Künstliche Intelligenz hilft beim Klimaschutz - und verprasst selbst Energie

4 Minuten
29. Februar 2024

Künstliche Intelligenz treibt den Klima- und Umweltschutz voran und fördert die Kreislaufwirtschaft. Das zeigen unter anderem Beispiele aus der Schweiz. Eine gute Sache, wäre da nicht der immense Energiehunger von KI, der die Bemühungen bisher praktisch wieder zunichte macht. Doch erste Lösungen für dieses Dilemma zeichnen sich bereits ab.

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Künstliche Intelligenz Klimaschutz

Künstliche Intelligenz kann uns in vielen Bereich helfen – auch beim Klimaschutz ist grosses Potential zu Einsparungen da.  Bild: istock.com

Cyberkriminalität, Wahlmanipulation oder Biowaffen – der Boom der künstlichen Intelligenz und ihr Risikopotenzial löst selbst bei Open AI Chef Sam Altman ein mulmiges Gefühl aus. So warnte er jüngst an einer Veranstaltung des Chip-Herstellers Intel vor den negativen Auswirkungen auf Wahlen oder den Risiken bei Cybersicherheit und Biowaffen. KI werde «keine nur gute Geschichte sein». Damit sprach er aus, was viele von uns denken.

Positive Entwicklung hat längst begonnen

Bereits vor einem Jahr forderten namhafte Wissenschaftler und Unternehmen in einem offenen Brief eine KI-Pause und die Etablierung gemeinsamer Sicherheitsprotokolle für fortschrittliche KI. Es steht ausser Frage, dass ethische, moralische und rechtliche Fragen zwingend und vor allem zeitnah geklärt werden müssen. Nichtsdestotrotz ist die aktuelle Entwicklung von KI-Anwendungen enorm spannend und kann gerade mit Blick auf Klima- und Umweltschutz Hoffnung machen.

Auch Sam Altman zeigte sich im Gespräch mit Intel-Chef Pat Gelsinger überzeugt, dass KI unter dem Strich eine positive Entwicklung ermöglichen werde und nannte als Beispiele etwa die massiv beschleunigte Forschung oder das Heilen von Krankheiten. Fakt ist: Während viele von uns sich noch über die fragwürdigen Antworten von ChatGPT und Co. lustig machen, nutzen Forschende und Unternehmen KI längst, um Prozesse und Dienstleistungen smarter zu machen. Und insbesondere in Sachen Nachhaltigkeit bergen KI-Anwendungen grosses Potenzial, wenn es um das Sparen von Energie und Ressourcen geht.

16 Prozent weniger CO2-Emissionen innert fünf Jahren

Eine Studie des Capgemini Research Institute zeigte bereits 2020, dass Unternehmen unter anderem aus der Autobranche, der Energie- und Versorgungswirtschaft, der Konsumgüterindustrie und des Einzelhandels allein durch KI-gestützte Anwendungen ihre Treibhausgas-Emissionen innert drei bis fünf Jahren um 16 Prozent reduzieren könnten. «Basierend auf den Studienergebnissen gehen wir davon aus, dass KI-getriebene Anwendungsfälle das Potenzial haben, Unternehmen bis zum Jahr 2030 dabei zu helfen, bis zu 45 Prozent ihres Emissionsreduktionsziels nach dem Pariser Klimaabkommens zu erreichen», schreiben die Autoren.

Insbesondere in der Wärme- und Kälteversorgung von Gebäuden birgt KI grosses Potenzial. Zumal das Heizen und Kühlen den mit Abstand grössten Posten beim Energieverbrauch von Gebäuden ausmacht. Gemäss Bundesamt für Energie (BFE) entfallen rund 40 Prozent des Schweizer Energiebedarfs die Gebäude, wobei das Heizen wiederum rund 70 Prozent des Energieverbrauchs beansprucht.

Reduktionspotential künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz kann gemäss einer Studie in diversen Bereichen grosse Mengen an Emissionen einsparen.  Bild: Capgemini

Lernfähige Heizungen und clevere Gebäude

Geht es ums optimale Heizen, ist der Mensch salopp gesagt die Schwachstelle, denn die meisten von uns haben anderes zu tun, als ständig am Heizregler rumzudrehen. Und selbst wenn wir das täten, würde dabei kaum ein optimales Heizergebnis herauskommen.

Anders wenn KI der Heizung Intelligenz einhaucht und sie selbst die Raumtemperatur regelt. Viboo, ein Spin-off der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa), hat einen selbstlernenden Algorithmus für intelligente Thermostate entwickelt. Bei Testläufen konnte die smarte Heizung bis zu 40 Prozent Energie sparen. Abhängig ist das unter anderem vom Alter der Heizung, der Isolation des Gebäudes und dem Wetter. Auch die Berner Firma Cleveron will Heizenergie sparen, indem sie insbesondere Geschäftsgebäude, Hotels, Schulen und andere öffentliche Gebäude mithilfe von Sensoren und smarten Thermostaten intelligent macht. «Mit dem selbstlernenden System lässt sich bei bestehenden Gebäuden innert eines Tages bis zu 30 Prozent Energie einsparen», schreiben die Entwickler auf ihrer Website.

Gewaltiges Potential

Das BFE avisiert pro Quadratmeter bis 2050 einen 55 Prozent tieferen Energieverbrauch (Wärme und Elektrizität) des Gebäudeparks gegenüber 2010. Professor Adrian Altenburger, Instituts- und Studiengangleiter für Gebäudetechnik und Energie an der Hochschule Luzern (HSLU) schätzt, dass die Reduktion mit dem Einsatz von KI sogar eher bei 60 Prozent liegen dürfte. «Zum jetzigen Zeitpunkt, da wir es noch mit vielen Altbauten zu tun haben, ist es aber durchaus realistisch, dass nur schon KI-basierte Heiz- und Kühlsysteme im Idealfall 40 Prozent Energie einsparen können. Mit den immer moderneren Gebäuden nimmt dieses Potenzial jedoch ab.»

Smarter Wäsche waschen und Ressourcen sparen

Nicht nur Start-ups oder Big Player wie ABB, Nestlé und die Tech-Giganten selbst nutzen KI, um energieeffizienter zu werden oder Störungen und Leckagen in Industrieanlagen zu reduzieren, auch lokale Unternehmen und KMU haben das Potenzial längst erkannt. Die Grosswäscherei Bardusch reinigt an ihrem Hauptstandort in Basel täglich 32 Tonnen Schmutzwäsche aus Spitälern sowie Pflege- und Altersheimen. Neu helfen sechs Roboter dabei, Energie, Wasser, Waschmittel und Chemikalien zu sparen und die Lebensdauer der Textilien zu verlängern. Vereinfacht gesagt, scannen die Roboter die Kleidungsstücke vor dem Waschen auf vergessene Gegenstände wie Klemmen, Scheren, Kugelschreiber oder etwa Kreditkarten. Diese Dinge würden beim Waschen die Kleidung schädigen oder im Fall von Kugelschreiber-Tinte einen zweiten Waschgang nötig machen. Dank dem Einsatz von KI können die Schäden an der Kleidung um 90 Prozent reduziert werden, schreibt das Unternehmen.

KI fördert die Kreislaufwirtschaft

Die Schweizer Stiftung SENS eRecycling hat ein KI-Modell namens «SENS AI» entwickelt. Es erkennt Elektroschrott automatisch und soll mehr Transparenz in den Warenstrom von Haushaltskleingeräten bringen. In einem weiteren Schritt können diese Daten mit zusätzlichen Faktoren kombiniert werden, sodass beispielsweise Aussagen über die Wiederverwertbarkeit von Geräten und Materialen gemacht werden können. Auch PET-Recycling Schweiz ist jüngst auf den KI-Zug aufgesprungen, um das Recycling von PET-Getränkeflaschen im geschlossenen Kreislauf weiter zu fördern.

KI Sens AI

Künstliche Intelligenz: Das KI-Modell „Sens AI“ erkennt Elektroschrott automatisch – künftig kann so eventuell auch die Wiederverwertbarkeit festgestellt werden.  Bild: Sens AI

In Deutschland forscht das Start-up circular.fashion an einer Altkleider-Sortierung, die mit KI-gestützter Spektroskopie und Bildanalyse die Sortierung für die Secondhand-Nutzung und das Faser-zu-Faser Recycling ermöglichen. Gerade Letzteres ist aufgrund von Mischgeweben eine bis heute ungelöste Herausforderung in der Textilindustrie. Bedenkt man, dass die Branche jährlich 1,2 Milliarden Tonnen Treibhausgas-Emissionen verursacht, ist die Kreislaufwirtschaft nebst der ökologischeren Produktion und Verwendung umweltfreundlicherer Materialien ein unverzichtbarer Teil der Lösung.

Auch und gerade für Kunststoffabfälle laufen längst Projekte, welche die Recycling-Quote massiv erhöhen und eine Wiederaufbereitung der verschiedenen Plastiksorten ermöglichen sollen, wie etwa das Beispiel RecycleBot zeigt.

Wer sich für KI-Leuchtturmprojekte interessiert, die sich für Klima- und Umwelt einsetzten, findet auf der Website der Gesellschaft «Zukunft, Umwelt, Gesellschaft» kurz ZUG eine spannende Übersicht zu laufenden Projekten – allerdings auf Deutschland beschränkt.

Rechenzentrum kuenstliche Intelligenz

Rechenzentren verbrauchen aufgrund von KI-Anwendungen noch viel mehr Energie.  Bild: istock.com

Die Krux mit der energiefressenden künstlichen Intelligenz

Es gäbe zig weitere Beispiele. So lassen sich etwa mit KI-basierten Lösungen in der Landwirtschaft enorme Mengen Wasser, Pestizide und Düngemittel sparen. Die Organisation Rainforest Connection setzt KI bereits als Waldwächter gegen illegale Rodungen ein. Erkennt die KI Rodungsgeräusche wie Kettensägen oder LKWs, warnt sie die Behörden. KI ermöglicht auch bessere vorhersagen von Extremwetterereignissen und Klimaveränderungen. Doch so vielversprechend KI-basierte Anwendungen in den unterschiedlichen Branchen auch sein mögen, muss erst noch das Dilemma des enormen Energiebedarfs der künstlichen Intelligenz gelöst werden.

Die Internationale Energieagentur (IEA) geht in ihrem aktuellen Bericht vom Januar 2024 davon aus, dass der Energiebedarf der Rechenzentren aufgrund von KI-Anwendungen und Krypto-Prozessen bis 2026 im Extremfall von 460 Terrawattstunden (TWh) im Jahr 2022 auf bis zu 1050 TWh steigen könnte. Die zusätzlichen 590 TWh entsprechen mehr als zehnmal dem Jahresverbrauch der Schweiz mit rund 57 TWh.

Energie sparen in den Rechenzentren hilft nur bedingt

Auch hierzulande ist der Mehrbedarf an Energie für die Rechenzentren immens, zumal die Schweiz in Europa quasi eine Rechenzentrum-Hochburg darstellt. 2019 verbrauchten Rechenzentren hierzulande noch 2,1 TWh Strom. Adrian Altenburger schätzt, dass bis 2030 der Stromverbrauch in den Schweizer Rechenzentren aufgrund des Zubaus und insbesondere neuer KI-Anwendungen auf 8 TWh steigen dürfte. Das entspricht rund 15 Prozent des gesamtschweizerischen Strombedarfs. Und das mögliche Sparpotenzial von gut 45 Prozent durch Effizienzmassnahmen in bestehenden Rechenzentren hat er dabei bereits berücksichtigt.

Altenburger kennt strategische aber auch viele operative Massnahmen, mit denen sich der Energieverbrauch von Rechenzentren reduzieren lässt: «Das ist insbesondere eine Frage des Standorts. Beispielsweise kann man Seewasser zur freien Kühlung nutzen, sodass keine zusätzliche mechanische Kältemaschine benötigt wird. Auch lässt sich die Abwärme von Rechenzentren in dichtbesiedelten Städten am effizientesten nutzen.» Und – anders als auf der grünen Wiese – sei in der Stadt die nötige Starkstrom- und Kommunikationsinfrastruktur meist bereits vorhanden. Ebenso können Rechenzentren mithilfe adiabatischer Kühlung, auch Verdunstungskühlung genannt, betrieben werden, im Idealfall auch ohne stromintensive Kältemaschine. «Das braucht wesentlich weniger Energie als die gängigen Methoden. Dafür braucht es im Rechenzentrum aber höhere Temperaturen von rund 27 Grad Celsius statt der rund 22 Grad, welche die meisten Betreiber in den Rechenzentren haben.»

Künstliche Intelligenz muss selbst Energie sparen

Der mit Abstand grösste Hebel, um den Energieverbrauch zu reduzieren, ist die Hard- und Software der KI selbst. Dafür werden bereits neuartige Chips entwickelt. Beispielsweise sind im Supercomputer Spinnaker 2 der Technischen Universität Dresden sogenannte neuromorphe Chips verbaut. Die Arbeitsweise der Chips könne 90 Prozent Energie sparen, verglichen mit heutigen Supercomputern, sagt Professor Christan Mayr, der den Chip mitentwickelt hat, gegenüber der NZZ.

Intensiv geforscht wird auch an Memristoren (von Memory/Speicher und Resistor/Widerstand) die in den Chips verbaut werden. Sie ermöglichen es, die gigantischen Datensätze direkt im Speicher zu verarbeiten, statt sie wie heute üblich vom Speicher zum Prozessor zu schieben, dort zu verarbeiten und wieder zurückzuschieben. Just dieser Prozess ist ein wahrer Energiefresser.

Letztlich lassen sich für Bereiche, in denen weniger genau Berechnungen bereits ausreichen, einfachere Rechenprozesse ausführen, die auch weniger Energie benötigen. Dafür müssen jedoch die Chips angepasst oder entsprechende Algorithmen programmiert werden. Und selbst mit allen Effizienzmassnahmen darf der Rebound-Effekt nicht unterschätzt werden. Ein grosser Teil der dereinst eingesparten Energie wird wohl direkt in neue KI-Anwendungen fliessen.

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Autor:in: Sabina
Galbiati
Sabina Galbiati ist Journalistin und Nachhaltigkeits-Expertin. Sie hat das Buch "101 Antworten für deinen nachhaltigen Alltag" geschrieben.
www.sabinagalbiati.ch
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