Timea Bacsinszky
"Wenn du aufhörst,
stirbst du einen
kleinen Tod"

5 Minuten
30. Juli 2021

Die 32-jährige Timea Bacsinszky gewann als Tennisprofi Olympiasilber und gehörte zu den Besten der Welt. Jetzt trat die Waadtländerin zurück. Im Interview redet sie über schwierige Monate, wie nachhaltig sie derzeit lebt und wie sie sich vom Ballast des Lebens befreit.

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Timea Baczinszky im Grünen oberhalb von Lausanne: Für Umweltbelange setzt sie sich aktiv ein.                Bild: SI/Kurt Reichenbach

Sie haben vor einer Woche den Rücktritt vom Profitennis bekanntgegeben. Was war letztlich ausschlaggebend und wie schwer fiel Ihnen der Entscheid?

Ich habe lange darüber nachgedacht. Wenn mein Feuer grösser wäre, hätte ich vielleicht weitergespielt. Die Schmerzen im Rücken, die ich jetzt schon lange mittrage, hinderten mich. Könnte ich das geniessen? Das fragte ich mich. Aber ich muss auch auf meinen Körper hören. Die letzten Monate waren schwierig. Das Tennis liebe ich, Es war bis jetzt mein Leben. Mir darüber klar zu werden brauchte Zeit.

Sie haben soviel erreicht in Ihrer Karriere. Olympia-Silber im Doppel, zweimal in den Halbfinals an den French Open, ein Viertelfinal in Wimbledon. Sind sie zufrieden?

Ich bin happy damit, extrem stolz, was ich erreicht habe. In meiner Karriere kam ich immer wieder zurück. Es war nicht immer einfach. Aber jetzt ist die Zeit gekommen, wo ich etwas teilen möchte.

Werden Sie Trainerin?

Ich lasse mir noch Zeit. Klubs und Academys haben mich schon kontaktiert. Auch einzelne Sportler haben mich kontaktiert. Eine Entscheidung will ich nicht zu schnell fällen. Es ist ein petite mort wenn du aufhörst, du stirbst einen kleinen Tod. Der Sport war alles, was ich gemacht habe im Leben. Für alles gibt es Zeit im Leben. Und ich denke, ich habe meine Zeit gehabt. Jetzt brauche ich aber erst einmal eine Pause, damit mein Kopf klar wird.

Aber Tennis bleibt zentral in Ihrem Leben?

Tennis reizt mich schon noch. Ich habe immer gerne mit jüngeren trainiert. Aber auf welchem Level die Spielerinnen sind und wie alt, spielt eigentlich keine Rolle. Wenn eine 60-Jährige motiviert ist, macht das auch Spass. Ich habe im letzten Jahr das C-Trainer-Diplom und die J&S-Sporttrainer-Ausbildung gemacht. Insofern ist da jetzt einiges möglich.

Sie sind vom Land wieder in die Stadt nach Lausanne gezogen. Warum?

Das Haus im Grünen habe ich jetzt mal für fünf Jahre vermietet. Es war ein wenig zu gross für mich alleine.  Jetzt bin ich im Stadtzentrum. Das hat auch Vorteile. Ich brauche das Auto viel weniger.

Sie hatten in diesem Jahr einen unerwarteten Auftritt im Klima-Protestsong «Maintenant on est là!» des Waadtländer Chansonniers und Kinderliedermachers Henry Dès. Wie war das?

Ein tolles Erlebnis. Henry Dès ist in der Westschweiz und in Frankreich eine Ikone. Ich habe als Kind am Fernsehen seine Sendungen gesehen. Mein Auftritt im Video war zwar kurz, aber für eine gute Sache, die mich auch bewegt.

Wie wichtig ist es Ihnen, nachhaltig zu leben?

Sehr. Es war mir schon immer wichtig. Das hat mir meine Mutter vererbt. Vor allem, was das Bewusstsein rund um den Abfall betrifft.

Warum?

Als sie im Alter von 18 Jahren in die Schweiz kam, hatte sie nicht viel. Einen kleinen Koffer mit einem Rock drin, einem Kleid, zwei Blusen, einer langen Hose und einem paar Schuhe. Sie war ein Au-Pair, heiratete später einen Mann und hatte ein Kind mit ihm. Aber er starb früh und sie war alleine mit dem Kind. Meine Mutter hatte nichts. Kein Diplom. Aber sie biss sich durch, liess sich zur Zahnärztin ausbilden. Diese Haltung, dass Menschen mit wenig auskommen können, ist ihr bis heute geblieben. Als Kind erlebte ich das auch mit dem Essen: Wir haben Essensreste immer im Kühlschrank aufbewahrt und verwertet. Und bei uns gab es keinen übermässigen Konsum.

Das haben Sie beibehalten?

Ich bin mir bewusst, was wir verbrauchen. Es ist verrückt. Beim Essen beispielsweise bin ich relativ strikt. Da wird kaum etwas weggeworfen und möglichst alles verwertet.

Es gab Spielerinnen, die sich jede Woche eine neue Tasche kauften. Oder noch ein Kleid. Und ich sagte, dass ich es nicht brauche.

Sie haben als Tennisprofi viel Geld verdient und haben auf der Tour gesehen, wie Luxus gelebt und konsumiert wird. War das schwierig?

Klar, es gab Spielerinnen, die jede Woche eine neue Tasche kauften, oder noch ein Kleid. Und ich sagte immer, dass ich es nicht brauche. Kleider sind sowieso ein grosses Thema.

Die Fast-Fashion vor allem.

Ja, und dass die Menschen alles gleich wegwerfen. Vor zwei Monaten habe ich mit Freundinnen zum dritten Mal ein Vide Dressing organisiert. Einen Second-Hand-Basar mit vielen von meinen Kleidern. Es ist wichtig, dass wir uns überlegen, ob wir die Dinge nicht wiederverwerten können.

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Timeas Second-Hand-Party: „Es ist wichtig, dass wir die Dinge wiederverwerten können.“      Bild: TB

Haben Sie mit dem verdienten Geld als Tennisprofi nie über die Stränge geschlagen?

Nicht wirklich. Ich habe mir ein ökologisches Haus gekauft, das war wohl die teuerste Anschaffung. Aber eigentlich eben eine nachhaltige. Es gab andere Dinge, die ich mir leistete: Mit Freunden ein Weekend in die Berge zu fahren und ich bezahlte für alle. Oder Ins Restaurant einzuladen, die lokalen Produzenten zu unterstützen.

Egal, wie nachhaltig ihr Leben ausserhalb der Tennistour war: Die Fliegerei rund um den Erdball hält man ihnen trotzdem vor.

Ja, ich weiss. Aber was kannst du als Tennisprofi dagegen tun? Entweder du verzichtest auf deinen Lebenstraum oder du sagst: Ich probiere wenigstens bei vielen anderen Dingen ein Vorbild zu sein. Perfekt sein kann ich nicht überall. Andere tun gar nichts. Das ist nicht fair! Ich habe zu meiner Schwester auch schon gesagt: Du hast drei Kinder. Ist das ökologisch? Natürlich nicht. Vielleicht ist sie weniger gereist als ich, hat aber unter dem Strich auch einen sehr grossen Fussabdruck mit der Familie. Meine zwei Neffen und meine Nichte liebe ich. Aber jeder muss bei sich anfangen. Wir müssen schon die ganze Rechnung machen. Nicht einfach diejenigen beschuldigen, welche fliegen mussten.

In einem Klimaratgeber steht: «Wer seine Wäsche statt im Trockner an der Leine trocknet, handelt damit sicher nicht falsch, doch die Klimawirkung davon ist etwa hundert Mal geringer als wenn jemand vom Benziner aufs Elektroauto umsteigt.» Schauen Sie auch, wo sie die grossen Hebel bewegen können?

Klar. Und dennoch kann man auch den Tumbler überflüssig machen. Seit ein paar Monaten trockne ich praktisch alles in der Wohnung auf einem kleinen Ständer. Licht ausmachen und im Winter die Fenster zu war sowieso ein Befehl meiner Mutter. (lacht)

Wissen Sie, welches die drei grössten Stücke in unserem persönlichen Fussabdruck-Kuchen sind?

Fleisch, also die Ernährung, kommt sicher weit vorne. Dann wohl die ganze Elektrizität? Ich bin da ein wenig überfragt.

Mobilität, Wohnen/Heizen und die Ernährung sind die grössten einzelnen Posten. Im Durchschnitt emittiert jeder Schweizer 13,5 Tonnen CO2. 1,6 Tonnen fallen auf die Ernährung.

Das mit der Mobilität ist auch so eine Sache. Lausanne möchte den Individualverkehr möglichst schnell aus der Stadt verbannen. Aber die Verbindungen für Pendler vom Land sind zum Teil schlecht, so etwas wie Park & Ride am Stadtrand gibt es nicht. Momentan ist das noch eine Utopie.

In welcher Hinsicht wollen Sie sich ökologisch verbessern?

Das Auto ist sicher ein Punkt, auch wenn es ein Hybrid ist. Aber mit dem Velo kann ich nicht all die Dinge transportieren, die ich muss. Vielleicht wird’s als Kompromiss dann halt irgendwann ein Elektroauto.

Simpler zu leben ist ein Traum. Es ist nicht wichtig, immer erreichbar zu sein. Verlangsamen wir wieder.

Und generell ein einfacheres Leben zu führen ist für Sie erstrebenswert?

Simpler zu leben ist ein Traum, ja. Gerade auch in Bezug auf die Digitalisierung. Ich hätte gerne weniger Internet, weniger social media, weniger e-mails. Zwar werden die Dinge vordergründig vereinfacht, aber sie absorbieren unsere Köpfe trotzdem ständig. Es verkompliziert unser Leben. „Slow down with everything“ würde ich mir wünschen. Es ist nicht wichtig, immer erreichbar zu sein. Verlangsamen wir wieder.

Ist das eine Frage der Einstellung zur Technik oder müssen wir uns von Dingen befreien? Weniger besitzen?

Auf alle Fälle. Das befreit. Das habe ich an unseren Second-Hand-Partys gespürt. Oder wenn ich Kleider den Töchtern meiner Schwester gebe, die jetzt studieren. Die Dinge bekommen ein zweites Leben. Und ich fühle mich leichter.

Was planen Sie als nächstes?

Ich spiele mit dem Gedanken,  im Wallis mit einer Gruppe eine Woche zu fasten. Nachhaltig mit dem Körper umzugehen ist ja auch sehr wichtig. Und es gibt ja nicht nichts. Anscheinend bekommen wir Bouillon und Tee. Immerhin. (lacht).

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Autor:in: Christian
Bürge
Der Journalist ist Co-Founder und Chefredaktor des Magazins
Go Green.
www.christianbuerge.com
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