Veganer Fleischersatz:
6 Behauptungen im Check

5 Minuten
13. November 2023

Gründe, weniger Fleisch zu essen, gibt es genügend. So hat sich der Absatz von Fleischersatz in den vergangenen Jahren im Detailhandel etabliert. Mit der steigenden Nachfrage sind diese Produkte aber auch vermehrt in die Kritik geraten. Die Ernährungsexpertin geht auf sechs Behauptungen ein – und entzaubert den einen oder anderen Mythos.

figure
Veganer Fleischersatz

Ein veganer Linsenburger – nicht ungesund und eine gute Proteinquelle.  Bild: istock.com

Egal ab ökologisch, gesundheitlich, ethisch oder religiös motiviert: Es gibt viele Gründe, weniger oder kein Fleisch zu essen und auf Fleischalternativen zurückzugreifen. Und gerade vor dem Hintergrund der Klimakrise und der tierischen Lebensmittelproduktion haben diese an Bedeutung gewonnen. Dank des Konsumtrends hin zu einer vermehrt pflanzlichen Ernährung hat sich der Absatz von 2016 bis 2020 sogar verdoppelt, auch wenn es immer noch ein Nischenmarkt ist.

Obwohl Fleischalternativen boomen, gibt es gleichzeitig viel Kritik. Mögliche negative Auswirkungen auf die Gesundheit werden diskutiert. Auf die häufigsten Behauptungen gehen wir ein. Ebenfalls zeigen wir, worauf bei der Auswahl von Fleischersatz & Co. zu achten ist.

Behauptung 1: «Alle Ersatzprodukte sind nichts anderes als ultrahoch-verarbeitete Fertigprodukte»

Auch wenn einige Alternativprodukte eine Reihe fragwürdiger Inhaltsstoffe aufweisen können, trifft das bei weitem nicht auf die gesamte Gruppe zu. Nicht alle Produkte sind hochprozessiert, sondern verwenden vollwertige Lebensmittel wie Bohnen, Zwiebeln oder Pilze, die zerkleinert und beispielsweise zu Patties gepresst werden. Wir müssen hier also genauer hinschauen, um welches Produkt es sich handelt. So hat auch eine Studie  der Albert Schweitzer Stiftung aus dem Jahr 2017 insgesamt 80 Fleischersatzprodukte mit den Original-Fleischprodukten sowie biologisch wie auch konventionell hergestellten verglichen. Sie fand heraus, dass Bio-Fleischalternativen im Schnitt nur einen Zusatzstoff pro Produkt aufwiesen und konventionelle im Schnitt 3,5 Zusatzstoffe. Das ist sehr wenig. Während die konventionelle Lebensmittelproduktion über 300 Zusatzstoffe erlaubt, sind es in der Bio-Lebensmittelproduktion nur noch etwa 50. Bio Suisse ist hier noch strenger und lässt davon nur noch zwei Drittel zu – und zwar nur produktspezifisch, nicht generell.

Der Lebensmittelchemiker Daniel Wefers meint zu diesem Thema „Man sollte solche Lebensmittel nicht per se verteufeln. Auch manche hochverarbeitete Lebensmittel können eine sehr gute Nährstoffzusammensetzung haben, müssen sie aber nicht. Natürlich sollte man Wert legen auf Obst und Gemüse. Aber es ist nichts falsch daran, wenn man zum Beispiel ein Vollkornbrot isst, das – wie heute viele Backwaren – industriell hergestellt wurde. Nur durch die Art der Herstellung wandelt sich das Brot nicht plötzlich von empfehlenswert zu ungesund“.

Zudem ist, gemäss Martin Smollich, Professor am Institut für Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein „gerade beim Blick auf vegane Fleischalternativen die Diskussion oft verzerrt: Es wird auf die hochverarbeitete Tofuwurst geschimpft, aber gleichzeitig vergessen, dass auch eine traditionelle Currywurst hochverarbeitet ist“.

Banane Chemie

„Da steckt nur Chemie drin“, heisst es bei Fleisch- und Käsealternativen oft. Wobei wir vergessen, dass auch eine Banane ein wildes Gemisch aus Chemikalien und Molekülen ist – obwohl sie natürlich ist.  Bild: istock.com

Behauptung 2: «Veganer Fleischersatz steckt voller schädlicher Chemie»

Obwohl Fleischalternativen chemisch sind, ist das grundsätzlich unproblematisch, denn sämtliche Materie um uns herum besteht aus Chemie, wir sind Chemie. Auch eine Birne ist ein wildes Gemisch aus Chemikalien und Molekülen obwohl sie unverarbeitet und natürlich ist. Oder wie es der Lebensmittelchemiker Daniel Wefers fomuliert: „Natürliche Lebensmittel mischt uns die Natur einfach hin. Aber das bedeutet ja nicht, dass da weniger Stoffe drin sind“. Schon immer war in der Lebensmittelverarbeitung viel Chemie im Einsatz. Beispielsweise um aus Milch den beliebten Käse herzustellen, aus Fleisch eine Wurst oder aus Hopfen, Malz Hefe und Wasser ein Bier zu brauen.

So werden auch gewisse pflanzliche Fleischersatzprodukte mit Hilfe von lebensmitteltechnischen Verfahren hergestellt, wie beispielsweise der Extrusion. Hier werden pflanzliche Proteine durch eine Düse gepresst, um eine ähnliche Struktur wie Fleisch zu erzeugen. Dieses texturierte Pflanzenprotein (TVP), beispielsweise auf Soja- oder Erbsenbasis, ist eine vielseitige Option für eine proteinreiche Ernährung.

Behauptung 3: «Die Fleischalternativen stecken voller Zusatzstoffe, die es zu vermeiden gilt»

Alle Zusatzstoffe werden sehr genau von Zulassungsbehörden geprüft und dürfen nur eingesetzt werden, wenn sie gesundheitlich unbedenklich und technologisch notwendig sind. Beispielsweise hat ein bewusst hergestellter und in kalkulierter Menge zugeführter Zusatzstoff ein kleineres Risiko als ein Schimmelpilz oder bakterielle Verunreinigungen, wovon die Konsument:innen nichts wissen können. Zusätzlich wird geprüft, wieviel Zusatzstoffe durchschnittlich mit der Ernährung aufgenommen werden, denn für jede Substanz gibt es eine akzeptable Höchstmenge. Ernähren wir uns also abwechslungsreich, sollten wir unter diesem Referenzwert bleiben.

Glaubst du, Fleischalternativen sind ungesünder als Fleisch vom Tier?

Veganer Fleischersatz

Bohnen und Co.: Manche Fleischersatz-Produkte sind nicht hochprozessiert, sondern es werden vollwertige Lebensmittel wie Bohnen, Zwiebeln oder Pilze zerkleinert und zu Patties gepresst.  Bild: istock.com

Behauptung 4: «Die lange Zutatenliste bedeutet schlechte Qualität»

Eine lange Zutatenliste bedeutet nicht pauschal einen höheren Verarbeitungsgrad oder schlechtere Qualität des Produktes. Dahinter können auch nur Zutaten wie Gewürze stecken. Hier ist zentral, welche Bestandteile, beziehungsweise Lebensmittelzusatzstoffe, enthalten sind. Ist aber die Konzentration der verwendeten Stoffe ungefährlich, ist es nebensächlich, wie viele Zutaten in einem Produkt enthalten sind. Zudem ist es unwahrscheinlich, von irgendetwas wirklich zu viel abzubekommen, wenn die Ernährung vielseitig ist.

Behauptung 5: «Fleischersatzprodukte sind grundsätzlich ungesund»

Aktuell gibt es zu wenig Studien, um klar sagen zu können, wie gesund oder ungesund Fleischalternativen sind. Viele der Ersatzprodukte ersetzen zwar nicht vollumfänglich die Nährstoffe ihres tierischen Pendants, weisen aber teilweise auch ein Mehr an gewissen wertvollen Inhaltsstoffen auf, wie beispielsweise Ballaststoffen. Nebst dem wertvollen Protein können aber auch andere Nährstoffe der Pflanze ins Produkt übergehen, wie Zink, Eisen und Magnesium. Zudem können die Alternativen weniger gesättigte Fettsäuren aufweisen, was vorteilhaft für die Gesundheit sein kann. Es handelt sich also nicht um leere Produkte.

Hochwertige Fleischalternativen können regelmässig genossen werden und sogar Teil einer insgesamt gesunden Ernährung sein. Tofu, Tempeh, Seitan und Quorn-Produkte aber auch Produkte auf Erbsen- und Lupinenbasis helfen, den Proteinbedarf zu decken. Vor allem bei pflanzenbasierten Ernährungsweisen. Ein weiterer Vorteil: Da sie geschmacklich sehr ähnlich sind, können sie den Fleischverzicht unterstützen. Denn gemäss nationaler Ernährungserhebung menuCH essen die Schweizer und Schweizerinnen mehr als das Dreifache der empfohlenen Menge an Fleisch, pro Kopf und Jahr durchschnittlich 50 Kilogramm – oder knapp ein Kilo Fleisch pro Woche.

Behauptung 6: «Fleischersatzprodukte sind gesund»

Gemäss dem Bundeszentrum für Ernährung sind „je nach verwendeter Ersatzbasis und der Verarbeitung die Produkte ernährungsphysiologisch sehr unterschiedlich zu bewerten. So konnten die Verbraucherschützer keine allgemein gültige Aussage zum Gesundheitswert treffen.“ Fakt ist, dass pflanzlich nicht automatisch gesund heisst. Zudem können hochverarbeitete Fleischalternativen ein Zuviel an Kalorien oder an gewissen Nährstoffen enthalten wie Salz und gesättigte Fettsäuren (beispielsweise aus Kokos- oder Palmfett).

Inhaltsstoffe Ersatzprodukte

Je nach Art des Alternativproduktes kann dieses mehr oder weniger gesättigte Fettsäuren aufweisen, was einen Einfluss auf den Cholesterinspiegel haben kann..  Bild: istock.com

Bewertungskriterien zur Orientierung

Auch wenn es zwischen den einzelnen Produkten grosse Unterschiede gibt, können einige Bewertungskriterien dir helfen, zukünftig Ersatzprodukte besser beurteilen zu können:

Einteilung von Lebensmitteln nach Energiedichte:

Niedrige Energiedichte = ≤ 150 kcal/100 g

Mittlere Energiedichte = > 150 bis ≤ 250 kcal/100 g

Hohe Energiedichte = > 250 kcal/100 g

 

Gesamtfettgehalt:

Niedriger Gehalt: ≤ 3,0 g / 100 g

Mittlerer Gehalt: > 3,0 – 17,5 g / 100 g

Hoher Gehalt: > 17,5 g / 100 g

 

Gehalt an gesättigten Fettsäuren:

Niedriger Gehalt: ≤ 1,5 g / 100 g

Mittlerer Gehalt: > 1,5 g – 5,0 g / 100 g

Hoher Gehalt: > 5,0 g / 100 g

 

Gehalt an Salz:

Niedriger Gehalt: ≤ 0.3 g / 100 g

Mittlerer Gehalt: > 0.3 g – 1.5 g / 100 g

Hoher Gehalt: > 1.5 g / 100 g

 

Die Menge macht das Gift

Wichtig ist, dass der Fokus auf einer ausgewogenen und gesunden Gesamternährung liegt, statt auf einzelnen Inhaltsstoffen und Nahrungsmitteln. Jedenfalls kann der Ersatz von Fleisch durch pflanzliche Alternativen aus verschiedenen Gründen sinnvoll sein und helfen, den Proteinbedarf zu decken. Und je nach Art des Alternativproduktes ist dieses weniger oder mehr verarbeitet, weshalb eine pauschale Bewertung nicht möglich ist. Auf jeden Fall dürfen auch hochverarbeitete Fleischalternativen genossen werden. Oder wie es die Schweizerischer Gesellschaft für Ernährung (SGE) formuliert: „Es gibt keine verbotenen Lebensmittel. Die Kombination der Lebensmittel im richtigen Verhältnis macht eine ausgewogene Ernährung aus.“ Und wie diese aussehen könnte veranschaulicht bildlich die Schweizer Lebensmittelpyramide.

Wir inspirieren mit Go Green – hilf mit!

Die Produktion dieses Beitrags hat einiges gekostet.

Als Leser: in von Go Green konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos aber ohne Bezahlschranke. Das ist gut so und soll so bleiben. Denn wir wollen so viele Menschen wie möglich über Nachhaltigkeit und die besten Zukunftslösungen informieren und inspirieren. Mit einem kleinen Betrag hilfst du uns, damit wir allen weiterhin ein spannendes Angebot zeigen können.

PS: Das geht – beispielsweise mit Twint – sehr schnell und einfach!

Vielen Dank für deine Unterstützung!


base iframe
Autor:in: Sylwia
Petridis
Die Autorin ist zertifizierte vegane Ernährungsberaterin und leidenschaftliche Köchin.
Kommentare
Bewertungen
Bewertungen: