CO2-Kompensation - warum wir falsch denken

5 Minuten
25. August 2023

Die CO2-Kompensation ist schon lange zum Mainstream geworden. Wir kompensieren von Flügen bis zum Online-Shopping alles Mögliche. Viele meinen, sie hätten damit dem Klima einen Dienst erwiesen, es sei klimaneutral, also eine Netto-null-Emission. Das ist Greenwishing. Warum dieser Denkfehler vielen passiert – und das Kompensieren im schlechtesten Fall sogar zur Verschlechterung unserer Klimabilanz beiträgt.

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CO2-Kompensation

Der Klassiker: Ich fliege und lasse dafür Bäume pflanzen, die irgendwann das emittierte CO2 absorbieren – so einfach funktioniert das aber nicht.  Bild: istock.com/Go Green

Wer den neuen Laptop im Online-Handel für 600 Franken erstanden hat, bezahlt fünf Franken für die CO2-Kompensation. „Ich möchte meine Emissionen vollständig kompensieren, sowohl die Produktion und der Transport werden berücksichtigt“, heisst es da beispielsweise. Wir glauben, der Laptop sei durch die Kompensation klimaneutral. Das gibt ein gutes Gefühl. Und ist auf jeden Fall besser als nichts, denken wir..

Bei Flügen ist die Lust auf die Kompensation geringer. Bei der Lufthansa wird nur cirka jeder 50. Flug kompensiert, bei der Swiss sind es gegen 10 Prozent. Aber was ist nun klimaneutral? Und was bedeutet keine Emissionen, respektive eine Netto-null-Emission?

Beispiel 1: Keine CO2-Kompensation

Angenommen wir fliegen von Zürich nach New York. Nur schon der Hinflug schlägt mit einer Tonne CO2 zu Buche. Das ist gleichviel, wie beispielsweise ein Gasofen in Indien oder Afrika pro Jahr ausstösst. Wenn wir nicht kompensieren, sind das zusammen zwei Tonnen CO2.

Keine CO2-Kompensation

Beispiel 2: Wir vermeiden CO2 durch Kompensation

Unseren Flug nach New York wollen wir guten Gewissens geniessen. Also bezahlen wir dafür, dass andernorts der Gasofen durch eine Alternative ohne CO2-Emissionen ersetzt und damit eine Tonne CO2 nicht emittiert wird. Die Rechnung heisst hier aber nicht 1 minus 1 = 0, sondern 1 plus 0 = 1. Es wird immer noch eine Tonne CO2 ausgestossen, einfach an einem anderen Ort. Das CO2 in der Atmosphäre nimmt zu, das Klima erwärmt sich. Das nennt sich aber „klimaneutral“.

CO2-Vermeidung

Beispiel 3: Kompensation durch CO2-Entfernung – die Negativemission

Anders sieht es aus, wenn wir unseren Flug durch CO2-Entfernung kompensieren. Dann wird CO2 beispielsweise durch Direct Air Capture direkt aus der Luft gefiltert und tief im Boden in vulkanischem Gestein in Kalkstein umgewandelt und somit dauerhaft eingeschlossen. Das ist eine – im Moment noch teure – Negativemission. Es gibt am Ende in der Atmosphäre nicht mehr, sondern exakt gleichviel CO2, als ob ich nicht geflogen wäre. Wir erreichen so das Netto-null-Ziel.

Kompensation CO2-Entnahme

Bezahlst du, um CO2 zu kompensieren?

Drei Beispiele. Doch was passiert nun, wenn ich meinen Laptop kompensiere? Im Jahr 2021 wurden rund 90 Prozent aller CO2-Kompensationszertifikate für vermiedene Emissionen ausgestellt, also fürs Beispiel 2. In 9 Prozent der Fälle werden Bäume gepflanzt und in einem Prozent wird Humus im Boden aufgebaut, was auch CO2 speichert. Das ist ähnlich zum Beispiel 3. Ähnlich, weil es nur dann den gleichen Effekt hat, wenn der neue Wald so lange intakt bleibt, wie das kompensierte CO2 die Atmosphäre erhitzt. Also für Zehntausende von Jahren. Ohne Waldbrand. Ohne Abholzung.

Das Schulden-Beispiel

Wie unser Verstand tickt, und wir durch Kompensation sogar zu mehr Emissionen animiert werden, können wir auch anhand einer Schulden-Analogie aufzeigen. Angenommen, eine Kollegin und ich machen jedes Jahr Schulden (= Treibhausgasemissionen). Beispielsweise jeweils 10’000 Franken pro Jahr, also gesamt 20’000 Franken. Ob ich nun arbeiten gehe (= CO2-Entfernung, Beispiel 3), oder ob ich meine Kollegin animiere, Schulden nicht zu machen (= Emissionsvermeidung, Beispiel 2), hat jeweils denselben Effekt auf unsere Gesamtfinanzsituation ( = CO2-Ausstoss), solange wir beide noch Schulden machen.

Was aber auch klar ist: Indem ich andere animiere, weniger Schulden zu machen, kann unsere Gesamtfinanzsituation nie so ausfallen, dass wir insgesamt keine Schulden mehr machen. Wir kommen also nicht auf Netto-null. Dafür müsste entweder jeder von uns arbeiten gehen, oder jemand von uns müsste so viel Lohn erwirtschaften, dass dies die Schulden von beiden Personen ausgleicht.

Analog kommen wir global mit Emissionsminderungszertifikaten (wie in Grafik 2) nie auf Netto-Null, können also den Temperaturanstieg nie stoppen.

Die Einsparung wird zum grossen Anreiz

In unseren Köpfen läuft das heute aber meist anders. Weil wir die Kollegin animieren konnten, ihre Schulden nicht mehr zu machen, sehen wir uns nun als finanzneutral an (= klimaneutral), weil meine 10’000 Franken Schulden konnte ich ja kompensieren, indem meine Kollegin 10’000 Franken Schulden nicht gemacht hat. In der Realität würde diese Argumentation bei keiner Bank funktionieren.

Hinzu kommt: Durch vermiedene Schulden können wir die Gesamtfinanzsituation nur verbessern, falls sich die vermiedenen Schulden bei meiner Kollegin auf ihre bisherige jährliche Schuldenmenge beziehen, also die 10’000 Franken pro Jahr. und nicht auf neue Schulden, die sie gerne machen würde. Wenn meine Kollegin also vorhätte, ab nächstem Jahr 20’000 Franken anstelle von 10’000 Franken Schulden zu machen, ich sie aber dafür motivieren konnten, 10’000 Franken Schulden nicht zu machen, stehen wir immer noch gleich schlecht da. Das passiert in der Realität aber oft bei Kompensationen.

Noch schlimmer kommt es, wenn ich mich nun legitimiert fühle, meine jährlichen Schulden auf 20’000 Franken zu erhöhen, wobei ich die Hälfte davon als finanzneutral anpreisen dürfte. Dies wird als Rebound-Effekt bezeichnet und geschieht uns sehr häufig. Wir erhöhen in der Realität also die Menge an Treibausgasemissionen, fühlen uns aber besser und schmücken uns mit Klimaneutralitätslabel.

Bäume pflanzen

Frisch gepflanzte Bäume: Aber bis daraus ein Wald wird, der viel CO2 absorbiert, dauert es Jahrzehnte und der Wald muss dann für Jahrtausende bestehen bleiben – so lange wie das kompensierte CO2 die Atmosphäre erhitzt.  Bild: istock.com

Kompensationsprojekte ohne Effekt

Soweit das theoretische Konstrukt. Was auch passiert (zusätzlich zum oben Beschriebenen): Die Emissionsminderungen finden oft gar nicht statt. Eine Studie der ETH Zürich, der University of Cambridge und der Harvard-University zeigt, dass ungefähr 88 Prozent der existierenden freiwilligen Kompensationsprojekte nicht wirklich zu Emissionsreduktionen beitragen. Eine Studie kam sogar zum Schluss, dass bei Aufforstungsprojekten sogar weniger CO2 aufgenommen wurde, als es vor dem Eingriff der Fall war. Was beim Bäume pflanzen auch in Betracht gezogen werden muss. Selbst beim besten Projekt dauert es Jahrzehnte, bis der Wald viel CO2 einlagern kann. Wir konsumieren also auf Pump von der übernächsten Generation.

Und wenn die Kompensationsprojekte wie in der Studie zu 88 Prozent nutzlos sind, hiesse das dann, dass meine Kollegin neu 18’800 Franken Schulden macht. Wir sagen aber, dass wir 10’000 CHF ihrer Schulden verhindern konnten und ich dafür 20’000 Schulden machen darf, wobei 10’000 CHF finanzneutral sind. Am Schluss machen jährlich 38’800 Schulden, fühlen uns aber besser als zuvor. Die einzige Lösung ist, bei den CO2-Emissionen die gleichen Prinzipien anzuwenden, wie es die allermeisten von uns in der Realität bei den Finanzen auch tun: Erstens hat es reale Konsequenzen für uns, wenn wir uns stetig verschulden. Zweitens gehen wir arbeiten und verdienen so viel, wie wir ausgeben. Diesen Gedanken sollten wir bei jeder Handlung – ob es nun ein Einkauf oder eine Reise ist – zu Gunsten des Klimas beherzigen.

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Autor:in: Christian
Bürge
Der Journalist ist Co-Founder und Chefredaktor des Magazins
Go Green.
www.christianbuerge.com
Kommentare
  • Avatar-Foto Marina C.:

    Danke für diesen Artikel! Es ist mir tatsächlich erst jetzt bewusst geworden, welchen Denkfehler ich jahrelang gemacht habe!

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