"Pflanzenkohle birgt
für Städte ein
enormes Potential"

6 Minuten
12. Dezember 2023

In der aktuellen Klimadebatte kommt gerade niemand an der Pflanzenkohle vorbei. Sie speichert CO2 langfristig. Und sie ist eine kostengünstige Negativ-Emissionstechnologie. CO2-Speicherung im Boden – nur auf andere Weise. Bei ihrer Herstellung können wir auch Energie gewinnen. Die Anwendungsbereiche sind vielseitig. Auch städtische Grünflächen könnten profitieren, sagt der Geoökologe Nikolas Hagemann von Agroscope.

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Pflanzenkohle

Pflanzenkohle hilft auch, Bäume im städtischen Gebiet gesünder zu machen: In Stockholm sind sechs Jahre alte Bäume, die in strukturierten Böden mit Pflanzenkohle gesetzt wurden, fünfmal grösser als 30 Jahre alte Bäume, die noch mit herkömmlicher städtischen Baumpflanztechnik gepflanzt wurden.  Bild: istock.com

Herr Hagemann, Pflanzenkohle wird gerade gehypt wie die Erfindung der eierlegenden Wollmilchsau – als Lösung für zahlreiche klima- und umweltbedingte Probleme. Zu Recht?

Nikolas Hagemann: Ja und Nein. Das Verfahren selbst, die Pyrolyse, können wir in ganz vielen Bereichen der Wärmegewinnung nutzen, insbesondere auch für Hochtemperatur-Prozesse in der Industrie. Da, wo wir mit Wärmepumpen nicht weiterkommen. Auch geostrategische Gründe sprechen für Pyrolyse – sie macht unsere Wärmegewinnung unabhängiger von Öl und Gas. Die Herstellung und Anwendung von Pflanzenkohle ist gleichzeitig eine Negativ-Emissionstechnologie: Pflanzen nehmen CO2 aus der Luft auf, ein Grossteil des Kohlenstoffs können wir in Form der Pflanzenkohle speichern. Und diese Pflanzenkohle lässt sich in den unterschiedlichsten Bereichen so nutzen, dass der Kohlenstoff gespeichert bleibt.

„Eine der ältesten Anwendungen wurde beim Ötzi entdeckt. Das Pigment seiner Tattoos bestand aus Pflanzenkohle“

Zum Beispiel, indem man die Pflanzenkohle in die landwirtschaftlichen Böden einarbeitet?

Sicher, dadurch erhöhen wir unter anderem die Bodenfruchtbarkeit und Wasserspeicherfähigkeit. Es wird auch weniger Nitrat ins Grundwasser ausgewaschen. Doch es gibt viele weitere Anwendungsbereiche, von denen ein paar eigentlich gar nicht so neu sind, sondern eine lange Tradition haben. So lässt sich Pflanzenkohle als Futterzusatz in der Tierhaltung verwenden. Eine der ältesten Anwendungen wurde beim Ötzi entdeckt. Das Pigment seiner Tattoos bestand aus Pflanzenkohle.

Ob das so gesund war?

Darüber kann man sicher streiten. Es zeigt aber sehr schön, dass Pflanzenkohle keine neue Erfindung ist. Eher neu ist es, sie dem Asphalt beizumischen oder die Böden von Grünflächen auf städtischem Gebiet aufzuwerten. Derzeit wird zum Beispiel an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa auch an Dämmstoffen aus Pflanzenkohle geforscht.

„Pflanzenkohle ist ein Werkzeug unter vielen zur Bekämpfung der Klimakrise“

Und warum trotzdem dann ein Ja mit Vorbehalten?

Pflanzenkohle einzusetzen macht nur dort Sinn, wo etwas verbessert werden kann, wo ein umweltschädliches Material durch sie ersetzt oder ein Material aufgewertet werden kann. In einem Stall mit gesunden Tieren hat Pflanzenkohle im Tierfutter bestenfalls keine Wirkung. Das gleiche gilt für gesunde, fruchtbare Böden. Letztlich ist Pflanzenkohle ein Werkzeug unter vielen zur Bekämpfung der Klimakrise und zur Anpassung an sie.

Der aktuelle Hype um Pflanzenkohle, nicht zuletzt in den Medien, erinnert in gewissen Zügen an jenen um Wasserstoff. Dieser kann nur begrenzt «grün» hergestellt werden, soll aber in allen Energiebereichen zum Einsatz kommen – Transport, Wärme, Energiespeicherung für Elektrizitätsengpässe. Ganz so, als wäre grüner Wasserstoff unendlich verfügbar. Wie schätzen Sie das bei der Pyrolyse ein?

Der Flaschenhals liegt tatsächlich bei der begrenzten Biomasse, die uns für die Pyrolyse zur Verfügung steht. Schädlich wird das Ganze, wenn wir anfangen, hochwertiges Holz zu pyrolysieren oder Pflanzen zur Energiegewinnung anzubauen.

Wie durch Pyrolyse Pflanzenkohle entsteht

Bei der Pyrolyse, der Verschwelung von Holz und anderer, trockener Biomasse, handelt es sich im Grunde um eine unvollständige Verbrennung. In modernen Pyrolyse-Anlagen wird Biomasse bei Temperaturen zwischen 400 und 750 Grad Celsius, selten bis 900 Grad Celsius, weitgehend unter Ausschluss von Sauerstoff und ohne offenes Feuer verkohlt. Die entstehende Wärme und die Pyrolysegase können als Energie respektive Energieträger genutzt werden. In der entstandenen Pflanzenkohle ist je nach Verfahren bis zu 50 Prozent des zuvor in der Pflanze gebunden Kohlenstoffs langfristig gespeichert. Wichtig bei solchen Anlagen ist, dass bei der Pyrolyse keine Schadstoffe auf die Pflanzenkohle oder in die Atmosphäre gelangen. Dafür gibt es in der EU und der Schweiz die EBC-Zertifizierung, welche dies garantiert.

Eine Grössenordnung des Potenzials von Pflanzenkohle liefert eine Agroscope-Studie, an der Sie beteiligt waren: Bei der konsequenten Verarbeitung der Reststoffe aus Land- und Forstwirtschaft zu Pflanzenkohle könnten jährlich bis zu 4 Millionen Tonnen CO2 gebunden und so 80 % der 2050 voraussichtlich noch verbleibenden Treibhausgasmissionen der Schweiz kompensiert werden.

Das ist ein mögliches Szenario. Aber: Wie viel Kohlenstoff können wir schweizweit speichern? – Das ist für mich aktuell nicht die wichtigste Frage.

Wie können wir Pflanzenkohle sinnvoll einsetzen, wäre das eine bessere Frage?

Ja, zum Beispiel, aber vor allem: Wo sind die vielen Nischen, in denen Biomasse, vor allem Reststoffe, vorliegen und gleichzeitig Energie gebraucht wird? Ein Schokoladenhersteller in Deutschland pyrolysiert beispielsweise die Kakaoschalen, um die Wärme für die Schokoladenproduktion zu nutzen. In Basel nutzt IWB lokales Landschaftspflegeholz, dass weder sinnvoll verbrannt noch stofflich genutzt werden könnte und gewinnt daraus Pflanzenkohle und Wärme für das Fernwärmenetz. Pyrolyse-Projekte müssen immer ausgehend von der Wärmegewinnung gedacht werden.

Pyrolyse Pflanzenkohle

Der Basler Energieversorger IWB nutzt die Biomasse mittels Pyrolyse zur Fernwärmegewinnung – die Pflanzenkohle kann dann im Boden gespeichert werden.  Grafik: IWB

„Sie kann auch aus Grünabfällen oder Kakaoschalen hergestellt werden“

Das klingt natürlich vorbildlich, aber besteht nicht auch die Gefahr, dass gerade wegen der vielen Vorteile der Pyrolyse und Pflanzenkohle Wälder noch stärker unter Druck geraten?

Pflanzenkohle kann ja aus unterschiedlichstem pflanzlichem Material hergestellt werden, sogar aus Grünabfällen in der Küche, Gärresten, die bei der Biogas-Produktion übrig bleiben oder wie im Fall der Schokolade aus Kakaoschalen. Grosse Unternehmen sind grundsätzlich an sinnvollen Materialien interessiert, die langfristig funktionieren. Und Restbiomasse ist letztlich massiv günstiger als neues Holz.

Mit anderen Worten, für Firmen ist es lukrativer, aus Holz Möbel und Häuser zu bauen, statt es zu pyrolysieren?

Ja, wenn wir von hochwertigem Holz sprechen, müssen wir dieses aus Umweltperspektive zuallererst stofflich verwerten. Es soll möglichst viele Alltagsprodukte aus Plastik ersetzen oder etwa im Möbel- und Hausbau verwendet werden. Ist irgendwann der Lebenszyklus beendet, kann man es für die Pflanzenkohle und die Wärmegewinnung pyrolysieren. Oder anders gesagt: Für die Pyrolyse sollten sekundäre Pflanzenstoffe und Biomasse verwendet werden, die nicht stofflich verwertet werden können. Unser Ziel muss es sein, eine Kaskade aufzubauen.

„Am Ende des Lebenzyklus wird ein Holzhaus zur Wärmegewinnung pyrolysiert“

Können Sie solche Kaskaden an ein, zwei Beispielen veranschaulichen?

Eine denkbare Kaskade ist etwa, Holz in Häusern zu verbauen. Am Ende des Lebenszyklus, wird dieses Holz zur Wärmegewinnung pyrolysiert. Die entstandene Pflanzenkohle kann dann beispielsweise dem Asphalt beigemischt werden, wie es auch in Basel getestet wird. Oder ein Landwirtschaftsbetrieb liefert Stroh, Spelzen und andere Pflanzenreste zur Wärmegewinnung für ein Fernwärmenetz. Die entstandene Pflanzenkohle geht zurück auf den Hof und wird dem Tierfutter beigemischt, was dann die Tiergesundheit und den Hofdünger verbessert und der wiederum sorgt auf Weide und Feld für besseres Pflanzenwachstum.

Holzhaus

Das Holz eines Hauses kann am Ende des Lebenszyklus zur Wärmegewinnung pyrolysiert werden.  Bild: istock.com

Pflanzenkohle kann über mehrere tausend Jahre in den Böden bleiben und so den Kohlenstoff langfristig festsetzen. Deshalb gilt sie ja auch als eine der Wunderwaffen gegen die Klimaerwärmung. Aber wie ist das eigentlich bei Asphalt oder wenn man sie als Futterzusatz nutzt?

Wird die Pflanzenkohle von einem Tier gefressen, wird sie mit Blick auf die Stabilität quasi unverändert wieder ausgeschieden – dann kommt es drauf an, was mit den Exkrementen passiert. Bei Haustieren landen sie im Kehricht und damit in der Verbrennung, auch bei Hühnern und Pferden kann das passieren. Bei Schweinen und Rindern werden Mist und Gülle aber zwingend auf landwirtschaftlichen Feldern ausgebracht und die Pflanzenkohle ist damit langfristig geschützt.

„Die Pflanzenkohle ist auch im Asphalt langfristig geschützt“

Wie sieht es beim Asphalt aus, wenn dieser erneuert wird?

Im Asphalt ist sie ebenfalls geschützt, solange es nach dem Abriss oder einer Erneuerung der Strasse nicht zu einer thermischen Behandlung bei sehr hohen Temperaturen kommt. Aber das ist unwahrscheinlich. Bei den Dämmstoffen kommt es auf die mögliche Zweitverwertung nach dem Abriss des Hauses an. Letztlich werden all diese Eventualitäten bei der Zertifizierung der Klimadienstleistung berücksichtigt und nur jener Kohlenstoff als dauerhafte Negativemission zertifiziert, der wirklich in einem langfristigen Speichermedium eingebunden wird, wie dem Boden.

Nikolas Hagemann

Der Geoökologe Nikolas Hagemann von Agroscope: „Eher neu ist, dass Pflanzenkohle auch dem Asphalt beigemischt werden kann.“  Bild: zvg

In der Landwirtschaft ist Pflanzenkohle zur Aufwertung von Böden ein grosses Thema, doch ausgerechnet Schweizer Böden sollen schon sehr fruchtbar sein. Das Potenzial der Ertragssteigerung durch Pflanzenkohle eher gering, heisst es. Macht es überhaupt Sinn, in Schweizer Feldern Pflanzenkohle einzuarbeiten?

Auf jeden Fall, wenn auch sicher nicht überall. Man darf den Zustand der Böden hierzulande nicht verallgemeinern. Es gibt einige Landwirte in der Schweiz, die sagen, ihre Böden brauchen Pflanzenkohle, weil sie zu sandig oder zu schwer zu bearbeiten sind. Enormes Potenzial hat Pflanzenkohle aber auch in Städten. In den Böden städtischer Grünflächen kann sie eine wichtige Schlüsselrolle übernehmen, und auch zur Wasserreinigung beitragen.

„Auch städtische Böden können so aufgewertet werden“

Stichwort Schwammstädte.

Schwammstädte können die Folgen der Klimaerwärmung abmildern, indem sie Wasser auch bei Starkniederschlägen besser aufnehmen und speichern. Insofern sind sie eine wichtige Anpassungsstrategie in urbanen Räumen. Aber im Siedlungsraum gibt es ja eigentlich keinen natürlichen Boden mehr, der das bewerkstelligen könnte. Hier ist die Umwelt komplett vom Menschen geschaffen und hier sollte man auch mit menschlichen Mitteln eingreifen. Pflanzenkohle kann solche Böden sehr effektiv aufwerten. Wie im landwirtschaftlichen Boden übernimmt sie mehrere Funktionen. Der Boden wird fruchtbarer und kann Wasser besser absorbieren. Das kommt den Pflanzen und insbesondere den Bäumen zugute. Denn wir sehen in Städten häufig ein hohes Baumsterben, eine kürzere Lebensdauer und höhere Instandhaltungskosten.

Dabei kühlt nichts Städte so effizient wie Bäume. Das hat jüngst Stefan Schwarzer in einem Interview mit Go Green anschaulich erklärt. Können Sie uns eine Einschätzung geben, wie Pflanzenkohle die Baumgesundheit in städtischen Böden fördert?

Stockholm ist hier ein Paradebeispiel. In der schwedischen Hauptstadt fingen sie bereits vor über 15 Jahren an, die Baumgesundheit zu fördern. Dafür experimentierten sie mit strukturierten Böden aus Schotter, die sie mit Sand, Kompost und mit Pflanzenkohle mischten. Mit Pflanzenkohle erzielte man sehr gute Erfolge, da sie diesen künstlichen Böden die Fähigkeit gibt, Nährstoffe und Wasser für die Bäume zur Verfügung zu stellen.

„Die Pflanzenkohle reinigt selbst das Strassenabwasser“

Was war der Effekt?

Tatsächlich waren in einigen Fällen sechs Jahre alte Bäume, die sie in strukturierte Böden mit Pflanzenkohle setzten, fünfmal grösser als 30 Jahre alte Bäume, die noch mit herkömmlicher städtischen Baumpflanztechnik gepflanzt wurden. Ein ausführlicher Artikel dazu erschien auf Englisch im Biochar Journal. Gleichzeitig reinigt Pflanzenkohle auch das Strassenabwasser, weil sie eben auch Schadstoffe binden kann.

Kohledünger

Pflanzenkohle können wir – wie hier mit Tomatenpflanzen – sinnvoll im Garten einsetzen.  Bild: istock.com

Das klingt tatsächlich nach einer grossen Chance für Städte. Aber mal auf meinen Alltag heruntergebrochen: Kann ich Pflanzenkohle auch einfach bei mir im Garten nutzen?

Ja klar. Aber man sollte sie nicht einfach so ins Beet geben, sonst bindet sie die Nährstoffe im Boden, so dass die den Pflanzen dann nicht mehr zur Verfügung stehen. Der Klassiker ist, die Pflanzenkohle gemeinsam mit den Küchen- und Gartenabfällen in den Kompost zu geben. Dafür sollten Sie ausschliesslich zertifizierte Pflanzenkohle verwenden.

Zur Person: Dr. Nikolas Hagemann forscht seit über 10 Jahren zum Thema Pflanzenkohle. Der Geoökologe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Umweltanalytik beim Agroscope und wissenschaftlicher Leiter des Ithaka Instituts, ein internationales Netzwerk für Kohlenstoff-Strategien und Klimafarming. Am Ithaka Institut werden Methoden entwickelt, um mithilfe von Pflanzen CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen und dauerhaft Kohlenstoff in Materialien und landwirtschaftlichen Böden zu speichern.

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Autor:in: Sabina
Galbiati
Sabina Galbiati ist Journalistin und Nachhaltigkeits-Expertin. Sie hat das Buch "101 Antworten für deinen nachhaltigen Alltag" geschrieben.
www.sabinagalbiati.ch
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