Klimaneutralität - im Ausland liegt der Schlüssel

6 Minuten
19. April 2024

Die Schweiz sucht bei der Umsetzung ihrer Klimaziele im Ausland nach Erleichterung. Wollen wir als globale Gesellschaft klimaneutral werden, kommen wir nicht um Massnahmen jenseits der Grenze herum. Wenn auch anders, als aktuell von der Schweiz angedacht. Ein Gastbeitrag von ETH-Klimawissenschaftler Cyril Brunner.

 

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Klimaneutralität

Viele Schweizer Firmen verzeichnen im Ausland den Grossteil ihrer Emissionen – wie diese Erzverarbeitungsanlage eines Schweizer Rohstoffhändlers in Südafrika.   Bild: istock.com

Mit dem im Juni 2023 angenommenen Klima- und Innovationsgesetz hat die Schweiz Ziele für die Treibhausgasemissionen innerhalb der Landesgrenzen formuliert, die langsam kompatibel werden mit den internationalen Klimazielen. Doch die Physik ist unnachgiebig. Denn der weltweite Temperaturanstieg lässt sich nur aufhalten, wenn die weltweiten Emissionen insgesamt auf Netto-Null reduziert werden. Wie erreichen wir das weltweit?

Gleich hohe Steuern für alle – auch das wäre unrealistisch

Bisher wurde das Klimaabkommen von Paris so ausgelegt, dass jedes Land eigenständig Netto-Null Treibhausgase erreichen muss. Das wäre, wie wenn alle Personen in der Schweiz den gleichen Betrag an die Steuern zahlen sollen: 18‘000 CHF pro Jahr. Jedes Neugeborene gleichermassen wie jede Person in einer Konzernleitung. Während einige keine Mühe hätten, diesen Betrag beizusteuern, wäre es für andere herausfordernd oder unmöglich. Ebenso leuchtet ein, dass nicht alle Staaten aus eigener Kraft auf Netto-Null kommen werden. Insbesondere der globale Süden. Weil in diesen Regionen oft Armut vorherrscht und daher andere Herausforderungen Priorität haben. Wie der Zugang zu sauberem Wasser oder medizinischer Grundversorgung, ausreichende Nahrung, Bildung und Sicherheit. Und das, obwohl diese Staaten erwiesenermassen deutlich stärker vom Klimawandel betroffen sind als der Globale Norden. 

Wenn es um den Klimaschutz im Globalen Süden geht, will die Schweiz von etwas ganz anderem profitieren. Im Pariser Abkommen können Emissionen unter Staaten gehandelt werden. So sieht das kürzlich finalisierte, revidierte CO2-Gesetz vor, dass der Bundesrat festlegen kann, welcher Anteil der Emissionsreduktion bis 2030 statt im Inland im Ausland erfolgen soll. Entsprechende Verträge wurden bereits mit Dominica, Georgien, Ghana, Malawi, Marokko, Peru, Senegal, Thailand, der Ukraine, Uruguay und Vanuatu abgeschlossen.

Fragwürdige Kompensationsprojekte

Oft wird argumentiert, dass Emissionsminderungen in diesen Staaten günstiger wären, als in der Schweiz. Das stimmt isoliert betrachtet für heute und morgen, aber nicht, wenn wir den ganzen Weg in eine klimaneutrale Schweiz betrachten. Jetzt installierte fossile Infrastruktur muss in 25 Jahren frühzeitig abgebrochen werden. Und für die Installation einer CO2-armen Infrastruktur fehlen uns die Fachkräfte. Schon heute wird es knapp, über die nächsten 25 Jahre genügend Fachkräfte für die Sanierung aller unsanierten Gebäude zu haben. Hinzu kommt: die Vermeidung von CO2 im Ausland wird seit Jahren kritisch diskutiert und hat mit den Wirren um fragwürdige Kompensationsprojekte in den letzten beiden Jahren neuen Auftrieb erhalten. Erst letzte Woche erschien wieder eine Analyse in Nature, die zeigte, dass bei Kompensationsprojekten in Australien nur rund ein Fünftel überhaupt einen positiven Beitrag hatte.

Wiederaufforstung

Lange nicht alle Wiederaufforstungsprojekte sind zielführend – wie eine Studie zu Kompensationsprojekten in Australien zeigt.  Bild: istock.com

Was ist ein fairer Beitrag für die Schweiz?

Bisher weniger Beachtung erhielt die fundamentale Frage, was denn eigentlich ein fairer Beitrag der Schweiz ist. Wenn jedes Land für die Reduktion der Emissionen im eigenen Land verantwortlich ist, dann gelten für alle die gleichen Regeln. Aber ist es deswegen fair? Ein gleich grosser Steuerbetrag für alle in der Schweiz wäre diesbezüglich sicherlich mal ein spannendes Experiment. Auch der Schweizer Bundesrat hat bereits darüber diskutiert, was ein fairer Beitrag der Schweiz an den internationalen Klimazielen ist. Er kam zu Schluss, dass die Schweiz bereits überdurchschnittlich viel mache: Weil die Schweiz bisher höhere Treibhausgasemissionen hatte, muss sie sich auch mehr anstrengen, um eine Netto-Null-Bilanz zu erreichen. 

Der Handabdruck: Unsere Emissionen im Ausland müssen in den Fokus

Ein anderer Ansatz wäre vielleicht anlehnend zur tatsächlichen Organisation unseres Steuersystems mit einem progressiven Steuersatz. Wer kann, trägt auch mehr bei. So würde eine umfassendere Betrachtung auch technische und finanzielle Möglichkeiten sowie Bildung, Innovation und politische Rahmenbedingungen berücksichtigen. Folglich nicht nur auf unseren Fussabdruck fokussieren – jene Emissionen, die wir in der Schweiz ausstossen – sondern auch auf unseren Handabdruck, also jene Emissionen im Ausland. Auch bei denen haben wir einen direkten oder indirekten Einfluss. Das Pariser Abkommen beinhaltet diesen Ansatz mit dem Prinzip der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung” bereits, und die Formulierung geht sogar zurück auf die UNO Rahmenkonvention 1992.

Schweizer verursachen zwei Drittel der Emissionen im Ausland

Die Kommissionen für Umwelt, Raumplanung und Energie des Parlaments haben letztes Jahr darüber diskutiert, ob die Schweiz ein System für einen CO2-Grenzausgleich äquivalent zum EU-System einführen soll. Dieser besteuert die Emissionen, die im Ausland durch die Herstellung der von uns konsumierten und importierten Güter anfallen. Die beiden Kommissionen möchten einen Gesetzesentwurf ausarbeiten, während der Bundesrat zuwarten möchte, bis das System in der EU aktiv ist. Die Haltung des Bundesrats wird auch von einigen Industrie-Verbänden unterstützt. Gleichzeitig läge in einem solchen System ein grosser Hebel, fallen doch gemäss Bundesamt für Statistik rund zwei Drittel aller Treibhausgasemissionen einer in der Schweiz lebenden Person im Ausland an. Wenn mit dem CO2-Grenzausgleich Produkte aus Branchen importiert werden, die auch dem lokalen Emissionshandel unterliegen, muss für im Ausland emittierte Emissionen beim Import eine entsprechende CO2-Abgabe bezahlt werden. Beim Export das Umgekehrte. Das ist nicht nur fairer für lokale Unternehmen, sondern mildert auch Carbon Leakage, also die Abwanderung von Unternehmen ins Ausland, weil dort weniger strikte Rahmenbedingungen für den Klimaschutz herrschen. 

Grafik Klimahebel Schweiz

Die Dekarbonisierungshebel der Schweiz: Viel stärker als die inländischen Emissionen fallen importbedingte und vor allem aus der Schweiz kontrollierte Emissionen aus.  Grafik: McKinsey

Finanzflüsse und Investitionen: Bis zu 40 Mal mehr, als die Schweiz selber produziert

Eine zusätzliche Variante wäre, dass alle Unternehmen mit Hauptsitz in der Schweiz auch an internationalen Standorten sicherstellen, dass sie ihre eigenen Klimaziele einhalten. Denn dort fallen laut Schätzungen von McKinsey, economiesuisse und dem WWF rund sechs bis neun-Mal mehr Emissionen an, als die Schweiz im Inland ausstösst. Darüber hinaus könnte die Schweiz ihre Finanzflüsse und Investitionen so gestalten, dass sie mit den Klimazielen vereinbar sind. Mit Investitionen in Aktien, Unternehmensanleihen, Kredite und Staatsanleihen unterstützen wir gemäss derselben Studie 17 bis 40-mal mehr Ausstoss von Treibhausgasen, als die Schweiz selber produziert. Letztlich könnte die Schweiz die bereits angesprochenen, von ihr finanzierten Klimaschutzmassnahmen im Globalen Süden dazu nützten, um diese Staaten zusätzlich beim Klimaschutz zu unterstützen – eine Art Entwicklungshilfe – anstatt wie im revidierten CO2-Gesetz vorgesehen aus Rechtfertigung zu nützten, um im Schweizer Inland weniger zu machen.

Die Ziele sind gut – aber die Schweiz setzt ungenügend um

Die Schweiz hat mit dem Klima- und Innovationsgesetz klargemacht, dass sie die nationalen Klimaziele den internationalen anzugleichen will. Die Ziele sind gut, die Umsetzung davon ist bis jetzt ungenügend. Statt sich im Ausland einzusetzen, um die im Inland versäumte Reduktion zu kompensieren, sollte die Schweiz für ihre Werte und Ziele einzustehen. Handlungsoptionen sind durchaus vorhanden. Ein Paris-kompatibler Finanzplatz, ein CO2-Grenzausgleich, der die importierten und konsumbasierten Emissionen im Ausland reduziert sowie Staaten im Globalen Süden beim Klimaschutz unterstützen. 

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Autor:in: Cyril
Brunner
Cyril Brunner ist Klimaforscher an der ETH Zürich und schreibt als Gastautor Beiträge für das Go Green Magazin.
iac.ethz.ch
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