Zum Hirschen - stille Einkehr im Südtiroler Nonstal

5 Minuten
28. Mai 2025

Unsere Liebe Frau im Walde, so der Name des beschaulichen Wallfahrtsorts im Südtiroler Nonstal, ist ein Platz, an dem die Stille zu Hause ist. Eingebettet zwischen Lärchenwäldern und auf der Route eines Pilgerwegs, liegt das Hotel Zum Hirschen. Es ist ein Ort mit fast neun Jahrhunderten Geschichte und einer Nachhaltigkeit, die weit über regionale Küche hinausgeht. Die Reisenden entdecken hier Vieles. Im Idealfall sich selbst.

figure
Zum Hirschen

Das Hotel Zum Hirschen im Ort Unsere Liebe Frau im Walde im Südtirol – so geht Achtsamkeit.  Bild: Historic South Tyrol

Noch einmal öffne ich das Fenster. Die Kühle des Abends schwappt herein. Der Blick geht hinunter auf die Pflastersteine der Strasse, dann hinüber zur Kirche Maria Himmelfahrt mit dem prägnanten romanischen Turm. Die Kirchenglocke schlägt zur vollen Stunde. Dann nimmt sich die Stille wieder ihren Raum. Die Strassenlaterne wirft ein fahles Licht in die leere Gasse. Ausser den leisen Wellen des eigenen Atems ist da nichts. Das ist wenig. Und doch alles. Mehr kann man sich gar nicht wünschen.

Pilger, Sommerfrischler, Reisende

Die Wurzeln des Hauses Zum Hirschen gehen weit zurück. 1184 gibt es die erste Erwähnung in einer päpstlichen Bulle, als von einem Kloster und einer Herberge für Pilger hinter dem Gampenpass die Rede ist. «Zuerst waren es Pilger, dann waren es Händler und Kreuzzügler, die über den Pass gezogen sind», sagt Mirko Mocatti, der den Hirschen gemeinsam mit Schwester Ingrid in dritter Generation führt.

Unsere Liebe Frau im Walde liegt am Kreuzungspunkt zahlreicher historischer und moderner Pilgerwege, wie dem Romedius-Pilgerweg oder der lokalen Variante des Jakobswegs. Menschen entdecken diese Pfade nicht aus religiösem Eifer, sagt Mocatti, «sondern als Suche nach Erfahrung, Herausforderung oder Einfachheit». Viele finden auf ihrer letzten Etappe des Romedius-Pilgerwegs im Hirschen einen stillen Ort zur Reflexion – oder ein gutes Bett auf den insgesamt 185 Kilometern und 10’000 Höhenmetern. Und während mich im gotischen Schiff der Kirche Maria Himmelfahrt eine barocke goldene Opulenz mit Engeln, Heiligenbildern und dem Gnadenbild mit Maria (der «lieben Frau im Walde») optisch überwältigt, wirkt die Herberge wohltuend auf die Essenz des Lebens reduziert.

„Eine spirituelle Aufgabe“

„Es gab eine spirituelle Aufgabe die Menschen über den Pass zu begleiten. Und so sehen wir unsere Aufgabe auch heute, dass wir hier sind, um Menschen zu begleiten, in die Erfahrungen und Erlebnisse, die sie hier sammeln möchten“, sagt Mirko Mocatti. „Wir möchten kein Hotelkonzept sein, sondern wir versuchen Reisenden als Station zu dienen.“

Der Reisende packe den Koffer ganz anders als der Urlauber. Der Urlauber schwebe an der Oberflächlichkeit und suche eine kurze Auszeit vom Alltag. Der Reisende hingegen suche eine Erfahrung, suche die Begegnung mit den Menschen und wolle mehr erfahren.

Historic South Tyrol Hotels – Zeitreisen durch die Geschichte

Das „Zum Hirschen“ ist Mitglied der Vereinigung Historic South Tyrol – einer Initiative, die historische Gastbetriebe als Kulturgut begreift. Die Gastbetriebe wurden vom 12. Jahrhundert bis zur Belle Époque erbaut. Zu den Historic South Tyrol zählen auch die ersten Grand Hotels, die es im Alpenraum gab, Betriebe, die seit Generationen von beherzten und starken Frauen geführt wurden und Wirtshäuser, deren Mauern mehreren Jahrhunderten getrotzt haben. Die geschichtsträchtigen Häuser sind Unikate, in denen einst Pilger eingekehrt sind oder Bürgertum und Aristokratie ihre Sommerfrische verbracht haben, Urlaubskulissen für Individualisten, Kulturinteressierte, Ästheten und Zeitreisende an den schönsten Orten Südtirols.

Historic South Tyrol zum Hirschen

Lichtspiel im Gasthofzimmer: Die Schlichtheit und die dezenten Farben ziehen sich durchs ganze Haus.  Bild: Historic South Tyrol

Lichtspiele statt alpiner Kitsch

Die Pilgertradition ist nicht nur ein erzählerisches Element, sondern durchzieht die Architektur des Hauses. Statt alpinem Kitsch und Heidi-Ästhetik mit Hirschgeweih erwartet die Gäste ein Spiel aus Licht, Leichtigkeit und klösterlicher Reduktion. Selbst die italienischen Gäste von ausserhalb des Südtirols, welche sich die Berge gerne auch als eine Art Alpen-Disneyland ausmalen, sind aber positiv überrascht, selbst wenn kaum ein Klischee erfüllt wird.

Inspiriert vom Bauhaus-Stil und skandinavischer Klarheit, wurde das Haus mit Materialien der Region neu interpretiert – Lärche, Fichte und Birke dominieren, und auch das Porphyrgestein verbindet die Räume mit der umliegenden Landschaft.

Wie ein Aschram ohne exotischen Appeal

Die Innenarchitektur der Zimmer ist hat ganz unterschiedliche Facetten. Die Hospitium-Zimmer etwa greifen das Konzept der Pilgerzelle auf: Ein zentrales Bett, kaum Ablenkung, sanftes, asymmetrisches Licht. Waschraum und Schlafbereich sind nicht getrennt – ein bewusster Bruch mit modernen Hotelnormen, der zur Rückbesinnung auf das Wesentliche einlädt. Fast wie ein Yoga-Retreat ohne Firlefanz, ein indisches Aschram ohne exotischen Appeal. Und wer nach Hause zurückkehrt, kann nicht von weit entfernten Horizonten berichten. Vielleicht aber davon, die Türe zu neuen Räumen in sich selbst aufgestossen zu haben.

Dagegen stehen die sogenannten Luc-Zimmer – lichtdurchflutete Räume mit weitem Ausblick auf die umliegenden Bergspitzen mit dem Hausberg Laugen. Während die unteren Stockwerke zur inneren Findung ermutigen, öffnen sich die oberen Zimmer zur Welt.

Essenssaal Hirschen

Lichteinfall, Schlichtheit, Klasse: Auch beim Essen konzentriert man sich aufs Wesentliche.  Bild: Historic South Tyrol

Kulinarik eng verbunden mit der Region

Im hauseigenen Restaurant „Cervo“ – italienisch für „Hirsch“ – ist die Seniorchefin Edith Kofler, die schon ihr ganzes Leben mit dem Haus verbunden ist, allgegenwärtig. Sie ist die ordnende Hand, erklärt etwa die Zusammenhänge der schön gezwirbelten Löwenzahn-Variationen auf dem Teller oder der Kräuter-Essenz für den Magen, welche vor dem Essen gereicht wird. Und sie hat selbst für Kinder immer ein gutes Wort und einiges an Geduld übrig. Derweil dirigiert Ingrid Mocatti in der Küche und setzt konsequent auf Slow Food, Regionalität und Saisonalität. Die Küche ist kreativ und auch in der kulinarischen Fachpresse hochgelobt – etwa im Gault & Millau 2021 unter den «Geheimtipps». Das Frühstück beispielsweise folgt einem Elemente-Konzept, das den Tag mit Vitaminen, Eiweiss, Porridge und Süssem rhythmisiert – bewusst ohne Buffet, um Überfluss und Verschwendung zu vermeiden.

Esstisch zum Hirschen

In der inspirierten Slow-Food-Küche wird auch viel Pflanzliches angeboten.  Bild: Historic South Tyrol

Zum Hirschen – offen für pflanzliche Menüwünsche

Dass ökologische Nachhaltigkeit und tierische Produkte nicht gerade Hand in Hand gehen, ist jedem klar, der sich einmal mit den CO2-Emissionen von Fleisch oder Butter auseinandergesetzt hat. Tierische Produkte sind in Südtiroler Gaststätten aber nicht nur die Regel, sie dominieren die Menukarte in jedem Tal und auf jedem Berg nach Belieben. Im Hirschen gibt es täglich ein vegetarisches Menü, auf Wunsch auch vegane Optionen. Erfreulich ist die Bereitschaft, rein pflanzliche Varianten anzubieten. Noch umweltverträglicher wäre es, eine fixe vegane Variante pro Tag einzubauen. Wobei das Nose-to-tail-Konzept – von Kalbszunge bis zu den Nieren wird alles verarbeitet, was das Tier hergibt – auf jeden Fall ein wichtiges Signal gegen Lebensmittelverschwendung ist.

Die Natur umarmt uns

Und was tut man hier im Tal sonst so? Die Natur umarmt uns direkt vor der Tür. Grosse Wanderungen bieten sich im Sommer an – etwa vom Gampenpass bis zur Laugenspitze. Wer es gemütlich mag, kann auch durch den wunderschönen Lärchenwald zum Felixer Weiher wandern und entdeckt da und dort vielleicht sogar ein Reh. Oder – wie ebenfalls gesehen – verunsicherte Touristen, die wieder zum Parkplatz zurückkehren, weil sie keine anderen Touristen antreffen auf den verwunschenen Pfaden. Wir können auch den Rundradweg im oberen Nonstal wärmstens empfehlen. Historische Ortskerne und Äpfelgärten inklusive.

Am Ende des Tages? Vielleicht ein Saunabesuch im Hirschen. «Wir haben nicht tausende Quadratmeter Spa, kein Hallenbad», sagt Mirko Mocatti. «Dafür deutlich weniger Energieverbrauch.»

Erfrischend ist auch das alte Telefon mit Wählscheibe, das ausserhalb der Sauna hängt. So ästhetisiert man digital Detox. Ich nehme den Hörer ab, höre dem Summton zu, hänge wieder auf. Und bin sehr bei mir.

 

Telefon Hirschen

Sinnbild für digital Detox: Das Telefon neben dem Sauna-Ruheraum im Hotel Zum Hirschen. Bild: Historic South Tyrol

Interessiert dich das Thema Nachhaltigkeit und Tourismus? Hier gibt es mehr sustainable trips!

base iframe
Autor:in: Christian
Bürge
Der Journalist ist Co-Founder und Chefredaktor des Magazins
Go Green.
www.christianbuerge.com
Kommentare
Bewertungen
Bewertungen: