Der Dischmabach bei der Alp Dürrboden in Davos: Die markant steigende Wassertemperatur in Gebirgsflüssen kann zum Problem für Tiere und Menschen werden. Bild: istock.com
Amber van Hamel: Wir haben in der Studie Bergregionen in ganz Europa untersucht. Also nicht nur die alpinen Regionen, sondern auch die Flüsse und Bäche in den Pyrenäen oder im Zentralmassiv. Der Grund, warum wir das machen, ist, dass wir eine räumliche Verteilung über Europa haben wollen und besser verstehen wollen, wie sich die Temperatur in Gebirgsflüssen verhält. Nicht nur in den Alpen, sondern in verschiedenen Klimazonen. Wenn wir die Veränderungen im Laufe der Zeit analysieren, brauchen wir mindestens 30 Jahre an Daten. Weil wir sonst nur die schnellen Schwankungen sehen würden. Wir wollen aber wissen, was über einen längeren Zeitraum passiert. Für alle Bergregionen gemeinsam haben wir untersucht, welche Prozesse die Wassertemperatur beeinflussen. Wie oft treten Extremereignisse auf? Und wie stark sind sie?
„In höheren Lagen gibt es mehr Extremereignisse bezüglich Wassertemperatur“
Dass wir mehr extreme Ereignisse beobachten, wenn wir uns in höheren Lagen befinden. Es ist interessant, dass die Prozesse dort schneller ablaufen als in den Tieflandregionen. Das wussten wir vorher nicht. Jetzt haben wir Signale, die darauf hinweisen. Wir haben auch gelernt, dass in diesen extremen Perioden mehr Prozesse wichtig sind, um die Wassertemperatur vorherzusagen. Die extremen Ausschläge können wir nicht mehr allein mit Lufttemperatur und Abfluss erklären. Das Bild ist viel komplexer, und andere Prozesse wie Bodenfeuchtigkeit und Schneeschmelze oder das Ausbleiben der Schneeschmelze sowie der Grundwasserabfluss spielen eine Rolle.
„Den Flüssen steht im Frühling und Sommer weniger kaltes Schmelzwasser zur Verfügung“
In den Alpen ist ein deutlicher Anstieg der Wassertemperaturen in allen vier Jahreszeiten zu beobachten, wobei der Anstieg im Sommer besonders stark ist. Dies ist möglicherweise eine Folge des Klimawandels, da sich die Bergregionen generell stark erwärmen. Darüber hinaus verändert sich das Schneeregime. Im Winter fällt weniger Schnee, so dass den Flüssen im Frühling und Sommer weniger kaltes Schmelzwasser zur Verfügung steht. Auch die Trockenheit spielt eine Rolle, wenn weniger kaltes Grundwasser die Flüsse speist.
Die Wassertemperatur hat einen Jahreszyklus. Genau wie die Lufttemperatur. Wir sagen, dass die Temperaturen extrem sind, wenn die Wassertemperatur über dem 95-Perzentil für diese Jahreszeit liegt. Das bedeutet, dass die Temperatur zu den höchsten fünf Prozent der in diesem Zeitraum beobachteten Werte gehört. Ein extremes Ereignis ist eine mehrtägige Periode, in der extreme Wassertemperaturen beobachtet werden. Wir haben festgestellt, dass die Zahl der Extremereignisse in Gebirgsflüssen im Allgemeinen zunimmt und dass dieser Anstieg stärker ist als bei Flüssen in niedrigen Lagen.
„Die Flüsse reagieren empfindlicher auf die Erwärmung“

Die SLF-Hydrologin Amber van Hamel hält einen Sensor in den Dischmabach bei Davos. Bild: SLF
In Gebirgsflüssen wird während Hitzeperioden mehr Schmelzwasser produziert, was den Effekt der Erwärmung dämpfen kann. Wenn jedoch weniger Regen als Schnee fällt und die Schneedecke früher im Jahr schmilzt, ist später im Frühjahr und Sommer weniger Schmelzwasser verfügbar. Dadurch reagieren die Flüsse empfindlicher auf die Erwärmung, da sie nicht mehr durch das Schmelzwasser von Schnee und Gletschern gekühlt werden können.
Wir müssen in unseren Computermodellen diverse Parameter berücksichtigen. Neben dem Schmelzwasser beispielsweise die Bodenfeuchtigkeit. Denn die Bodenfeuchte sagt etwas darüber aus, wie trocken das Gebiet um den Fluss ist. Und wo wenig Wasser im Boden ist, gibt es auch weniger Grundwasser und andere Kaltwasserzuflüsse. Schmelzwasser, Bodenfeuchtigkeit und Basisabfluss sind also alle wichtig, wenn man die Wassertemperatur vorhersagen will. Hochgelegene Flüsse werden hauptsächlich von der Schneeschmelze angetrieben. Das heisst, je höher man in die Berge kommt, desto mehr Wasser stammt aus der Schneeschmelze oder dem Schmelzen von Gletschereis.
„Die Erwärmung von 1,1 Grad innerhalb von nur 30 Jahren kann ziemlich grosse Folgen haben“
Aber es macht einen riesigen Unterschied. Denken Sie auch an all die Nachrichten über die Erderwärmung, respektive die Lufttemperatur. Wenn es um den Klimawandel geht, sprechen wir ständig von einem Anstieg um 1,5 Grad seit Ende des 19. Jahrhunderts, der weltweit bereits stattfindet. In der Schweiz ist die Erwärmung stärker, mit rund 2,9 Grad im gleichen Zeitraum. Die Folgen sehen und spüren wir bereits. Sicher: 1,1 Grad hört sich nicht nach viel an, aber wir haben das über einen Zeitraum von nur 30 Jahren beobachten können. Dies kann tatsächlich ziemlich grosse Folgen haben, zum Beispiel für das aquatische Ökosystem und die dort lebenden Arten.
Dazu kann ich keine Prognose abliefern. Aber die Fischarten in den Flüssen haben ein bestimmtes thermisches Optimum. Das heisst, sie mögen die Temperaturen zwischen 15 und 20 Grad. Und auch die Forelle hat ihren optimalen Temperaturbereich. Wenn die Temperaturen darüber hinausgehen, fühlen sie sich gestresst.
„Im Jahr 2018 verendeten im Hochrhein tausende Forellen und Äschen wegen der Hitzewelle“

Auch die Fische in Bergbächen – wie die Forelle im Bild – haben Mühe mit den steigenden Wassertemperaturen. Bild: istock.com
Nein. Ich bin keine Biologin. Aber wir sahen im Jahr 2018, als es diese riesige Hitzewelle gab, dass im Hochrhein tausende Forellen und Äschen verendeten, weil es Wassertemperaturen bis zu 27 Grad gab. Was Fische tun, wenn Flüsse sehr heiss werden, ist, dass sie flussaufwärts wandern. In der Hoffnung, kälteres Wasser zu finden. Aber das ist wegen vieler Barrieren teils unmöglich. Irgendwann wird ihr Lebensraum kleiner und das kann ein Problem für sie sein.
Eine Menge von Fischarten und Tieren wie Insekten, die in der Wasserlinie leben. Aber wie gesagt, ich bin keine Biologin.
„Die 28 Grad im Schwarzbach waren wirklich aussergewöhnlich“
Was ich sagen kann, ist, dass die 28 Grad aussergewöhnlich waren. Das war auch während einer Hitzewelle wirklich hoch. Aber es gibt noch mehr Flüsse, die im Sommer hohe Werte aufwiesen. Zum Beispiel in den Niederungen der Schweiz und auch in den Niederungen der Pyrenäen, also mehr im Süden. Dort können wir leicht Temperaturen von 25 Grad erreichen. Vor allem in den heissen Sommermonaten.
„Flüsse wie die Lonza werden empfindlicher auf die Erwärmung reagieren“
Ja. Und die Lonza entspringt wirklich hoch oben in den Bergen. Die meisten Flüsse, die immer noch stark von Gletscherschmelze gespeist werden, sind recht stabil. Aber da auch diese Gletscher mit der Zeit kleiner werden, werden sie auch empfindlicher auf die Erwärmung reagieren. Wir glauben, dass dies bei der Lonza der Fall sein könnte. Aber es sind weitere Untersuchungen notwendig, um dies zu bestätigen.

In höher gelegenen Flüssen wie der Lonza (oben) gibt es weit mehr extreme Temperaturen als beispielsweise der Thur bei Andelfingen. Grafik: SLF
Nein. Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass es dann eine plötzliche Veränderung geben wird. Der Gletscher schrumpft, und der Beitrag des Schmelzwassers wird langsam und ganz allmählich weniger werden. Und auch die Temperatur wird sich also nicht plötzlich ändern, sondern langsam ansteigen.
Wenn die Gletscher weg sind, werden sich die Flüsse schneller erwärmen, aber sie werden im Sommer auch weniger Wasser bekommen. Flussaufwärts, also nahe der Quelle, wo der Gletscher ist, wird die Auswirkung grösser sein, als wenn man irgendwo in Basel ist. Denn dort ist der Anteil des Gletscherwassers im Fluss im Vergleich zu dem Wasser, das aus dem Grundwasser und den Niederschlägen kommt, bereits geringer.
Das können wir nicht so einfach sagen. Ein grosser Teil des Flusswassers stammt auch aus Schnee, Grundwasser und Regen. Flüsse werden also nicht nur von Gletschern gespeist. Viele Flüsse beginnen nicht mit dem Gletscher, sondern einfach irgendwo in den Bergen. Wenn die Gletscher verschwinden, wird es immer noch Flüsse geben, die von der Schneeschmelze und Regen gespiesen werden.
Wir konnten keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Niederschlag und Wassertemperatur feststellen. Das bedeutet, dass Niederschläge den Fluss manchmal etwas abkühlen und manchmal etwas erwärmen können. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass das Regenwasser auf seinem Weg in den Fluss über den Boden fliesst, oder Grundwasser in den Fluss drückt. Je nachdem, wie warm die Oberfläche und das Grundwasser im Vergleich zum Flusswasser sind, wirkt sich das leicht kühlend oder wärmend aus.
„In sehr warmen Gewässern gibt es oft auch mehr Algen“
Die Temperatur ist ein wichtiger Regulator für viele biologische und chemische Prozesse. Wie bereits erwähnt, gibt es in wärmerem Wasser weniger Sauerstoff und einige giftige Stoffe verdünnen sich besser darin. Dies ist schädlich für verschiedene Lebewesen. In sehr warmen Gewässern gibt es auch oft mehr Algen. Alle chemischen Reaktionen brauchen Energie. Und wenn es mehr Wärme im Fluss gibt, können verschiedene chemische Reaktionen stattfinden.
„Die Trinkwasserversorgung in der Schweiz ist nicht so schnell gefährdet, aber die Wasserqualität wirkt sich auf die Freizeitgestaltung aus“
Die Versorgung ist nicht so schnell gefährdet. In der Schweiz kommt 80 Prozent des Trinkwassers aus dem Grundwasser. Aber zum Beispiel in den Niederlanden, wo ich herkomme, nutzen wir Oberflächenwasser, also Seen und Flüsse, um Trinkwasser zu gewinnen. Wenn die Qualität abnimmt, kann dies Auswirkungen auf die Trinkwasserverfügbarkeit haben. Aber auch in der Schweiz könnte die Wassertemperatur ein Problem werden, wenn die Flüsse wärmer werden. In diversen Seen der Schweiz können sich dann Algen sehr schnell vermehren. Und dann ist nicht nur die Wasserqualität ein Problem, sondern auch die Freizeitgestaltung. Denn die Leute wollen ja schwimmen gehen.
„Wenn die Wassertemperatur 25 Grad übersteigt, darf die Industrie kein warmes Wasser mehr einleiten“
Weil die Industrie relativ kaltes Wasser entzieht und wärmeres Wasser zurückführt. Es gibt aber auch Vorschriften, um die Flüsse vor einer zu starken Erwärmung zu schützen. Das Schweizer Gewässerschutzgesetz schreibt vor, dass in Gewässern, in denen auch Forellen leben, kein zusätzlich erwärmtes Wasser in den Fluss gelangen darf, wenn die Temperatur 25 Grad übersteigt. Dies hat zur Folge, dass die Industrie bei sehr warmen Flüssen ihre Produktion reduzieren muss, weil sie auf diese Kühlung angewiesen ist.
Genau. Der Sommer 2018 war ein Beispiel dafür. Es gab in Frankreich ein paar Kernkraftwerke, die ihre Produktion zwar nicht komplett abschalten, aber zumindest reduzieren mussten.
„Die Trends deuten darauf hin, dass sich die Hitze in Bergflüssen in Zukunft noch verstärkt“

Kernkraftwerke – wie hier Leibstadt am Rhein – oder Industrien dürfen kein warmes Wasser mehr in die Flüsse leiten, wenn die Temperatur bereits 25 Grad erreicht hat. In Frankreich hat dies 2018 zu Teilabschaltungen von Kernkraftwerken geführt. Bild: istock.com
Der deutlichste Unterschied besteht zwischen den Flüssen, die im Winter komplett zufrieren und denen, die nicht zufrieren. In Skandinavien gibt es viele Flüsse, die im Winter komplett zufrieren. In den Pyrenäen oder im Zentralmassiv ist das nicht der Fall. Je weiter südlich man geht, desto wärmer ist das Wasser. Aber wir sehen auch sehr grosse Unterschiede innerhalb der Pyrenäen und der Alpen, wo es Flüsse gibt, die Temperaturen von über 30 Grad erreichen, und Flüsse, die das ganze Jahr unter acht Grad bleiben. Es kommt also nicht nur darauf an, wo man sich auf dem Kontinent befindet, sondern natürlich auch auf die Höhenlage. Im Zentralmassiv in Frankreich liegen die Temperaturen näher beieinander und sind recht warm. Aber eben: Für uns war überraschend, wie viel mehr extreme Temperaturen wir in höheren Lagen messen. Die beobachteten Trends deuten darauf hin, dass sich dies in Zukunft noch verstärken wird.
Amber van Hamel forscht am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos zum Thema Hydrologie und Klimafolgen in Gebirgsregionen.
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