sind, kommt immer auf die Landschaft an, mal sind die Radwege nur ein, oder zwei Meter hoch, mal fünf oder sechs. Wie viele Zufahrten es gibt, wird wiederum auf das jeweilige Projekt und die Landschaft ankommen. Abhängig von der Umgebung sind Anschlusspunkte alle paar hundert Meter sinnvoll. Die letzte Meile bis zum Ziel legen wir dann gegebenenfalls auf dem Boden zurück.

Balint Csontos Bike-Highway

Bálint Csontos, der Mitgründer von urb-x: „200 Meter Radweg lassen sich mit unserem System in zwei Wochen ab Baustart realisieren.“  Bild: urb-x

Würden Sie künftig die Velowege in grossen Teilen auf Stelzen verlagern wollen oder bleibt der Streifen am Boden der zentrale Pfeiler?

Radwege am Boden und aufgeständerte Abschnitte sollen sich in Zukunft optimal ergänzen können. In jeder Stadt sollen erhöhte Fahrradwege perspektivisch die Möglichkeit schaffen, über längere Distanz sicher und mit hoher Geschwindigkeit mit dem Rad unterwegs zu sein. Trotzdem wird es nötig bleiben, dass wir die Strecken am Boden weiter ausbauen. Denn wer eine aufgeständerte Strecke befährt, ist vorher und nachher am Boden unterwegs! Dabei werden Strecken am Boden und aufgeständerte Abschnitte oft auch parallel verlaufen – sie dienen ganz unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnissen. Mit der Kombination aus gut ausgebauten Radwegen am Boden und den Bike-Highways werden wir das Potenzial des Rads voll ausnutzen können. Das Velo soll im täglichen Arbeitsverkehr zum wichtigsten Verkehrsträger werden. Das wollen wir mit unseren Bike-Highways erreichen.

Bálint Csontos, 29, kommt aus Basel und ist Jurist mit grossem Interesse für Technik und gesellschaftliche Zusammenhänge. Nachdem er einige Jahre als Präsident der Grünen im Landrat Basselland tätig war, gründete er 2020 gemeinsam mit Klaus Kirchmayr das Start-up urb-x mit Sitz in Birsfelden bei Basel.

 

Velo-Zukunft – so könnten die Städte der Zukunft aussehen

Wie wir in Zukunft mit dem Velo fahren, hat auch mit der Planung der Städte zu tun. Die Raumentwicklungs-Expertin Sibylle Wälty sagt beispielsweise, dass wir den Autoverkehr um die Hälfte reduzieren könnten. In einem anderen Artikel beschreibt Verkehrssoziologe Timo Ohnmacht die Mobilität der Zukunft als die der kurzen Wege.

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Autor:in: Katrin
Brahner
Katrin Brahner ist freie Journalistin und Autorin aus Hamburg. Ihr Schwerpunkt liegt auf den Themen Nachhaltigkeit und Innovation – deshalb ist sie immer auf der Suche nach Menschen und Ideen, die das Potenzial haben, die Welt ein bisschen besser zu machen.
www.katrinbrahner.com
Kommentare
  • Avatar-Foto Roger Fuchs:

    Sehr coole Idee! So, wie es aussieht, braucht die Realisierung in den Städten dennoch Jahre.

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