Viamala-Tourismusdirektor: "Es geht auch ohne Schnee"

4 Minuten
9. Februar 2023

Der Jahresstart war für die Skigebiete bitter. Wegen Schneemangel mussten viele den Betrieb einstellen. Das bringe die Leute in den Bergen nicht aus der Ruhe, sagt Patric Berg. Der Direktor von Viamala Tourismus redet über den Fokus auf Sommeraktivitäten und verfolgt Chancen mit E-Mobilitäts-Konzepten.

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Ohne Schnee

Schneestreifen in den Bergen: Ein Bild, das vor allem in tieferen Lagen immer mehr anzutreffen ist.  Bild: istock.com

Herr Berg, im Januar mussten die Bergbahnen in Splügen den Betrieb einstellen, weil im Skigebiet so wenig Schnee lag und es so warm war. Sehen Sie das noch als Sondersituation oder als Trend?

Tja, wenn ich das wüsste… (lacht). Man muss es differenziert betrachten und pragmatisch bleiben. Es gibt eine merkliche Veränderung. Wie oft sich eine solche Lage wiederholen wird, wissen wir alle nicht. Es gab immer wieder Weihnachten ohne Schnee, doch unsere Einstellung dazu hat sich geändert. Früher gingen die Leute Skifahren, wenn es Schnee gab. Mit der künstlichen Beschneiung haben wir uns daran gewöhnt, dass es Schnee auf den Pisten hat, wenn es nicht geschneit hat. Die Leute hier im Tal begegnen solchen Situationen mit einem gewissen Pragmatismus. Wir leben in den Bergen und mit den Elementen. Manchmal schneit es, manchmal nicht. Und manchmal schneit es im Sommer.

Wie wichtig ist denn der Wintertourismus für das Rheinwald? Die Gegend ist ja auch beliebt bei Skitourengänger:innen.

Der Wintertourismus ist sehr wichtig, aber nicht dominierend. Das Tal ist seit jeher eine Transitregion. Über 6 Millionen Bewegungen auf der Autobahn pro Jahr – das prägt die ganze Destination. Dieses Jahr feiern wir das 200-jährige Jubiläum der Commercialstrasse. Und schon davor sind die Menschen mit Maultieren durch diese Region gereist. Damit entwickelte sich die Gastwirtschaft und der Tourismus. Doch die Region hat nie primär vom Tourismus gelebt. Das ist bis heute so und das ist sehr speziell. Schaut man spezifisch auf den Tourismus, dann ist mein Eindruck, dass der Winter für das Rheinwald wichtiger ist als der Sommer. Und doch ist es auch im Sommer voll, weil wir nicht so viele Betten haben. Die Nachfrage ist höher als das Angebot.

„Ich würde nicht von ‚Exit-Strategie‘ sprechen“

Die Klimaforschung geht davon aus, dass die Schneefallgrenze, auch mit Klimaschutz, weiter steigt. Das wird problematisch für Skigebiete zwischen 1000 und 2000 Höhenmetern. Braucht es eine «Exit-Strategie» aus dem Wintertourismus?

Sieht man sich den Tourismus in Graubünden unabhängig von den klimatischen Veränderungen an, dann findet diese Entwicklung – ich würde nicht von «Exit-Strategie» sprechen— seit Längerem statt. Vor 30 Jahren war es hier oben in den Sommermonaten eher ruhig. Heute sind im Sommer so viele Leute unterwegs wie in den stärksten Wintermonaten.

Müssen die Ski-Destinationen umdenken?

Der Wandel findet also statt.

Der Wandel passiert unabhängig davon, ob sich die Schneefallgrenze nach oben verschiebt oder der Schnee später oder gar nicht kommt. Tourismus zu betreiben, bei dem nur während vier Monaten im Jahr Geld verdient wird, ist nicht tragfähig. Also entwickelt sich automatisch das Sommerangebot. Und deswegen können die Destinationen im Winter Sommeraktivitäten aktivieren. Bei uns ist die Viamala-Schlucht normalerweise von Oktober bis April geschlossen. Anfangs Jahr haben wir sie einen Tag, nachdem das Skigebiet zuging, geöffnet. Und zwar weil es nicht gefährlich war wegen der warmen Wetterlage. Im Schweizer Tourismus – auch bei uns in der Region – gibt es dahingehend noch viel Potenzial.

„In der Stadt erlebe ich oft Extremreaktionen, die danach wieder abflachen“

Schneemangel Spluegen

Prekäre Schneeverhältnisse: Das Skigebiet Splügen Tambo musste im Januar 13 Tage schliessen. In der Zwischenzeit hat es doch noch etwas geschneit und so sind aktuell 10 von 15 Liften in Betrieb.   Bild: screenshot splügen.ch

Für einige Unternehmen und Arbeitsplätze ist der Schneetourismus extrem wichtig. Sie sind vom Schneemangel direkt betroffen. Setzen sich die Leute darum besonders aktiv für den Klimaschutz ein?

Wie ich das sehe, leben die Leute in dieser Bergregion bereits relativ nachhaltig. Natürlich in dem Masse, wie es möglich ist. Aber sie leben von dem, was es hat. Und bewirtschaften das Land so, dass es auch in Zukunft nutzbar ist. Dann gibt es Innovationsträger:innen, die etwas bewegen und verändern. Weniger wegen der Nachhaltigkeit, sondern weil es sonst Sinn macht. Ich finde das gesund, denn in der Stadt beobachte ich oft Extremreaktionen, die nach kurzer Zeit wieder abflachen. Wir leben in den Bergen und allen ist bewusst, dass die Natur stärker ist als der Mensch. Man lässt die Entwicklung zu und begegnet Veränderungen pragmatisch.

„Der Mensch hat einen erheblichen Anteil an der Abschwächung des Klimawandels“

Das tönt so, als ob die Menschen nichts machen können gegen den Klimawandel und sich besser einfach anpassen. Ist das Ihre Meinung?

Nein, das sehe ich überhaupt nicht so. Der Klimawandel ist nachgewiesenermassen vom Menschen verursacht. Schlussendlich hat der Mensch auch einen erheblichen Anteil an der Abwendung oder Abschwächung des Klimawandels. Ich denke aber, dass das Verhalten individuell nachhaltig verändert werden muss. Und dass kurzfristige, publikumsträchtige Handlungen langfristig nicht viel bringen. Sie verursachen zwar oft viele Reaktionen, können aber auf die Dauer nicht aufrechterhalten werden und sind deshalb nicht sehr effektiv. Unabhängig davon müssen wir uns auch eingestehen, dass wir die Natur und die Naturkräfte nur bedingt bezwingen können. Diese Einsichten der nachhaltigen Anpassung und einer gewissen Demut der Natur gegenüber erachte ich als wichtig. Und manchmal vermisse ich dies.

„Es wäre verlogen, wenn ich sagen würde, wir seien die nachhaltigste Destination der Schweiz“

Wie sieht es in der Wirtschaft aus? Gibt es dort nachhaltige Engagements oder Pionier:innen?

Wir haben einen Naturpark. Dieser beschäftigt sich ganz intensiv mit Nachhaltigkeit. Und das hat einen Einfluss auf die Leute. Wir sollten ausserdem nicht vergessen, dass vier Prozent des Schweizer Stroms aus dieser Region kommt. Und zwar aus Wasserkraft. Vor diesem Hintergrund ist es für manche Einwohner:innen schwierig nachzuvollziehen, was Leute verlangen, die keine Vorstellung vom Leben hier oben haben. Aber es wäre verlogen, wenn ich sagen würde, wir seien die nachhaltigste Destination in der Schweiz. Wir haben eine Autobahn, die quer durch die Region führt. Damit leben wir, wollen wir leben und müssen wir leben. Irgendwann fahren hier vielleicht nur noch Elektroautos. Wir können weder das steuern noch die Autobahn schliessen.

„Bei uns ist es schwierig, das Gepäck mit ÖV zu schicken“

Gab es in der Destination schon Bestrebungen, Anreize für ein nachhaltigeres Mobilitätsverhalten der Gäste mit ÖV zu setzen?

Ja, aber nicht im grossen Stil, wie sich das viele vorstellen. Bei uns ist es beispielsweise schwierig, das Gepäck mit ÖV zu schicken. Bis Thusis ist das kein Problem, aber dann muss es aufs Postauto und von einer Haltestelle, die möglicherweise nicht direkt in der Siedlung liegt, ins Hotel gebracht werden. Das heisst, der Hotelier muss es genau dann entgegennehmen, wenn das Postauto ankommt. Das ist zu aufwändig. Ausserdem wissen wir, dass viele Gäste nicht mit ÖV in diese Gegend reisen.

Patric Berg

Patric Berg, Tourismusdirektor von Viamala: „Der Wandel passiert unabhängig davon, ob sich die Schneefallgrenze nach oben verschiebt oder der Schnee später oder gar nicht kommt.“

Was sind denn Konzepte, die funktionieren?

Mit meinem Team arbeite ich gerade an einer anderen Idee. Viamala ist eine perfekte Destination, um E-Autos zu testen. Die Leute kaufen ein Auto, wenn sie es zuerst testen können. Interessierte könnten zu uns kommen, das Benzinauto stehen lassen und während zwei Tagen ein Elektroauto testen. Und das auf allen möglichen Strassen. Mit der Familie und Fahrrädern im Gepäck. So erleben die Leute ein Auto unter realen Bedingungen und erfahren, dass sie problemlos mit einem Elektroauto in den Bergen unterwegs sein können. Solche Ansätze sind interessant und einzigartig. Hier könnten wir einen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit machen. Aber die Gäste auf Gedeih und Verderb umerziehen ist keine Kernaufgabe von uns. Aktuell suchen wir nach Partnern für das Vorhaben. Die Verwirklichung steht und fällt am Ende mit den Kosten. Man darf nicht vergessen, dass wir immer in Konkurrenz stehen mit Strandferien und Angeboten von Billigfliegern in Europa.

 

 

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Autor:in: Nicole
Saunier
Die Autorin berät Unternehmen zum Thema Nachhaltigkeit und sagt: "Die Wirtschaft ist ein wichtiger Teil der Lösung."
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