Der Schauspieler, Musiker und Klimaaktivist Michael Schoch: „Wenn wir übers Klima reden, müssen wir auch über Suffizienz reden.“ Bild: Nicole Philipp
Michael Schoch: Es war ein grossartiges Abenteuer, das direkt vor der eigenen Haustüre begann. Dadurch, dass ich eine Strecke in der Form eines Herzens durch die Schweiz gefahren bin, gelangte ich an Orte, an denen ich noch nie war. Die meiste Zeit war ich im Wald und in der Natur unterwegs. Die Idee mit dem Herz entstand kurzfristig, weil ich der Meinung bin, dass wir in dieser Klimadiskussion mehr Liebe und Miteinander brauchen, damit wir die Krise lösen können. Es entstanden viele spannende Gespräche. Wenn du mit den Leuten direkt redest, passiert bei beiden etwas.
„Mich interessieren Menschen, die ihr Glück fernab von Konsum und Besitz gefunden haben“
Bei dieser Tour bin ich unterwegs mit dem Fahrrad und Gitarre auf der Suche nach der Begegnung mit dem einfachen Leben. Dabei interessieren mich Menschen, die ihr Glück fernab von Konsum und Besitz gefunden haben. Ich möchte mit diesen Menschen in den Dialog kommen und mich mit ihnen über die Frage unterhalten: Was und wie viel brauchen wir wirklich für ein gutes Leben? Mit den gesammelten Erzählungen möchte ich ein Bühnenprogramm entwickeln, worin ich die Geschichten dieser Begegnungen erzähle. Das interaktive Stück soll besonders auch den Diskurs über politische Lager und Meinungen hinaus ermöglichen.
„Erst müssen wir uns fragen, was wir brauchen. Erst danach kommt die Technologie“
Weniger! Denn ich bin persönlich überzeugt, dass wenn man über Klimaproblematik und andere grosse Themen, wie globale Ungerechtigkeit und andere Krisen spricht, dann kommen wir eigentlich nicht daran vorbei, über Suffizienz zu sprechen.
Wie beurteilst du deinen persönlichen Konsum?
Die Wirtschaft präsentiert uns neue, effiziente Technologien, richtig. Effizienz brauchen wir auch, damit wir die Krise lösen können. Und wir brauchen auch alternative Technologien. Aber was aus meiner Sicht in unseren Breitengraden prioritär wäre, ist Suffizienz. Erst müssten wir uns fragen: Was brauchen wir wirklich? Und erst in einem zweiten Schritt: Welches ist die passende Technologie? Das Thema Suffizienz wird meiner Meinung von der Politik und der Wirtschaft wie eine heisse Kartoffel angefasst und herumgereicht. Niemand möchte darüber sprechen, denn Verzicht und Suffizienz sind negativ besetzt.
„Es gibt ein anderes Leben, welches leichter, schöner und einfacher ist“
Ich möchte eine Vision eines anderen Lebens über Geschichten transportieren und zeigen: Es gibt ein anderes Leben, welches leichter und somit schöner und einfacher ist. Mit meinem Programm möchte ich zum Aufbruch inspirieren und zu dem gesellschaftlichen Wandel, den wir brauchen.
Mein Engagement für die Zukunft und die Natur geht bis in die Kindheit zurück. Ich bin mit dem Fahrrad auf dem Land aufgewachsen. Ich hatte somit den Praxisbeweis, dass man auch auf dem Land ohne Auto überlebt und glücklich sein kann. So wurde das Fahrrad zu meinem liebsten Fortbewegungsmittel. Später studierte ich Agronomie und habe als Nachhaltigkeitsberater im internationalen Arbeitsumfeld gearbeitet. In diesem Zusammenhang war ich in Nicaragua und habe dort an der Studie mitgearbeitet und auch dort gelebt. Nicaragua war und ist bis heute ein sehr armes Land, entsprechend habe ich dort mit sehr wenig gelebt. Das war eine sehr bereichernde Lebenserfahrung.
Wenn kein Geld da ist, stellt man sich nicht die Frage, wo man am Wochenende hingehen möchte. Niemand hatte Geld. Daher ist man zusammengesessen, hat geredet und etwas getrunken. Da in Nicaragua allgemein viel weniger Geld im System ist, lief mein Leben dort viel weniger heiss. Der Wert von Begegnungen und sozialen Netzwerken war viel höher. Und die Menschen haben sich weniger weit herumbewegt. Sie sind lokal unterwegs.
Klimaaktivist Michael Schoch: „Jeder Mensch sollte sich selber überlegen: Was ist mir wichtig und was könnte ich weggeben?“ Bild: Nicole Philipp
Michael Schoch: Nein gar nicht. Ich ging mit zwei Koffern nach Nicaragua und das war alles, was ich in diesem Jahr brauchte. Es war wie Tabula rasa mit allem hier, mit all meinen Engagements, die ich hier am Laufen hatte, meinen Bands und Theaterprojekten. Ich ging nach Nicaragua und konnte von vorne anfangen in jeder Hinsicht. Ich nahm mit, was in zwei Koffer passte. Ein paar Kleider – und auch das war eigentlich noch zu viel. Ich hatte meinen Fokus auf der Arbeit in Nicaragua und auf das soziale Netzwerk dort. Und es hat mir an nichts gefehlt.
„Jeder Mensch soll sich fragen: Was brauche ich für ein gutes Leben?“
Auf der Tour kommen verschiedene Sachen zusammen. Die Erfahrung in Nicaragua, die Erfahrung in der internationalen Arbeit, mein Engagement für das Klima, meine Liebe zum Fahrrad und meine Leidenschaft für die Bühne und die Musik. Ich merke, was für mich auf der Bühne wertvoll ist, und das ist eigentlich der kleine Rahmen, die Gelegenheit Menschen zu begegnen, mit ihnen Zeit zu verbringen und über Nachhaltigkeit und Suffizienz zu reden. Dieser persönliche Austausch ist sehr wichtig, denn aus meiner Sicht ist es ein individueller Prozess. Ich möchte niemanden vorschreiben, was für den Menschen genug ist. Viele Menschen wissen, dass sie zuviel konsumieren. Und ich höre im Gespräch immer wieder ein Aufatmen beim Gedanken, dass weniger auch genug sein könnte. Ich sehe es als Prozess, in dem wir alle drinstecken. Jeder Mensch sollte sich selber überlegen: Was ist mir wichtig und was brauche ich wirklich für ein gutes Leben?
„Ich will die Leute mit positiver Ausstrahlung anstecken“
Wichtig ist für mich folgendes: Wenn ich an einem Seil ziehe, gibt es immer einen Gegenzug. Ich will aber meine Energie nicht mehr in den Widerstand stecken, sondern in mich und mein Umfeld investieren. Ich will mit positiven, visionären Geschichten und einer gesunden Ausstrahlung anstecken. Denn was leuchtet wie eine Sonne ist anziehend. Wir kommen nicht darum herum, dass die Politik agiert und dass es Verbote und Vorschriften gibt, denn die brauchen wir auch für das Zusammenleben. Aber diese werden auch eher legitimiert oder möglich, wenn das Momentum in der Gesellschaft da ist.
Ja, das stimmt. Ich werde immer wieder mit Materialismus konfrontiert. Ich bin absolut kein Minimalist, aber ich spüre jedesmal grosse Erleichterung, wenn ich mit einem vollgepackten Cargobike zum Brocki fahre. So schön es auch ist, sich etwas Neues zu kaufen und so schnell es heutzutage auch geht, so sehr erlebe ich auch die Belastung, sich um all die Dinge zu kümmern. Für mich ist das nicht nur bei Gegenständen ein Thema, sondern auch im Beruf. Ich bin oft der Versuchung erlegen, neue Projekte an die Hand zu nehmen, die auch noch spannend und wichtig sein könnten. Ich bin tagtäglich mit meiner Frage „Wie wenig ist genug?“ konfrontiert. Dann versuche ich mir zu sagen, wann genug ist und was jetzt im Fokus steht und so bewusst auch zur Ruhe zu kommen. Das ist auch wichtig, um gesund zu bleiben. Resilienz ist ein wichtiges Thema.
„Mein Sohn ist fasziniert von Luxusgütern“
Sie gehen sehr unterschiedlich damit um. Mein 13-jähriger Sohn ist völlig fasziniert von Luxusgütern und interessiert sich für die nächste Markentasche. Das ist momentan sein Hauptinteresse. Für mich ist das eine Herausforderung, denn ich finde das absolut unnötig. Aber ich stehe dann da und sage mir: Das ist im Moment wichtig für ihn und ich respektiere das auch. Ich sage ihm auch meine Meinung. Dass ich es unnötig finde und wie es läuft hinter den Kulissen der Mode- und Luxusgüterindustrie. Ich nehme solche Situationen zum Anlass, um über diese Themen zu sprechen. Meine Tochter ist ganz anders. Sie macht regelmässig einen Stand, um Geld zu sammeln für den WWF. Jeder Franken wird auf die Seite gelegt und gespendet. So unterschiedlich sind sie. Das ist auch für mich als Vater ein Lehrstück in Akzeptanz, Respekt und Geduld.
Ich hatte schon vor meinem Projekt, welches von Clima Now unterstützt wird, den Eindruck, dass der Konsum und das unglaubliche Tempo unseres Lebens vielen Menschen zuviel ist. Ich hatte oft Begegnungen, wo Menschen sagten: Eigentlich reicht es uns. Daher denke ich, der Boden ist da für eine Diskussion über die notwendige Transformation. Und das über die politischen Lager hinaus.
„So weiter wie bisher – einfach nachhaltig – reicht nicht“
Es muss sich etwas ändern. Denn mit dem jetzigen System muss die Wirtschaft wachsen und in der letzten Konsequenz muss das Unternehmen ein globales Monopol erreichen und alle Konkurrenz vom Markt verdrängen. So weiter wie bisher – einfach nachhaltig – reicht nicht. Grenzenloses Wachstum überfordert unseren Planeten, alle Ressourcen und alles, was darauf lebt. Auch den Menschen. Ich wäre daran interessiert zu schauen, was passiert, wenn ausgehend von kleinen Communities experimentell andere, suffiziente Lebens- und Wirtschaftsformen gelebt werden. Und so Wirtschaft und Politik plötzlich herausgefordert wären, mit dieser neuen Situation umzugehen. Beispielsweise wenn wir sagen würden, wir möchten Werbung verbieten. Dann ist die Wirtschaft vor der neuen Herausforderung, wie sie ihre Produkte verkaufen kann, ohne dass sie ihre Produkte in der Werbung anpreist. Oder eben, wie sie mit schrumpfenden Märkten umgeht. Hier sehe ich durchaus ein gesellschaftliches Potential, gleich heute im Kleinen loszulegen.
„Ich stelle mir vor, dass wir uns wieder in kleineren Räumen bewegen“
Ich stelle mir vor, dass wir uns wieder in kleineren Räumen bewegen. Die globale Dimension ist zwar spannend, aber ich glaube, dass wir Menschen eigentlich eher fähig sind in kleinen Räumen und kleineren «Communities» zu leben. Als Analogie gibt es ein Beispiel bei den Tieren. Maximal 120 Kühe pro Herde sind ideal. Bei dieser Grösse kennen sich die Kühe untereinander. Wenn es mehr sind, dann begegnen sich immer wieder neue Kühe auf der Weide und das bedeutet permanenten Stress für die Tiere.
Bei den Menschen gibt es diese Zahl auch irgendwo. Da stellt sich die Frage: Wie viele enge Freunde können wir pflegen und wie viele lose Freundschaften haben wir? Mit wie vielen Menschenkönnen wir zusammenarbeiten, Geschäfte betreiben? Es ist wohl weit unter der Zahl, die wir als Follower auf den Social-Media-Kanälen haben. Ich erlebe es so, dass in kleineren Räumen mehr Begegnung und engere Beziehungen möglich sind und damit auch ein ganz anderes Level an Vertrauen vorhanden ist. Das ist meine Vision: Kleinere Räume, mehr Zeit für Begegnung und dadurch untereinander ein vertrauensvolles Zusammenleben. Und dass solche Gemeinschaften gleichzeitig in nachbarschaftlichen Beziehungen in einem globalen Gefüge eingebettet und nicht abgeschottet sind.
„Vielleicht sollten wir soviel besitzen, wie wir tragen können“
Hierzu habe ich eine schöne Anekdote: Auf einer meiner Touren habe ich in Einsiedeln ein paar Pilgerinnen getroffen, als ich dort im Kloster in einem Pilgerzimmer übernachtete. Ich habe mich mit ihnen über genau dieses Thema unterhalten. Ihre Antwort auf diese Frage war: «So viel wie in einen Rucksack passt». Das finde ich ein schönes Bild. Denn das ist so viel, wie man selber tragen kann. Es ist sehr unterschiedlich und individuell, was für eine Person genug ist. Darum finde ich diese Metapher sehr stimmig.
Durchaus! Und ich möchte diesen Optimismus weitergeben und dazu inspirieren. Ich glaube, wir leben in einem Schlaraffenland an Ideen, Möglichkeiten und Potentialen. Die Frage ist, wie wir in Zukunft gut und gerecht auf einem globalen Niveau leben können. Eigentlich ist alles da.
Michael Schoch ist ein Singer-Songwriter und Geschichtenerzähler aus Bern. Zur Zeit recherchiert er für ein interaktives Bühnenprogramm zur Frage: Wie wenig ist genug?
Wow und Danke.
Danke für dieses schöne Interview! Michael bringt es auf den Punkt: Visionen vorleben und ausstrahlen. Es gibt immer Menschen, die dann folgen.