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Der Plastiksack ist nachhaltiger: Mythen auf dem Prüfstand

3 Minuten
28. Juni 2021

Wie lebe und konsumiere ich nachhaltig? Die Umweltingenieurin und Nachhaltigkeitsexpertin Martina Wyrsch entzaubert ein paar Behauptungen über Plastik und Co. und klärt auf.

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Baumwolle statt Plastik: Tönt gut, die Energiebilanz spricht aber für den Plastiksack.

Bild: istock.com/twinsterphoto

Der Baumwollsack ist besser als der Plastiksack.

Leider nicht. Denn Baumwolle ist extrem energie-, wasser- und flächenintensiv. Wir müssen den Sack oft brauchen, bis er in der Bilanz besser ist als ein Plastiksack. Am besten ist es sowieso, wenn man auch Plastiktüten mehrmals braucht. Bei mir zuhause sammeln sich die Baumwollsäcke, von denen ich keinen einzigen gekauft habe. Sie wurden mir da und dort geschenkt. Mein eigener Tütenfussabdruck ist also schon ziemlich im Argen. Und da bin ich wahrscheinlich nicht die Einzige.

„Ein Apfel aus Neuseeland kann nachhaltiger sein“

Ein Apfel aus der Schweiz ist immer nachhaltiger als einer aus dem Ausland.

Das stimmt leider nicht immer und hängt davon ab, wo Äpfel gerade Saison sind. Kaufe ich im Frühjahr einen Apfel aus Neuseeland oder Chile, kann dieser nachhaltiger sein als ein Schweizer Apfel. Weil wir den über Monate im Schweizer Kühlhaus unter speziellen Bedingungen lagern. Der Energieverbrauch dafür ist sehr hoch und übersteigt jenen für den langen Transport.

Die Gurke im Plastik schadet der Umwelt mehr.

Das ist ein grosses Missverständnis. Durch in Plastik verpackte Lebensmittel ergeben sich viel weniger Nahrungsmittelverluste. Im Falle der Gurke kann der Verlust halbiert werden. Bei Nahrungsmitteln spielt die Verpackung daher eine wichtige Rolle, weil sie den Inhalt schützt und dadurch länger haltbar macht. Bei den Umweltauswirkungen der Ernährung spielen Verpackungen nur eine untergeordnete Rolle. Sie machen nur etwa 1 Prozent aus. Das heisst aber nicht, dass wir nicht über Sinn oder Unsinn von Plastik-Verpackungen reden sollten. Ich finde einfach, dass beim Thema Plastik der Blickwinkel meistens zu eng angesetzt wird und es wichtig wäre, ebensolche Zusammenhänge aufzuzeigen.

„Produkte aus Kuhmilch schneiden durchs Band schlechter ab“

Kuhmilch-Käse aus der Schweiz ist nachhaltiger als veganer Käse aus Cashew-Nüssen aus Vietnam.

Das stimmt auch nicht. Der Ressourcenverbrauch bei der Milchproduktion ist sehr hoch und die klimaschädlichen Emissionen ebenfalls! Gemäss Berechnungen von Eaternity stösst die Produktion von Camembert aus Kuhmilch verglichen mit einem aus Cashew rund 2.5 mal mehr CO2 aus. Wichtig ist dabei, wie extensiv oder intensiv die Nüsse angepflanzt werden. Da unterscheiden sich die Herkunftsländer. Produkte aus Kuhmilch schneiden im Vergleich mit Produkten auf pflanzlicher Basis durchs Band schlechter ab. Der Grund liegt darin, dass im Verdauungsprozess der Kühe klimaschädliche Gase entstehen. Weiter problematisch ist die Futtermittelproduktion, die alles andere als nachhaltig ist, da dazu im grossen Stil Soja in Monokulturen angebaut wird. Und weil das Soja sozusagen den Weg durchs Tier zurücklegen muss, ist das Ganze ein höchst ineffizienter Prozess und ein gewaltiger Aufwand, bis das Glas Milch auf dem Tisch steht. Ein Ökobilanz-Vergleich zwischen Hafermilch, Sojamilch, Mandelmilch und Kuhmilch zeigt, dass Hafermilch eindeutig am besten abschneidet. Sie wirkt sich 70 Prozent weniger auf die Umwelt aus als Kuhmilch, verbraucht auch nur 40 Prozent der Energie.

Die Umweltingenieurin Martina Wyrsch: „Wir müssen viel bewusster konsumieren.“

Bild: zvg

Sonnen- und Windkraftwerke sind nutzlos, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint.

Photovoltaik funktioniert auch, wenn es bedeckt ist. Bei der Windkraft stimmt es natürlich, aber die werden ja auch nicht an Standorten aufgestellt, wo der Wind nicht weht. In Zukunft wird es wichtig sein, die verschiedenen erneuerbaren Energiequellen sinnvoll zu kombinieren, gerade auch im Bereich der Speicherung.

Wieviel Lärm macht Windkraft?

Windkraftanlagen sind laut und schädigen uns durch Infraschall.

In unmittelbarer Nähe von Windkraftanlagen kommt es schon zu Lärmemissionen. Die Forschung im Bereich Infraschall sind gemäss Cercle Bruit noch nicht so weit fortgeschritten, dass eindeutige Aussagen dazu gemacht werden können, wie schädlich dieser sich auf den Menschen auswirken. Ich persönlich kann mir gut vorstellen, dass es zu negativen Auswirkungen auf die Gesundheit führen kann. Ich finde aber auch, dass die Lärmemissionen durch Windkraft in Beziehung zu anderen Lärmbelastungen betrachtet werden müssen, beispielsweise durch Auto- oder Fluglärm.

Äpfel im Kühlhaus Schweiz

Schweizer Äpfel im Kühlraum: Die Energiebilanz ist schlechter als von saisonalen Äpfeln aus dem Ausland.

Bild: istock.com/dusanpetkovic

Es gibt kein nachhaltiges Palmöl.

Es gibt vereinzelte kleine Plantagen, die man am ehesten als nachhaltig bezeichnen kann. Zum Beispiel leitet das Forschungsinstituts für biologischen Landbau FiBL ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt zur Nachhaltigkeit von Knospe-Palmöl, welches sich unter anderem nach den strengen Richtlinien von Bio Suisse richtet. Bei Zertifikaten wie dem RSPO sind grosse Firmen dabei, aber die Anforderungen nicht streng genug. Das Problem ist, dass wir Palmöl nicht so einfach durch andere pflanzenbasierte Öle ersetzen können. Die Ölerträge von Soja, Raps, Sonnenblumen sind um ein Vielfaches geringer. Das heisst, dass wir viel mehr Fläche verbrauchen, um den gleichen Ertrag zu erzielen. Palmöl ist diesbezüglich sehr effizient. Und Boden ist nun mal eine knappe Ressource. Es läuft eigentlich wie bei all diesen Fragen immer wieder aufs Gleiche raus: Wir müssen einfach weniger davon konsumieren. Wichtig zu wissen: Der grösste Teil der Palmölproduktion fliesst übrigens in die Energieerzeugung, also Biodiesel, Wärme und Elektrizität. Die Palmöl-Frage ist also gekoppelt mit der Frage nach der zukünftigen Energieversorgung.

 

Ein paar grundsätzliche Regeln für nachhaltigen Konsum

  • Bewusst konsumieren: Darauf achten, wie nachhaltig ein Produkt hergestellt wurde. Dabei auf Qualität statt auf Quantität achten.
  • Den Fleischkonsum reduzieren.
  • Flüge reduzieren – sowohl eigene als auch solche, die beim Produkttransport (Flugware) anfallen. 
  • Beim Einkauf aufs Auto verzichten.
  • Secondhand einkaufen, Dinge wiederverwenden oder wieder in Umlauf bringen.
  • Sich engagieren und das Thema Nachhaltigkeit in die Schulen, in den Sportverein, ins Büro oder einfach in den Alltag einfliessen lassen.

Quellen:

https://vegan.ch/2019/08/kaese-aus-cashews-eine-oekologische-alternative/)

https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/oekobilanz-pflanzenmilch

https://www.klimatarier.com/de/CO2_Rechner

https://www.klimagourmet.de/mitmachen/co2-rechner/

https://www.fibl.org/de/infothek/meldung/fokus-auf-knospe-palmoel-im-regal-und-in-der-forschung.html

 

Martina Wyrsch ist diplomierte Umweltingenieurin ETH und Geschäftsführerin der Tiefgrün GmbH tiefgruen.ch. Die Nachhaltigkeitsexpertin bietet auf ihrer Plattform Beratung, Prozessbegleitung, Workshops und Moderation sowie Kommunikation an.

 

 

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Autor:in: Christian
Bürge
Der Journalist ist Co-Founder und Chefredaktor des Magazins
Go Green.
www.christianbuerge.com
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